Wer sich öfter mal auf Instagram oder Facebook tummelt, kennt das Phänomen: Schon nach wenigen Momenten grätscht der orange Riese in den Feed. Nicht die Migros – sondern die chinesische Shopping-App Temu.
Das kostet die User viel Nerven. Und es kostet die Temu-Mutterfirma PDD Holdings eine unheimliche Stange Geld. Was die chinesische Billigschleuder für ihre Auftritte auf den Meta-Portalen Instagram und Facebook springen lässt, hat das «Wall Street Journal» kürzlich recherchiert. Auf Instagram und Facebook, so die US-Zeitung, sei Temu 2023 mit Ausgaben von fast zwei Milliarden Dollar der wichtigste Werbekunde überhaupt gewesen; auf der Suchmaschine Google rangiere Temu in den Top Five der wichtigsten Anzeigenschalter.
Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
«Crazy, wie die Umsätze hochschiessen konnten»
Einer, der die chinesische Shopping-App schon länger verfolgt, ist David Morant, Mitinhaber des Winterthurer E-Commerce-Beratungsunternehmens Carpathia. «So etwas wie Temu», sagt Morant, «hat die Online-Schweiz noch nie gesehen. Absolut crazy, wie die Umsätze der Chinesen aus dem Stand hochschiessen konnten.»
Bisher galt der Markteinstieg von Zalando als legendärer Umsatzturbo im Schweizer Online-Business. 2012, in seinem ersten vollen Schweizer Geschäftsjahr, stieg der Berliner Online-Modehändler gleich mit 160 Millionen Franken ins Schweizer Ranking ein. Temu hat gemäss Morant im ersten Schweizer Jahr gleich das Doppelte geschafft. Eine erste Einstufung von 300 Millionen Franken Umsatz hat der E-Commerce-Profi mittlerweile angepasst: «Wir haben unsere erste Schätzung erhöht, sagt Morant, «Temu dürfte 2023 hierzulande einen Umsatz von 350 Millionen Franken erzielt haben.»
350 Millionen Franken – das bewegt sich etwa auf der Höhe des Online-Shops von Migros.ch. Eine Summe, die der Schweizer orange Riese erst nach vielen Jahren Marktaufbau erreicht hat. Temu schafft es in der Schweiz schon im ersten Jahr. Was die Chinesen in der Schweiz so stark macht, charakterisiert Morant so: «Marktspezifischer Kundenfokus, sehr tiefe Preise, starke Präsenz auf Social Media, Möglichkeit der Zahlung mit Twint.»
Temu, so scheint es, hat sich in der Schweizer Online-Shopping-Landschaft in nur kurzer Zeit assimiliert. Gerade die Bezahlmöglichkeit via Twint sorgt hier für ein gewisses Urvertrauen, das sich andere Anbieter erst noch erarbeiten müssen.
Starkes Wachstum von Kleinpaketen aus Asien
Auch wenn die Qualität der Produkte auf Temu oft von zweifelhafter Güte ist – das Geschäft der chinesischen Versender läuft auf Hochtouren. Das sagt auch Bernhard Egger. Der Geschäftsführer von Handelsverband.swiss präsentierte dieser Tage die neuesten Daten zum Schweizer Online-Konsum, gestützt auf Daten der Post und der Marktforscher von GFK. «Der Kleinmengenanteil bei den Auslandpaketen ist 2023 dramatisch angestiegen», sagt Egger, wir führen das auf die chinesischen Shopping-Plattformen Temu und Shein zurück.»
Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends kauften Schweizer Online-Kundinnen und -Kunden erstmals bei chinesischen E-Commerce-Händlern ein, zu Beginn vor allem bei Aliexpress, später auch bei Wish. Schweizer Konsumenten wurden dabei von sehr tiefen Preisen angelockt – doch die Lieferfristen zogen sich oft in die Länge. Das hat sich bei Temu und Shein massiv geändert, sagt Egger: «Im Vergleich zu Aliexpress liefern sie viel schneller, teils auch durch die Belegung ganzer Fracht-Jets, die mehrmals wöchentlich nach Genf und Zürich fliegen.»
Chinesische Shopping-Apps knabbern Umsatz bei Schweizern ab
Wem nimmt Temu (ausgesprochen «Ti-Mu») mit seinem kruden Sortiment, das von Haushaltgeräten über Elektronikzubehör und Mode bis zu Gadgets aller Art reicht, Umsatz weg? «Gemäss unserer Beobachtung nicht bei anderen chinesischen Online-Händlern wie etwa Aliexpress, das wir weiterhin bei einem Schweizer Umsatz von rund 400 Millionen Franken sehen», sagt Morant. Eher schon knabbere Temu Marktanteile bei hiesigen Playern wie etwa Baumärkten, Online-Universalisten und Elektronikhändlern weg.
Neben den Playern Temu und Aliexpress macht in der Schweiz auch Shein von sich reden. Der chinesische Fast-Fashion-Versender wächst ebenfalls stark, sagt Morant: «Shein taxierten wir 2022 auf einen Schweizer Umsatz von 65 Millionen Franken, das dürfte sich 2023 auf etwas über 150 Millionen Franken knapp verdreifacht haben.» Wish ist in der Gunst der Konsumentinnen und Konsumenten zwar gesunken, steht aber in Apples Schweizer App-Store immer noch in den Top 100 der beliebtesten Shopping-Apps und dürfte immer noch für ein paar Millionen Franken Umsatz gut sein.
Die vier chinesischen Player, deren Schweizer Umsätze Morant eher konservativ kalkuliert, dürften hierzulande also für einen Umsatz von einer Milliarde Franken stehen.
In dem Masse, wie sich die chinesischen Shopping-Apps noch stärker auf Schweizer Konsumgewohnheiten einlassen, dürfte ihr Einfluss hierzulande weiter steigen. Nicht bei einem Publikum, das Wert auf nachhaltige Produktion und einwandfrei verfolgbare Lieferketten setzt, sondern wohl eher bei jüngeren Menschen, die mit eher kleinem Budget unterwegs sind und mit ihren Shopping-Franken möglichst viel Mode und Elektro-Gadgets kaufen wollen.