Ex-CS- und UBS-Boss Oswald Grübel zur Übernahme
«Internationaler Finanzplatz der Schweiz ist gestorben»

Seit Sonntagabend herrscht Gewissheit: Die UBS rettet die zweitgrösste Schweizer Bank, die Credit Suisse, vor dem Untergang. Wie es so weit kommen konnte? Oswald Grübel zählt im Blick-Interview den Verwaltungsrat der CS zum Hauptschuldigen an der Misere.
Publiziert: 24.03.2023 um 17:51 Uhr
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Aktualisiert: 25.03.2023 um 10:09 Uhr
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Wäre Oswald Grübel 20 Jahre jünger, würde er auch heute noch eine Schweizer Grossbank führen wollen.
Foto: Zamir Loshi
René Scheu

Knapp eine Woche ist es her, dass die Notfusion der beiden grössten Schweizer Banken beschlossen wurde. Oswald Grübel (79) führte sowohl die Credit Suisse als auch die UBS als Chef. Am Rande einer Veranstaltung des Efficiency Clubs in Zürich traf Blick die Bankerlegende, wo er jungen Leuten Red und Antwort stand. Der Untergang der traditionsreichen Credit Suisse rühre ihn dann doch an seinen patriotischen Gefühlen.

Blick: Herr Grübel, wären Sie heute noch gerne Banker oder sind Sie froh, es nicht mehr zu sein?
Oswald Grübel:
Ich bin immer noch gerne Banker, wenn auch nur in privater Absicht. Mein Tag fängt an, indem ich die Wirtschafts- und Politiknachrichten der Welt studiere. Ich liebe es, herauszufinden, wie die verschiedenen Länder entscheiden.

Gut. Ich frage anders. Wären Sie heute gerne CEO einer Schweizer Grossbank?
Wäre ich 20 Jahre jünger, klar – noch so gerne! Banken sind wichtig, Banker üben eine wichtige Funktion aus. Und es ist ein gutbezahlter Beruf.

Banker, einst ein Ehrentitel, haben heute das schlechtestmögliche Image. Sie sind zum Inbegriff des Abzockers geworden. Stört Sie das?
Abzocker sind Angestellte, die Verluste erwirtschaften und dessen ungeachtet für sich selber Boni fordern. Ich halte das für unanständig. Leute, die das tun, darf, ja sollte man als Abzocker bezeichnen. Aber alle anderen eben nicht. Das Problem in aufgeheizten Phasen wie der jetzigen ist, dass über alle anderen anständigen Angestellten niemand spricht.

Die UBS hat auf Anraten von Bundesrat, SNB und Finma die 1856 gegründete Credit Suisse geschluckt. Sind Sie traurig – oder froh?
Das richtige Wort wäre wohl eher: enttäuscht. Ich habe zwar keinen Schweizer Pass, aber der Untergang der traditionsreichen Bank rührt an meine patriotischen Gefühle.

Beginnen wir positiv. Was ist die Stärke dieser Lösung, die von Regierung und Behörden letzte Woche unter Hochdruck ausgeheckt wurde?
Die Stärke ist: Es ist eine Lösung. Sie setzte dem Bank Run auf die CS, den die Schweiz unmöglich geschehen lassen konnte, ein Ende. Allerdings ist es zugleich eine fragliche Lösung.

Inwiefern?
Der Schweizer Finanzplatz ist damit als internationaler Finanzplatz faktisch gestorben. Das merken wir womöglich erst in zehn Jahren, aber dieses Schicksal ist schon heute besiegelt. Ein Finanzplatz mit nur einer internationalen Bank ist keiner – er tut vielleicht noch so, als sei er einer, aber er macht sich etwas vor. Dieser Abstieg wird auch das Selbstverständnis der Schweiz verändern. Es kommen Phantomschmerzen auf uns zu, endlose Debatten. Nun ja. Die Schweiz wird es überleben.

Sie haben selbst einen Vorschlag lanciert. Er zielte darauf ab, die CS zu verstaatlichen. Aber jetzt mal ernsthaft: Warum sollte ausgerechnet das Finanzministerium oder die SNB in der Lage sein, eine angeschlagene Bank zu führen?
Das wären sie nicht – und das war auch nicht mein Vorschlag. Meine Idee war eine andere. Die SNB, die ja ihre Bilanz in den letzten Jahren auf 1000 Milliarden aufgebläht hat, hat ja über Jahre Aktien auf der ganzen Welt zusammengekauft. Statt weiter in Apple etc. zu investieren, hätte sie auch alle Aktien der CS kaufen und einen valablen CEO holen können, und dieser hätte einen kompetenten, entschlussfähigen Verwaltungsrat um sich geschart. Dann hätte die CS aufgeräumt und seriös geschäftet, in einigen Jahren wäre die CS wieder 50 Milliarden wert gewesen. Es wäre dies der beste Deal gewesen, den die SNB je abgeschlossen hat.

Persönlich Oswald Grübel

Oswald Grübel (79) ist die einzige Person, die beide Schweizer Grossbanken geleitet hat. Von 2003 bis 2007 war der gelernte Bankkaufmann CEO der Credit Suisse, ab 2009 leitete er für zwei Jahre die UBS. Grübel stammt aus Ostdeutschland und verlor im Krieg seine Eltern. Nachdem er zunächst bei den Grosseltern aufgewachsen war, flüchtete er in den 50er-Jahren in den Westen. 1970 stiess er zur Credit Suisse. Die Bankerlegende hat sein Büro wenige Fussminuten vom Paradeplatz in Zürich entfernt. Von hier aus verwaltet Grübel sein eigenes, mutmasslich dreistelliges Millionenvermögen.

Oswald Grübel (79) ist die einzige Person, die beide Schweizer Grossbanken geleitet hat. Von 2003 bis 2007 war der gelernte Bankkaufmann CEO der Credit Suisse, ab 2009 leitete er für zwei Jahre die UBS. Grübel stammt aus Ostdeutschland und verlor im Krieg seine Eltern. Nachdem er zunächst bei den Grosseltern aufgewachsen war, flüchtete er in den 50er-Jahren in den Westen. 1970 stiess er zur Credit Suisse. Die Bankerlegende hat sein Büro wenige Fussminuten vom Paradeplatz in Zürich entfernt. Von hier aus verwaltet Grübel sein eigenes, mutmasslich dreistelliges Millionenvermögen.

Eine solche Strategie hätte Zeit erfordert. Die gab es zuletzt nicht mehr.
Stimmt. Letzte Woche wurde überhastet agiert, weil man bloss noch reagierte – noch im letzten Herbst hätte die SNB souverän kommunizieren können, dass sie nichts anbrennen lässt. Denn eigentlich war allen involvierten Parteien damals schon klar, dass die CS an einem dünnen Faden hängt. Aber eben, das geschah nicht.

Warum nicht?
Ich kann nur mutmassen. Die Finma wusste offensichtlich zu wenig über den genauen Gang der Geschäfte. Sie wussten nicht, wie gefährlich die CS positioniert ist.

Nämlich?
Dass die CS zu wenig kompetentes Personal mit Banken-Erfahrung hat.

Die Aufsichtsbehörde kann doch einem privaten Unternehmen nicht befehlen, die Geschäftsleitung oder den Verwaltungsrat neu zu bestellen.
Sie kann es nicht befehlen, aber sie kann gegenüber dem Verwaltungsrat sehr deutlich machen, dass er seinen Pflichten nachkommt und für eine verantwortungsvolle Geschäftsführung sorgt.

Sie zählen also den Verwaltungsrat der CS zum Hauptschuldigen an der Misere?
Ich betreibe kein Shaming and Blaming. Aber es ist ja klar: Die Führung hat versagt. Die Leute haben sich um alles Mögliche mehr gekümmert als um das Kerngeschäft einer Bank, nämlich Vertrauen herzustellen, Risiken zu managen und Geld zu verdienen. Und ich nehme mal an, dass sie das nicht getan haben, weil ihnen die Erkenntnis fehlte. Doch dann frage ich mich – warum wählt man Leute in den Verwaltungsrat, die im besten Fall eine theoretische Kenntnis des Geschäftes haben?

War das früher anders?
Natürlich – und es müsste auch heute anders sein. Es braucht kompetente Verwaltungsrats-Mitglieder, die das Geschäft kennen, das richtige Management selektieren und einstellen können. Die genug Wissen haben, um das Management und die Risiken zu hinterfragen.

Okay. Welches war aus Ihrer Sicht der letzte grosse Fehler, der das Schicksal der CS besiegelte?
Es waren nicht irgendwelche Tweets, wie nun gerne gesagt wird. Es war vielmehr eine unternehmerische Entscheidung, die grundfalsch war: Der grosse strategische Fehler bestand meiner Meinung nach in der Kapitalerhöhung, die die CS im Spätherbst 2022 durchführte. Damit läutete sie die letzte Etappe des Abstiegs ein.

Warum das?
Der Zeitpunkt konnte nicht schlechter sein – die Erhöhung wurde bekannt gegeben, als die Aktie noch 4 Franken wert war und der Bezugspreis der neuen Aktien 2.57 Franken. Zudem wurden die Aktien zu einem Viertel des Buchwerts gehandelt. Man muss kein Genie zu sein, um zu realisieren, dass die Ausgabe von Aktien bei einem so tiefen Buchwert grössere Probleme signalisiert. Die Abwärtsspirale war nicht mehr aufzuhalten, der letzte Ausverkauf der Bank begann.

Die Schweiz hatte nach der Finanzkrise 2008 ff. eine «Too big to fail»-Gesetzgebung eingeführt, die offensichtlich das Papier nicht wert war, auf dem sie stand. Hand aufs Herz: War dies der Finma und den Bankern nicht eigentlich die ganze Zeit klar?
Das kann man so nicht sagen. Die Gesetzgebung war in den Grundzügen bestimmt richtig und durchdacht. Was ich allerdings weiss: Im damaligen Expertengremium sassen viele Professoren und kluge Leute, aber wenig Banker. Das heisst: Es gab viel Theorie, aber wenig Praxisbezug. Sie können so viel Eigenkapital haben, wie Sie wollen. Wenn die Liquidität knapp wird und ein Bank Run stattfindet, dann haben Sie ein echtes Problem. Daran hat man anscheinend zu wenig gedacht.

In der Diskussion wird nun fein säuberlich zwischen Liquiditätskrise, Insolvenzkrise und Vertrauenskrise unterschieden. Aus Ihrer Sicht zurecht?
Absolut. Vertrauen ist im Bankgeschäft alles. Fehlt das Vertrauen, haben Sie zuerst ein Liquiditätsproblem – und irgendwann auch ein Solvenzproblem. Sie stehen allein da, niemand will mehr mit Ihnen geschäften. In den vergangenen zehn Jahren hat sich viel verändert. Die Welt ist über die Medien vernetzt wie nie zuvor, sie ist zum Dorf geworden – ein Husten irgendwo kann einen Sturm hierzulande auslösen, nur weil darüber berichtet wird.

Die «Too big to fail»-Gesetzgebung sah ebenfalls vor, den Schweizer Teil des Geschäfts aus der Universalbank herauszulösen. Das hätte im Ernstfall doch nie funktioniert, das hätten die Amerikaner und Briten niemals mit sich machen lassen. Oder doch?
Richtig. Das war Wunschdenken – allerdings nicht der Banker, die im Gremium ja weitgehend fehlten, sondern der Behörden.

Wäre es nun ein kluger Move, das Schweizer Geschäft der Credit Suisse aus dem Koloss herauszulösen und eine Art neuer Schweizer Kreditanstalt zu schaffen? Die Märkte haben sich ja einigermassen beruhigt, der Bank Run ist erst mal Geschichte.
Wiederum: nette Gedankenspielerei. Aber es taugt aus zwei Gründen nicht. Erstens hat die UBS einen Vertrag, und davon rückt sie nicht ohne Weiteres ab. Mit der Übernahme der CS hat die UBS ein gutes Geschäft gemacht, Kompliment. Zweitens: Wenn jetzt plötzlich alles wieder anders wäre, würden die Schweizer Repräsentanten als komplett unzuverlässige Zeitgenossen dastehen. Das geht nicht.

Wie geht es nun weiter?
Die Dinge gehen ihren Gang. Der internationale Finanzplatz der Schweiz ist Geschichte. Aber die Schweiz ist nicht Geschichte. Sie sollte sich auf ihre unternehmerischen Qualitäten besinnen – und dem Vergangenen nicht nachweinen. Mehr Mut!

Interviewer René Scheu ist Blick-Kolumnist, Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern.

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Ökonom Aymo Brunetti:«‹Too big to fail›-Regulierung ist der letzte Ausweg»
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