In ganz Europa herrscht Flugchaos. Ganz Europa? Nein! Am Regionalflughafen Bern geht es so gemächlich zu und her wie immer. Der Flughafen fordert seine Reisenden auf, 45 Minuten vor Abflug vor Ort zu sein. Andernorts stellen sich die Passagiere vier Stunden vor Abflug in die Schlange, um rechtzeitig in die Luft zu kommen. Der Flughafen Bern rühmt sich denn auch mit den «kürzesten Check-in-Zeiten der Schweiz».
Das gewinnt bei den Passagieren in Zeiten des Sommer-Flugchaos an Beliebtheit. «Die Flüge sind derzeit extrem gut ausgelastet», sagt Urs Ryf (57), CEO des Flughafens Bern, im Gespräch mit Blick. In den kommenden Wochen werden wohl noch mehr Passagiere auf den Regionalflughafen umsteigen.
Hotelplan, der grösste Schweizer Reiseveranstalter, fordert seine Kundinnen und Kunden diesen Sommer dezidiert zu Reisen über Bern statt Zürich oder Genf auf. «Wir spüren, dass wir vermehrt Buchungen ab Bern haben», schreibt Hotelplan-Sprecherin Bianca Gähweiler auf Anfrage.
12 Destinationen statt 200
Aber wie ist es möglich, dass Europa im Flugchaos versinkt – und Bern verschont bleibt? «Ein Regionalflughafen ist nicht mit einem Grossflughafen zu vergleichen. Die Wege in Bern sind kurz», sagt Flughafen-CEO Urs Ryf. «Vom Parkplatz zum Check-in sind es 200 Meter. Vom Check-in in die Abflughalle 50 Meter.»
Kommt hinzu, dass der Flughafen Bern im Vergleich zu Zürich eine winzig kleine Zahl an Flügen abwickelt. Neben Hotelplan bieten auch Tui und Belpmoos Reisen Charterflüge an. Hinzu kommen Linienflüge nach Deutschland sowie eine Handvoll Privatflüge am Tag.
Insgesamt werden diesen Sommer gerade einmal zwölf Destinationen angeflogen. Zum Vergleich: Vom Flughafen Zürich gibt es Direktverbindungen zu rund 200 Flughäfen weltweit.
Der Berner Flughafenchef Ryf will sich denn auch nicht mit Zürich messen, schon gar keine Kritik an den teils chaotischen Zuständen an anderen europäischen Flughäfen äussern. «Bei uns finden die Flüge einer nach dem anderen statt. Wenn alle gleichzeitig ankommen würden, hätten wir auch zu wenig Personal.»
Wer Koffer schleppt, ist auch in der Feuerwehr
Genau daran fehlt es der Luftfahrtbranche nach zwei harten Corona-Jahren rund um die Welt. Von Zuständen wie in Bern-Belp können Swissport und Co. nur träumen. «Wir haben seit Anfang Jahr mehr als 20 Mitarbeitende rekrutiert», erzählt Ryf. «Wir hatten kaum Mühe, die Leute zu finden.»
Denn: Bern-Belp zahlt deutlich besser als etwa Swissport. Statt Hilfsarbeiter laden hier gelernte Fachleute das Gepäck aus den Flugzeugen, organisieren den Check-in. «Wir achten bei der Rekrutierung darauf, dass wir alle Metiers vertreten haben – vom Schreiner bis zum Automechaniker», so Ryf. Die Angestellten können so praktisch überall mit anpacken. «Einen Flug abzuwickeln, dauert zwei bis drei Stunden. Danach arbeiten die Leute zum Beispiel an der Infrastruktur des Flughafens weiter.»
Auch gibt es am Flughafen Bern keine Mitarbeitenden, die einzig und allein in der Feuerwehr arbeiten. «Das könnten wir uns gar nicht leisten. Alle müssen das können: Wer den Koffer entgegennimmt, ist gleichzeitig auch in der Feuerwehr», sagt Ryf.
Luft nach oben
Dass sein Regionalflughafen durch das europäische Flugchaos plötzlich an Beliebtheit gewinnt, freut Ryf. «Das ist für uns eine Chance zu wachsen.» Dafür ist Ryf aber auf Hotelplan und Co. angewiesen. «Ab Anfang Juli ist in Bern eine Helvetic-Maschine stationiert. Sie hätte an zwei Wochentagen noch freie Kapazitäten, die man kurzfristig chartern könnte.»
Weder bei Hotelplan noch Tui gibt es dafür aktuell aber konkrete Pläne. Im bestehenden Angebot gibt es noch genügend Last-minute-Plätze zu ergattern, so die Reiseveranstalter. Wie es langfristig aussieht, ist noch völlig offen und hängt von den Entwicklungen in der Luftfahrt ab.
Ryf ist optimistisch: «Hoffentlich haben wir nächsten Sommer ein noch grösseres Angebot!»
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