40 Jahre Sterbehilfeorganisation Exit
Wie die Schweiz zum Sterbe-Land wurde

Die Sterbehilfeorganisation Exit, die vor 40 Jahren gegründet wurde, hat Bahnbrechendes geleistet: In der Schweiz können sich mündige Personen, die chronisch krank sind, beim Sterben helfen lassen. International gesehen macht die Schweiz hier eine Ausnahme.
Publiziert: 04.04.2022 um 20:13 Uhr
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Aktualisiert: 14.04.2022 um 11:38 Uhr
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Es gibt Menschen, denen das Leben so zur Last wird, dass sie es lieber freiwillig beenden als so weiterzuleben.
Foto: Getty Images
Silvia Tschui

Jedem Kind, das ein Haustier hat, erklärt man, es sei die Pflicht des Halters, ein Tier nicht unnötig leiden zu lassen, wenn keine Aussicht auf Besserung besteht. Und dazu gehört auch der schwierige Gang zum Tierarzt, um ein solches geliebtes Tier einschläfern zu lassen und ihm einen gnädigen Tod zu ermöglichen. Mitfühlend sei das und in höchstem Grade menschlich.

Auf Menschen bezogen ist eine solche «Gnade» ethisch schwieriger. Das zeigt ein soeben erschienenes Buch zum Thema Sterbehilfe von Journalist Karl Lüönd (76), das zeigen immer wieder Diskussionen im In- und Ausland, wenn es um Sterbehilfe geht. Obwohl man denken würde: Weshalb verweigert man mündigen Menschen, was bei jedem Tier als «human» gilt? Auf der anderen Seite stellen sich Ethiker wie etwa Ruth Baumann-Hölzle (64), Institutsleiterin bei der Stiftung Dialog Ethik, die Frage: Wenn assistierter Selbstmord am Lebensende so gut wie normal ist – geraten dann Menschen, die das nicht tun möchten, gesellschaftlich und von Angehörigen unter Druck, eigentlich nicht mehr weiterleben zu dürfen, weil man allen nur noch zu Last fällt? Deshalb muss eine Person, die sich einen assistierten Freitod wünscht, auch selbst in der Lage sein, das todbringende Medikament zu nehmen – und dies von eigener Hand tun.

Das Angebot in der Schweiz trifft auf grosse internationale Nachfrage

Trotzdem: Eine allgemein gültige Lösung für dieses ethische Dilemma gibt es wohl nicht. Die Schweiz ist im Umgang mit dem Thema trotzdem einzigartig: Mehrere Organisationen, aktuell sieben, ermöglichen hierzulande chronisch kranken Menschen, ihrem Leben selbstverantwortet ein Ende zu setzen. Die Vorreiterin ist auch die bekannteste Sterbehilfeorganisation: Exit, gegründet am heutigen Tag vor 40 Jahren. Und weil die Schweiz einzigartig ist, das Bedürfnis nach eigenverantwortetem Sterben aber international gross ist, landet man bei Exit manchmal auch auf einer Warteliste. Und die Schweiz ist, zumindest im englischen Sprachgebrauch, ein Synonym für Suizid geworden – «going the Swiss way» soll im angelsächsischen Raum mittlerweile Freitod bedeuten.

Natürlich ging die Gründung einer Organisation zu so einem sensiblen ethischen Thema wie Sterbehilfe nicht ohne grösste Kontroversen vonstatten – die übrigens im In- und, stärker noch, im Ausland teilweise bis heute andauern. So versuchten Gegner mittels zwei Volksinitiativen im Jahr 2011 im Kanton Zürich Sterbehilfe und Sterbetourismus zu verbieten – und gingen sang- und klanglos unter: Mit 78,4 Prozent respektive 84,5 Prozent sprachen sich die Zürcher für den assistierten Freitod aus.

Eigeninitiative und eine Besonderheit in unserem Strafgesetzbuch machte assistierte Sterbehilfe erst möglich

Dass Sterbehilfe in der Schweiz bereits 1982 möglich wurde, verdanken chronisch Kranke und Sterbewillige zum einen dem Artikel 115 StGB im Strafgesetzbuch. Er besagt, Suizidhilfe werde nur dann bestraft, wenn sie «aus selbstsüchtigen Beweggründen» geschehe. Ist dies nicht der Fall, kann ein Helfender nicht bestraft werden. Mit den «selbstsüchtigen Beweggründen» ist gemeint, dass insbesondere keine kommerziellen Gründe des Helfenden im Vordergrund stehen sollen. Dieser Umstand führt immer wieder zu Unmut, etwa in der Frage, wie viel Geld eine Sterbehilfeorganisation verlangen darf. Deshalb sind die Kosten bei Exit seit Anbeginn transparent erklärt.

Zum anderen verdankt die Schweiz die Gründung von Exit dem Aktionismus der Ex-Lehrerin und umtriebigen Rentnerin Hedwig Zürcher (1905–1999), wie Karl Lüönd eindrücklich schildert. In einem Zeitungsartikel stösst sie zum ersten Mal auf Bestrebungen in England und Schottland, hochbetagten und schwerstkranken Menschen zu helfen, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen. Sie ist elektrisiert – und setzt ein Inserat in drei Schweizer Tageszeitungen auf, in dem sie Leute, die Sterbehilfe befürworten, bittet, sich zu melden. Sie ertrinkt in Zuschriften, und an der ersten Versammlung Interessierter, am 3. April 1982, ist der gemietete Saal zu klein. 69 Interessierte tragen sich an diesem Abend in die Liste der Interessierten ein – Exit ist geboren. Als Erstes führt der neu gegründete Verein Patientenverfügungen in der Schweiz ein. Dieses Angebot überzeugt viele Menschen – wenige Wochen später zählt Exit schon mehr als 1000 Mitglieder. Eine Zahl, die bis heute auf 130'000 Mitglieder angewachsen ist.

«Selbstbestimmt bis zuletzt», Sachbuch zur Geschichte der Sterbehilfe in der Schweiz, Karl Lüönd, NZZ Libro Verlag, 315 Seiten, 36 Franken.

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