Euro unter Parität – na und? Blick beantwortet die wichtigsten Fragen
Das musst du zum tiefen Fall des Euro wissen

Einen Euro gibts jetzt sogar für weniger als einen Schweizer Franken. Blick erklärt den historisch tiefen Wechselkurs und beantwortet die drängendsten Fragen.
Publiziert: 13.07.2022 um 01:19 Uhr
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Aktualisiert: 13.07.2022 um 08:15 Uhr
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Die Euro–Franken-Parität wurde erreicht, mehr noch: Der Euro rutscht weiter unter die Marke von einem Franken ab.
Foto: Keystone
Nicola Imfeld

Nicht 1.20 Franken, auch nicht mehr 1.10 Franken. Der Euro ist in den letzten Tagen unter die Parität gerutscht und kostet damit jetzt weniger als einen Franken. Aktuell gibts den Euro für 0.9836 Franken. Seit der Einführung der Gemeinschaftswährung im Januar 2002 war dieser nur einmal noch billiger, nämlich am Tag der Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) im Januar 2015 mit 0.8423 Franken.

Auffallend heute: In der Schweizer Wirtschaft bleibts trotz historisch tiefem Wechselkurs ruhig. Im Gegensatz zu damals, als der Aufschrei gross war.

Die Exporteure haben da noch Albträume von der Parität, fürchten einen erheblichen Wettbewerbsnachteil. Jetzt, gut sieben Jahre später, ist die Parität Tatsache – doch bis auf Stadler-Rail-Chef Peter Spuhler (63) geben sich alle locker. «Es gibt auch nichts zu beanstanden, denn die Schweizer Exporteure sind immer noch konkurrenzfähig», sagt Finanzexpertin Christa Janjic-Marti (52) vom Beratungsunternehmen WPuls.

Blick erklärt das Einmaleins zum Euro-Franken-Wechselkurs und beantwortet die drängendsten Fragen:

Vor- und Nachteile der Parität?

Lässt man die Inflation aussen vor, so besagt die Daumenregel: Importeure profitieren von einem tieferen – also schwächeren – Wechselkurs, Exporteure leiden. «Für uns Konsumenten ist der tiefere Wechselkurs ein grosser Vorteil. Weil die Importeure günstiger einkaufen können, sinken auch für uns die Preise», sagt Janjic-Marti. Wer aber auf dem internationalen Markt bestehen und mit der weltweiten Konkurrenz um Abnehmer kämpfen muss, der hat es bei einem schwächeren Wechselkurs schwerer.

Der grosse Vorteil des aktuellen Wechselkurses für Herrn und Frau Schweizer: Die Energiekosten, die wegen des Ukraine-Kriegs massiv angestiegen sind, werden durch den starken Franken etwas abgefedert. Janjic-Marti: «Die faire Bewertung ist der Mittelweg, mit dem alle leben können, aber niemand ganz zufrieden ist.»

Wie «bewertet» man eigentlich den Franken?

Man stellt sich zwei Fragen: Um wie viel sind die Preise im Ausland gestiegen? Und um wie viel sind die Preise in der Schweiz gestiegen? Die Differenz soll der Wechselkurs ausgleichen. Fällt der Ausgleich zu tief aus, so ist der Wechselkurs zu stark. Fällt der Ausgleich zu stark aus, so ist der Wechselkurs zu schwach. «Die Bewertung ist ein nützlicher Indikator für den Wechselkurs», sagt Janjic-Marti. «Doch in der Realität wird der Wechselkurs nie ganz genau dort sein, wo er aufgrund der Bewertung sein müsste.» In der Schweiz war der Euro-Franken-Wechselkurs in den letzten Jahren zu stark. «Erst jetzt, mit dem massiven Inflationsschub, hat sich die Bewertung über die Inflation korrigiert.»

Warum nehmen die Exporteure die Parität einfach so hin?

Die ausländischen Mitbewerber sind heute klar schwächer als noch 2015. Sie mussten ihre Preise deutlich stärker anheben als die Konkurrenz aus der Schweiz. Stichwort Inflation. «Die Produzentenpreise sind im Euro-Raum stark gestiegen, weil die Firmen mit massiv höheren Strom-, Energie- und Rohstoffrechnungen konfrontiert sind», sagt Janjic-Marti. Die gestiegenen Kosten können die Produzenten zu einem Grossteil auf den Konsumenten überwälzen – das ergibt dann die Inflation. Im Euro-Raum liegt diese derzeit bei 8,1 Prozent. In der Schweiz gerade mal bei 3,4 Prozent.

Janjic-Marti fasst zusammen: «Die Lage für die Schweizer Exporteure bleibt trotz aktuell starkem Wechselkurs gut, weil die Konkurrenz aus dem Euro-Raum ihren Vorteil, den sie dank des schwachen Wechselkurses eigentlich hätten, mit Preiserhöhungen zunichtegemacht haben.»

Warum greift die SNB nicht ein?

«Weil der Franken jetzt nicht mehr überbewertet, sondern fair bewertet ist», sagt Janjic-Marti. Für die Nationalbank wäre eine erneute Intervention kaum zu rechtfertigen. Dass die SNB derzeit nicht mehr ständig auf den Wechselkurs schauen muss, schafft Raum für Neues. «Die Nationalbank kann sich nun wieder anderen geldpolitischen Zielen widmen», sagt die Expertin. Ein Beispiel sei die ungesunde Preisentwicklung im Schweizer Immobilienmarkt. Die historische Zinsanhebung im Juni um 0,5 Prozentpunkte sei, neben der Kampfansage an die Inflation, auch eine Antwort darauf gewesen.

Die Sommerferien stehen an. Haben wir dank dem Wechselkurs im Euro-Raum mehr Geld zur Verfügung?

«Wir werden staunen», sagt Janjic-Marti. «Es wird für viele überraschend sein, wie wenig uns der starke Franken im Ausland beschert.» Die Schweizerinnen und Schweizer werden in Italien, Frankreich, Deutschland und Co. in etwa gleich viel bezahlen wie vor einem Jahr. «Die Wechselkursaufwertung wird die starke Teuerung im Euro-Raum wettmachen. Nicht mehr, und nicht weniger.»

Wie sieht die Prognose aus?

Aktuell ist der Franken nahezu fair bewertet. Es gibt also keinen Grund, dass sich der Franken kurz- oder mittelfristig nochmals stark auf- oder abwerten soll. Doch in der Realität reagiert der Schweizer Franken empfindlich auf die weltweite Konjunkturlage. Und diese dunkelt sich gerade ein. «Wir können davon ausgehen, dass die schwierige Situation der ersten Jahreshälfte seine Fortsetzung findet», sagt Janjic-Marti. Der Krieg in der Ukraine hält weiter an, die Energieprobleme dürften noch schlimmer werden. «Die Angst vor einer Rezession ist real. In einem solchen Umfeld wird der Franken, der als sicherer Hafen gilt, eher noch stärker werden.»

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