Der Kanton Aargau geriet wiederholt in die Schlagzeilen, weil Sozialhilfeempfänger mit dem Kapital der Pensionskasse Sozialhilfe zurückzahlen mussten. Nun hat der Aargauer Regierungsrat auf dem Verordnungsweg diesem Tun einen Riegel geschoben. Das habe ich in meiner Kolumne im Juli besprochen.
Ich komme auf diese Problematik zurück, weil damit noch nicht alles gesagt und weil die Sache nicht ganz einfach ist.
Man muss unterscheiden. Da ist zum einen die Frage: Können Sozialämter von den Unterstützungsbedürftigen verlangen, dass sie mit dem Geld der Pensionskasse die Sozialhilfe zurückbezahlen? Und zum anderen: Können die Sozialämter fünf Jahre vor dem Pensionierungsalter die Sozialhilfe einstellen? Dies mit dem Hinweis, die Unterstützungsbedürftigen könnten sich das Pensionskassenguthaben vorzeitig auszahlen lassen, um damit die Sozialhilfe abzulösen.
Den ersten Punkt, eben die Rückzahlung der Sozialhilfe mit dem Kapital der Pensionskasse, hatte ich in besagter Kolumne thematisiert. Hier geht es jetzt nur um den zweiten Punkt.
Tobias Hobi ist Rechtsberater bei der Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht (UFS). Er kennt einen konkreten Fall, bei dem eine St. Galler Gemeinde einem 61-jährigen Mann die Sozialhilfe gestrichen hat. Eben mit dem Hinweis, er könne das Geld der 2. Säule vorbeziehen und damit den Lebensunterhalt selber bestreiten. Denn Vorbezüge des Pensionskassenkapitals sind laut dem Beruflichen Vorsorgegesetz (BVG) frühestens fünf Jahre vor dem ordentlichen AHV-Alter erlaubt, bei Frauen mit 59, bei Männern mit 60 Jahren.
Man kann dieses Vorgehen goutieren oder nicht. Aber die Frage lautet: Ist ein solches Vorgehen überhaupt rechtens? Kann man einer unterstützungsbedürftigen Person die Sozialhilfe mit dem Verweis streichen, sie könne sich ja das Pensionskassenkapital auszahlen lassen?
Sozialhilfe ist Sache der Kantone. Und in den einschlägigen kantonalen Gesetzen und Verordnungen wird diese Frage nicht beantwortet. Im besten Falle steht: «Die wirtschaftliche Hilfe bemisst sich nach den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe.» Und laut diesen Skos-Richtlinien sollen Unterstützungsbedürftige erst dann zur Auflösung der 2. Säule verpflichtet werden, wenn auch die AHV vorbezogen werden kann. Das heisst: Frauen mit 62, Männer mit 63 Jahren. Ab diesem Alter könne man dann auch Ergänzungsleistungen beantragen, falls die Renten zum Leben nicht ausreichen.
Richtlinien sind Richtlinien und keine Weisungen. So müssen sich die Kantone nicht daran halten, wenn sie nicht wollen. Gemäss dem Monitoring 2021 der Skos geben 18 Kantone an, keinen Bezug des Pensionskassenguthabens vor dem Alter 62 beziehungsweise 63 zu verlangen. Doch immerhin fünf Kantone sehen je nach Situation die Möglichkeit eines Vorbezugs vor dem frühestmöglichen Bezug der AHV-Rente gegeben, ein Kanton nur im Ausnahmefall.