Zuletzt gelangte der Name Exit wieder im Zusammenhang mit dem Tod von Tina Turner (83†) an die Öffentlichkeit. Der Weltstar starb an einem natürlichen Tod, war laut eigener Aussage aber Mitglied bei der Sterbehilfeorganisation. Die 1982 gegründete Exit mit Sitz in Zürich darf keine Angaben machen über Mitglieder oder Personen, die sie beim Freitod begleitet, schickt Geschäftsführer Bernhard Sutter (55) voraus. Dennoch nimmt er sich fast zwei Stunden Zeit, um mit Blick über die Herausforderungen seiner Organisation zu sprechen.
Blick: Herr Sutter, nimmt die Anzahl der von Exit begleiteten Sterbefälle zu oder ab?
Bernhard Sutter: Sie nimmt wie unsere Mitgliederzahl zu. Letztes Jahr haben wir 1125 Menschen in den Freitod begleitet. Das Durchschnittsalter dieser Menschen lag bei 79,6 Jahren. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Rund 5000 Menschen haben sich bei uns gemeldet, wollten Beratung oder Hilfe. Total waren 1567 Fälle in vertiefter Abklärung.
Warum diese hohe Differenz zwischen Absicht und Durchführung?
Manche überlegen es sich anders. Die Fortschritte in der palliativen Medizin sind gross. Einige sterben natürlich, ohne unser Zutun. Exit hat durch seine Beratung und Abklärung auch Suizid-präventive Wirkung.
Trotzdem haben sie sehr viele Mitglieder. Wie viele?
In der Deutschschweiz und im Tessin haben wir 160'000 Mitglieder, im separat geführten Exit-Verein in der Romandie sind es 35'000. Schweizweit sind bei Sterbehilfeorganisationen über 200'000 Menschen eingetragen.
Weshalb?
80 Prozent der Schweizer befürworten das Recht auf den selbstbestimmten Tod. Die meisten Ärzte wie auch Politiker haben heute im Gegensatz zu früher kein Problem mehr mit uns oder dem Umstand, dass Patienten selber über ihr Leben und Ableben entscheiden wollen. Gegenwind gibt es allenfalls noch von religiösen Organisationen.
Aber wozu die Mitgliedschaft?
Dadurch erhält man ohne weitere Kosten eine komplette Patientenverfügung mitsamt Beratung. Darüber hinaus führen wir im Fall einer Sterbebegleitung alle Abklärungen durch. Und begleiten beim Freitod, sind letztlich auch für Angehörige da. Langjährige Mitglieder haben Vorrang. Wir sind keine Notfall-Organisation.
Darf man etwas zum Verhältnis zwischen Tina Turner und Exit erfahren?
Exit kann sich zu konkreten Namen nicht äussern. Wir verpflichten uns der Diskretion. Die verstorbene Sängerin selbst hat ihre Exit-Mitgliedschaft aber verschiedentlich öffentlich gemacht.
Das akzeptieren wir natürlich. Dann gestatten Sie uns die saloppe Frage: Was kostet der Freitod?
Gar nichts. Wir funktionieren wie eine Versicherung. Die Jahresmitgliedschaft beträgt 45 Franken, dafür ist die Inanspruchnahme nach drei Jahren gratis. Ein Einmalbeitrag von 1100 Franken, also weniger als 25 Jahresbeiträge, gereicht zur lebenslangen Mitgliedschaft. Wir helfen auch Patienten, die nur für einen Freitod zu uns kommen, die dafür aber im Gegensatz zu bestehenden Mitgliedern bezahlen müssen. Der Kostenanteil beläuft sich auf zwischen 1100 und 3700 Franken.
Wie kommen Sie auf solche Zahlen?
Wir tragen die Kosten für die Organisation, unsere Fachleute, die Gutachten, Abklärungen und Besuche. In der Vollkostenrechnung beläuft sich ein Freitod mit Exit auf über 7000 Franken.
Wie finanziert sich Exit?
Klar ist: Wir wollen kein Geld am Leiden verdienen. Wir finanzieren uns in erster Linie über die Mitgliederbeiträge. Knapp 30'000 Mitglieder sind lebenslange Mitglieder, haben also den Einmalbetrag geleistet. Das erfordert Rückstellungen.
Sie erwähnten Organisationskosten: Wie gross ist Exit eigentlich?
In der Deutschschweiz zählen wir über 100 Mitarbeitende. Davon sind rund 60 «Freitodbegleiterinnen», die in einem 10-Prozent-Pensum mit bescheidenem Lohn arbeiten und in der Regel über 40 Jahre alt sind. Der bescheidene Lohn soll keine falschen Anreize für diesen Job schaffen, das tiefe Pensum widerspiegelt die hohe psychische Belastung der Freitodbegleitungen. Man muss wissen: Fehler sind in unserem Job strafrechtlich relevant.
Wächst die Organisation?
Ja. Wir müssen Kapazitäten schaffen, weil die Bevölkerung wächst, vor allem auch in höheren Alterssegmenten. Wir müssen uns der Überalterung der Gesellschaft und einer wachsenden Komplexität der Fälle stellen.
Bernhard Sutter (55) ist seit 2007 bei der Sterbehilfeorganisation Exit. Zunächst war er Vizepräsident und Leiter Kommunikation, seit 2015 ist er Geschäftsführer. Sutter ist ausgebildeter Journalist und war jahrelang für den «Tages-Anzeiger» tätig, ebenso am Radio beim damaligen Radio Z (heute Radio Energy) sowie am Fernsehen bei SRF. Zudem war er früher als Buchautor tätig, Präsident des Zürcher Pressevereins und im Vorstand des nationalen Journalistenverbands. Er wohnt mit seiner Familie in Zürich.
Bernhard Sutter (55) ist seit 2007 bei der Sterbehilfeorganisation Exit. Zunächst war er Vizepräsident und Leiter Kommunikation, seit 2015 ist er Geschäftsführer. Sutter ist ausgebildeter Journalist und war jahrelang für den «Tages-Anzeiger» tätig, ebenso am Radio beim damaligen Radio Z (heute Radio Energy) sowie am Fernsehen bei SRF. Zudem war er früher als Buchautor tätig, Präsident des Zürcher Pressevereins und im Vorstand des nationalen Journalistenverbands. Er wohnt mit seiner Familie in Zürich.
Haben Sie für Letzteres ein Beispiel?
Aktuell darf Exit nur Menschen helfen, die urteilsfähig sind. Und man muss das Sterbemittel zwingend selber einnehmen. Bei einer mittleren bis fortgeschrittenen Demenz darf Exit nicht mehr helfen – auch nicht, wenn man zu Beginn der Demenz dafür eine schriftliche Erlaubnis gäbe. Die Zahl der Demenz-Diagnosen nimmt aber stets zu und der Bedarf für unsere Leistungen diesbezüglich auch. Kanada konnte dank einer Verfassungsklage die Möglichkeit eines «Waiver of final consent» schaffen, bei dem sich der Patient das Recht auf Sterbehilfe voraus verfügen kann. Diese Gesetzesänderung wäre auch in der Schweiz zu diskutieren.
Ist die Schweiz also nicht mehr Vorreiterin in Sachen Sterbehilfe?
Früher waren wir das sicher. Auf entsprechenden Kongressen galten wir als Referenz-Land. Inzwischen sind beim Thema Sterbehilfe aber manche Länder weiter als wir. Sogar das katholische Portugal erlaubt aktive Sterbehilfe.
Versiegt damit der «Sterbetourismus» in die Schweiz?
So bald wohl nicht. In der Schweiz ist Sterbehilfe auch für Personen erlaubt, die ihren Wohnsitz nicht hier haben. Exit hilft aber nur Personen mit Schweizer Wohnsitz oder Pass.
Glauben Sie, dass sich die Gesetze hierzulande bald ändern?
Der Dialog mit der Politik und in der Gesellschaft ist nötig. Wir sind grundsätzlich froh um die liberale Handhabung des Themas in Bern und in den Kantonen, wollen aber weitere Fortschritte für leidende Menschen erzielen. Das ist ein wesentliches Ziel von Exit. Und nicht, möglichst viele Freitodbegleitungen zu machen.