Vor wenigen Tagen hat die Schweiz – je nach Lesart – eine Grenze überschritten oder einen Meilenstein erreicht: Ende September lebten erstmals mehr als 9 Millionen Menschen im Land. Rund 6,5 Millionen davon sind Schweizerinnen und Schweizer; die anderen 2,5 Millionen haben keinen roten Pass. Klar ist: Wir steuern auf die Schwelle von 10 Millionen Menschen zu, was aber eine Initiative der SVP – die sogenannte Nachhaltigkeitsinitiative – verhindern will. «Die regelrechte Bevölkerungsexplosion überfordert unsere Infrastrukturen», schreiben die Initianten und Initiantinnen. Weiter monieren sie, dass die «unkontrollierte Zuwanderung» die Natur zerstöre und die Mieten hochtreibe. «Nach dem Zustrom von über 180'000 Menschen in einem einzigen Jahr» müsse «endlich gehandelt werden», fordert die Volkspartei.
Gleichzeitig kämpfen weite Teile der Schweizer Wirtschaft mit einem Fachkräftemangel. Das Gesundheitswesen, die Gastronomie, der Tourismus und das technische Gewerbe suchen händeringend Personal, das sie oft nur im Ausland finden, im europäischen Ausland. Weitere Branchen müssen noch internationaler rekrutieren, um offene Stellen mit kompetenten Mitarbeitenden besetzen zu können. Zu denken ist insbesondere an Unternehmen im Informatik- und Softwarebereich, die in Serbien, Indien oder in Asien fündig werden. Doch während die Rekrutierung innerhalb von Europa dank der Personenfreizügigkeit administrativ einigermassen problemlos möglich ist, verhindern politisch gewollte Kontingente die Anstellung von Mitarbeitenden aus Drittstaaten öfter als von der Wirtschaft gewünscht.
Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Klar ist: Ohne die Arbeit von Ausländerinnen und Ausländern würde in der Schweiz in vielen Branchen kaum mehr etwas gehen. Zu denken ist in erster Linie an das Gesundheitswesen und die Altenpflege, aber auch an die Gastronomie, die Beherbergung oder die Bauwirtschaft. Und klar ist auch: Die Schweiz war, ist und bleibt ein Zuwanderungsland. Ihre Wirtschaft verdankt ihre Stärke auch Zugewanderten, die sich in der Schweiz niedergelassen und ihre Unternehmen von hier aus gross gemacht haben. Man denke an Hans Wilsdorf und Rolex, Henri Nestlé und Nestlé, Nicolas Hayek und die Swatch Group oder an Kaspar Winkler und Sika. Von den 9 Millionen Menschen, die heute in der Schweiz leben, stellen wir hier neun vor: Sie wurden alle woanders geboren, sind unbekannt oder auch bekannt; ihre Story ist auf jeden Fall interessant.
«Ich bin Humanistin, Araberin, Muslimin – und Schweizerin»
Prof. Dr. Elham Manea, Titularprofessorin Uni Zürich und Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission für Migration
Ungewohnte Stille. Das war der erste Eindruck, den die Menschenrechtlerin Elham Manea hatte, als sie 1995 mit ihrem Schweizer Mann Thomas aus einem quirligen internationalen Studentenhaus in Washington nach Bern zog. Sie habe dann bei den Nachbarn angeklopft, sich vorgestellt und gefragt, ob man nicht einen Kaffee trinken wolle. «Die Berner erinnern mich an die Jemeniten. Es dauert, bis sie sich öffnen», sagt sie in Erinnerung an ihre erste Nationalität.
Manea, durch den Diplomatenberuf ihres Vaters in verschiedenen Ländern aufgewachsen, paukte Deutsch und startete nach dem Doktorat an der Uni Zürich nahtlos ihre Karriere bei Swissinfo, wurde stellvertretende Chefredakteurin des arabischen Dienstes. «Die Arbeit verschaffte mir einen soliden Hintergrund sowohl über die Mena-Region als auch über die Schweiz.» In dieser Zeit wurde sie auch Schweizerin: «Mein Mann und ich leben noch heute in derselben Strasse wie damals, nirgends habe ich länger gelebt. Ich arbeite hier, zahle Steuern und identifiziere mich mit diesem Land, seinem System und seinen Werten.»
Um Neues zu lernen, wechselte sie an die Uni, forscht und publiziert interdisziplinär: Regionalpolitik der Arabischen Halbinsel, fragile Staaten in Konfliktgebieten der Mena-Region, Gender und Politik sowie Frauen unter muslimischen Recht. Während es schwer ist, mit diesen Schwerpunkten einen festen Lehrstuhl zu finden (aufgepasst, liebe Unis und Sponsoren!), nutzt sie ihren persönlichen und beruflichen Hintergrund auch für literarische Arbeiten und ist als Expertin gefragt: «Ich betrachte mich als Humanistin, Araberin, Muslimin und natürlich auch als Frau.» Das sei die Linse, durch die sie die Welt sehe – und durch die sie über die arabische Welt aufklärt und zu Menschenrechtsverletzungen Stellung bezieht.
Seit vier Jahren engagiert sie sich in der Eidgenössischen Migrationskommission (EKM), brachte dort beispielsweise beim Ausbruch des Ukraine-Kriegs politische Massnahmen wie den S-Status zur Bewältigung der Flüchtlingskrise auf den Weg. Ihr Amt dort will sie nun aufgeben, zugunsten eines noch grösseren Herzensmandats: der Unterstützung des Friedensprozesses im Jemen. Sie will ihrem Herkunftsland langfristig dienen. Ein Umzug käme allerdings auch bei Kriegsende nicht in Frage. Die Schweiz sei schliesslich ihre Heimat. (kin)
Vom Schatten ins Licht der Schweizer Fussballwelt
Miloš Malenović, ehemaliger Fussballer und Spielerberater, nun Sportchef beim FC Zürich
Schon im Teenageralter war Miloš Malenović ein Junge mit mehreren Talenten. Mit 15 hätte der in Belgrad geborene Zürcher dank seiner Begabung am Akkordeon das Konservatorium in Winterthur besuchen können. Er entschied sich jedoch für jene Berufung, der er bis heute treu geblieben ist: für den Fussball. Nachdem er die fussballerische Ausbildung beim FC Zürich begonnen hatte, wechselte Malenović in ebenjenem Alter zum Stadtrivalen GC. Für die Grasshoppers gab der schweizerisch-serbische Doppelbürger dann sein Profidebüt. Durchsetzen konnte er sich in der höchsten Schweizer Liga aber nie. Und eine falsch diagnostizierte Verletzung während seines Auslandsabenteuers in Holland zwang ihn zum Karriereende – mit 26.
Das Aus als Fussballer war gleichzeitig der Startschuss für seine Laufbahn als Spielerberater. In diesem hart umkämpften Business konnte sich Malenović mit seiner Agentur schnell behaupten. Er agierte aber nicht als reiner Dealmaker, sondern diente seinen kickenden Kunden als Berater und Umsorger. Trotz gewisser Nebengeräusche etwa wegen seines Wirkens im Umfeld der Grasshoppers und von Ajax Amsterdam erarbeitete sich Malenović den Ruf eines cleveren Branchenkenners, der auf klare Strukturen und Abläufe setzt. Sein Portfolio liess sich sehen: Das Aushängeschild war Dušan Tadić. Daneben verhalf er mehreren Schweizern zum Wechsel ins Ausland, zuletzt dem Nati-Stürmer Zeki Amdouni bei dessen Transfer von Basel zu Burnley in die Premier League.
Letzte Woche erfüllte Malenović einen weiteren Traum – und zwar sich selbst: Der 38-Jährige ist nun Sportchef beim FC Zürich, womit er aus dem Schattenbusiness der Spielerberater ins grelle Licht der Medienaufmerksamkeit getreten ist. «Es war immer ein Wunsch, einmal auch in einem Klub Verantwortung zu übernehmen», sagte er bei seiner Präsentation vor der Presse. Für den FCZ-Job gab er seine Spieleragentur Soccer Mondial ab – und nahm Lohneinbussen in Kauf, wie er freimütig offenbarte. Sein Schlüssel zum Erfolg: «Fussball ist ein emotionaler Sport, aber ein kühler Kopf ist gut, um zu analysieren.» (mth)
Einst Putzfrau, verkauft sie heute Luxusimmobilien in St. Moritz
Maura Wasescha, selbstständige Immobilienmaklerin und Gründerin der Maura Wasescha AG
Vor Jahrzehnten wanderte Maura Wasescha von Italien in die Schweiz nach St. Moritz ein und arbeitete zunächst als Putzfrau für Reiche. Lange war sie für Reinigungsarbeiten bei der Immobilienfirma Interhome angestellt. Ihre Chefin musste öfter Korrespondenz mit Italienern führen, die in der Gegend Immobilien besassen. Dabei konnte ihr Wasescha gut mit Übersetzungen helfen, denn sie hatte in Italien die Matura gemacht.
Bald bemerkte Interhome-Gründer Bruno Franzen, dass Maura Wasescha viel mehr konnte als nur putzen und übersetzen. Sie konnte auch verkaufen. Und wie! Es dauerte nicht lange, bis sie die beste Interhome-Verkäuferin in Europa war und die Filiale in St. Moritz übernahm. Später machte sie sich selbstständig. Seit dem Jahr 1997 hat sie ihre eigene Firma, die Maura Wasescha AG. Damit hat sie sich über die Schweizer Grenze hinaus einen Namen gemacht. Der Erfolg im Immobiliengeschäft sei harte Arbeit. Es gebe für sie keinen Feierabend, sie sei immer für Kunden und Kundinnen da, auch an Sonntagen, sogar an Weihnachten. Dabei hat sie vier Kinder.
10-Millionen-Schweiz: Wie viele Menschen haben noch Platz?«Unternehmer sind meine liebsten Kunden», sagte die Maklerin einst gegenüber dem Wirtschaftsmagazin «Bilanz». «Die wissen, worum es geht, haben ihr eigenes Geld riskiert.» Managerinnen und Manager dagegen investierten das Geld anderer. Wasescha ist auf den Verkauf von Luxusimmobilien spezialisiert. Zur Definition von Luxus sagt Wasescha: «Es darf nichts Vergleichbares geben.» In St. Moritz sind das Villen, die auch mal 50 Millionen Franken oder mehr kosten können.
Der Verkauf von solchen Luxusimmobilien ist ein Geschäft, das mit sehr viel Aufwand verbunden ist und ein gutes Netzwerk bedingt, das ihr Vertrauen entgegenbringt. Wenn der Verkauf gelingt, verdient nicht nur Wasescha gut, sondern auch der Notar und der Staat. Im Kanton Graubünden behält der Notar 1 Prozent selber, 1,3 Prozent gehen für Steuern und Gebühren an den Staat. Für Maura Wasescha können zwischen 1 und 3 Prozent übrig bleiben. Bei einer Villa für 50 Millionen Franken wären das 0,5 bis 1,5 Millionen Franken. (hb)
Der «Picasso der Gärtner»
Enzo Enea, weltweit agierender Landschaftsdesigner der Enea GmbH
Wenn eine legendäre Hotelmarke wie «The Peninsula» ihr erstes Haus in London eröffnet, ist das ein Grossereignis. Vom Lobbyduft über Türklinken und Zimmervorhänge bis zum Design der Uniformen muss alles bis ins kleinste Detail stimmen. Zum Opening des Fünf-Sterne-Schmuckstücks vor einem Monat blickte die Hotelwelt nach London. Auch in den Innenhof des dortigen «Peninsula», dessen Garten mit kaskadenförmigem Efeu und zwei 120 Jahre alten japanischen Ahornbäumen bepflanzt ist. Um diesen Signature Courtyard standesgemäss einrichten zu lassen, taten die Planer des «Peninsula London» das, was alle tun, eine Bepflanzung im Highend-Segment wünschen: Sie klingeln bei jenem Mann, der wahlweise als «Baumflüsterer», «Paradiesbauer» und «Picasso der Gärtner» bezeichnet wird. Sie rufen Enzo Enea an.
Der Landschaftsdesigner hat sich von Rapperswil SG aus zu einem der weltweit führenden Grünraumgestalter hochgeackert. Eine Karriere, die so kaum vorauszuahnen war. Die Familie Enea stammt aus der Emilia-Romagna, Enzo Eneas Vater Franco Enea wanderte in die Schweiz ein und gründete 1973 einen Terrakottahandel in Schmerikon SG. Als Sohnemann Enzo den Betrieb 1993 übernahm, baute er den damaligen Drei-Personen-Betrieb und die internationale Präsenz stark aus; das diesjährige 50-Jahr-Jubiläum des Unternehmens feiert Enzo Enea mit über 240 Mitarbeitenden. Nicht nur in Rappi, sondern auch in Niederlassungen in Milano, Miami und New York. Dass das hierzulande ausserhalb der Baum-Bubble wenig bekannt ist, ist so gewollt und hat System.
Enzo Enea pflegt nicht die Rolle eines Grünzeug-Dandys, ganz im Gegenteil. Eine Firma unter eigenem Namen zu führen, sei «eine ernste Sache», liess er die «Handelszeitung» einst wissen. Dass er damit eher wie ein Schweizer Buchhalter als wie ein Ahorn-Agnelli wirkt, fasst einer wie er deshalb als Kompliment auf: «Ich habe italienische Wurzeln, aber ich fühle mich als Schweizer», sagte Enea. Genauigkeit, Hartnäckigkeit und Termintreue seien Qualitäten,«die ich gerne vom Schweizer Buchhalter übernehme». Was sagt man da? Vielleicht dies: Dieser Secondo hat definitiv Wurzeln geschlagen. (ag)
Der König der Krebsdaten
Jurgi Camblong, Co-Gründer und Chef von Sophia Genetics
Sein Vater gab ihm damals sechs Monate in der Schweiz. Inzwischen ist Jurgi Camblong, gebürtiger Baske, seit mehr als zwanzig Jahren hier und einer der erfolgreichsten Big-Data-Unternehmer der Schweiz, wenn nicht Europas. Sophia Genetics prozessiert Daten von Krebsbehandlungen, damit diese bei Therapieentscheidungen einfliessen können und so die Behandlungschancen verbessert werden können; ein Zukunftsfeld, auf dem sich neben dem Selfmademan vom Genfersee auch Pharmagiganten wie Roche tummeln. «Das Ganze ist ganz einfach», sagte er vor zwei Jahren den etwas begriffsstutzigen Journalisten der «Handelszeitung» in einem Interview. Es sei ja auch einfacher, die Lauberhornabfahrt zu machen, wenn man sich vorher TV-Bilder angeschaut habe.
Von seinem neuen Hauptsitz in Rolle VD aus steuert der 45-jährige EPFL-Absolvent ein Unternehmen mit 450 Mitarbeitenden. Beim Kampf um die Talente setzt er auf Christmas-Partys und Crêpes und darauf, dass er den Leuten etwas bieten kann, womit sich Big Tech und Big Pharma schwertun: Impact und eine grosse Portion Idealismus. Der Überflieger aus der Romandie ist überzeugt, dass es falsch ist, bei Big Data allein auf die USA zu schielen, und dass gerade wenn es um höchst sensible Gesundheitsdaten geht, die Zukunft in Europa liegt – eben weil der alte Kontinent Big Data stärker reguliert. Gar nicht glücklich ist er, wenn man Sophia Genetics mit Amazon vergleicht. Datensicherheit sei entscheidend bei Sophia Genetics, und da habe Jeff Bezos einen schlechten Ruf.
Unternehmerisch läuft es gut für Sophia Genetics. Die Firma hat weltweit mehr als 750 Spitäler unter Vertrag. Eben erst ist es Camblong gelungen, den wichtigsten Gesundheitsmarkt, die USA, zu knacken. Das Universum des Datengiganten umfasst 1,2 Millionen genomische Profile, ein Spitzenwert. Mau sieht es beim Aktienkurs aus, der hat seit dem fulminanten Börsenstart 2021 stark gelitten. Für den leidenschaftlichen Fussballer und Fan des baskischen Torhüters Luis Arconada heisst das, dass dieser Ball vorerst warten muss. Dafür bleibt genug Zeit für die Aktionäre, etwa Al Gore, einen frühen Sophia-Genetics-Investor. (grs)
Sie bringt Mädchen Programmieren bei
Lara Frische-Riparip, betreut Banksoftware bei Avaloq und führt das Startup Girls Code Too.
Lara Frische-Riparip gehört zu der Gruppe der Eingewanderten, die die Politik fördern will. Talentiert, initiativ und gut verdienend. Sie stammt aus Kalifornien und arbeitet für eine spezialisierte Schweizer Weltfirma für Banksoftware, Avaloq. Sie kam vor sechs Jahren über ein Studienvisum ins Land, absolvierte einen Master und fand danach eine Stelle. Fritsche-Riparip hat, obwohl im IT-Sektor, nicht Computer-, sondern Neurowissenschaften studiert. Nach dem Bachelor-Abschluss an der University of California und drei Jahren Praxis kam sie zum Masterstudium an die ETH, Abteilung Neural Systems and Computation. Dort half sie mit, Modelle für Hirnfunktionen zu programmieren. Ihr Gesellenstück war eine selbst programmierte App, die Yoga-Schülern und -Schülerinnen per Handykamera hilft, Übungen im Selbststudium zu optimieren – mittels künstlicher Intelligenz.
Die in Zürich lebende Amerikanerin hat einen Brot- und einen Freizeitjob: Am Tag liefert sie E-Banking-Tools an die Kundschaft aus, an Wochenenden beschäftigt sie sich mit Mädchen, die Programmieren lernen wollen. Die Talentkurse organisiert ihr Startup Girls Code Too, ein gemeinnütziger Verein. Sie hat ihn vor zwei Jahren gegründet und betreibt ihn zusammen mit einem Partner. Bisher boten sie Workshops in Genf, Silvaplana und Kirchberg an. Die Kurse bezahlt eine renommierte Stiftung. Dieses Jahr bekamen 770 Mädchen eine Einführung.
Die Zuwanderung sieht sie als Stärke. «Das ist eine Art von Innovation für die Schweiz», sagt die 32-Jährige. Ihr Ehemann ist ebenfalls eingewandert, aus dem nahen Österreich. Sie lernten sich in der Studien-WG kennen und verliebten sich. Weiterziehen sei keine Option: «Unser Freundeskreis ist hier.» Deutsch spricht sie fliessend, am Schweizerdeutschen arbeitet sie noch. «Mein Problem ist, dass alle Englisch mit mir sprechen wollen.»
Sie sieht die Herausforderungen der Migration. Die Infrastruktur müsse mitwachsen, das Land müsse investieren, sonst werde es schwierig. «Doch junge Zugewanderte bringen neues Wissen, neue Fertigkeiten und neue Perspektiven in die Wirtschaft und Gesellschaft», sagt die 32-Jährige. Nur so schaffe es die Schweiz, die Überalterung zu bewältigen. Ohne diesen Zustrom werde es bis in zwanzig Jahren schwierig, älteren Menschen einen schönen Lebensabend zu bieten. Lara freut sich auf noch lange Jahre hier. (val)
Er zerbricht sich den Kopf über unser Gehirn
Tej Tadi, Gründer und Chef von Mindmaze
Tej Tadi kam 2004 aus der südindischen Stadt Hyderabad nach Lausanne – allerdings nicht, um Arzt zu werden wie seine Eltern, sondern um Computer Graphics zu studieren. Heute ist er Chef von Mindmaze, einem Pionier und führenden Anbieter von AI-getriebenen digitalen Neurotherapeutika – einem Gebiet, auf dem die Zukunft erst gerade begonnen hat. Es geht um digitale Tools zur Behandlung von Patienten und Patientinnen mit schweren neurologischen Erkrankungen. Acht Therapien von Mindmaze haben bereits alle Hürden genommen und wurden von der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zugelassen; ein Ritterschlag für den Jungunternehmer.
Im März brachten der Senkrechtstarter aus Indien und sein Team in den USA und in Europa zudem Izar auf den Markt. Es handelt sich dabei um ein intelligentes Gerät, das Patienten und Patientinnen mit Alzheimer, Parkinson, Schlaganfällen oder Hirnverletzungen hilft, die Geschicklichkeit und Kraft ihrer Hände zu trainieren und wieder zu verbessern – und damit ein Stück ihrer Selbstständigkeit zurückzugewinnen. Izar, ein technologisches Meisterwerk, kommt als kleines, tragbares und benutzerfreundliches Gerät daher, mit dem die Patientinnen und Patienten ihre Übungen in der Klinik oder zu Hause selbstständig durchführen können. Das Device wurde in weltweit führenden Rehabilitationszentren wie dem Shirley Ryan Ability Lab in Chicago getestet.
Mindmaze wurde 2012 als Spin-off der ETH Lausanne gegründet. Zu den frühen Investorinnen und Investoren zählte Hollywoodstar Leonardo DiCaprio. Das Unternehmen war das erste Unicorn der Schweiz – also das erste Startup, dessen Bewertung 1 Milliarde Dollar oder mehr betrug. Mindmaze betreibt unter anderem Büros in London, Paris und Mumbai. 2022 eröffnete das Unternehmen in Raleigh-Durham im US-Bundesstaat North Carolina einen Sitz, um die Erschliessung des amerikanischen Markts voranzutreiben. CEO Tej Tadi beschäftigt 140 Angestellte, davon 80 in Lausanne. (grs)
Vom Asylbewerber zum Küchenchef
Hussein Shamal, Küchenchef im Restaurant Mönchhof am See
Ein paar Gäste haben es sich zur Mittagszeit auf der Terrasse des «Mönchhof am See» gemütlich gemacht. Hussein Shamal hat keine Zeit, die Sonne zu geniessen. Der 46-Jährige ist Küchenchef im Restaurant Mönchhof am Ufer des Zürichsees.
Eigentlich wollte Shamal Autos reparieren. Zumindest hatte er das mal gelernt, damals im Irak, seiner früheren Heimat. «2002 entschloss ich mich, zu fliehen», erzählt er. Shamal stammt aus dem Norden des Iraks, den Kurdengebieten, die der frühere Diktator Saddam Hussein regelmässig bombardieren liess. Mit 25 liess Shamal seine Familie zurück. Drei Monate dauerte seine Flucht, über den Iran, die Türkei mit einem kleinen Boot nach Griechenland, bis er in der Schweiz landete. «Ich wollte nicht unbedingt hierher, ich wollte nur weg und irgendwohin nach Europa», sagt er. In der Schweiz angekommen, stellte er einen Asylantrag. Er blieb vier Jahre ohne Antwort.
Also bekam er den Status N und suchte Arbeit – was als Asylsuchender nicht einfach war. Doch er biss sich durch, besuchte Deutschkurse, fing eine Lehre als Automechaniker an, sattelte dann aber auf Gastronomie um. Im Hotel Regina in Wengen half er in der Tourismussaison aus. «Das war hart, denn ich wohnte in Adelboden und hatte lange Anfahrtswege», sagt Hussein. 2010 heiratete er und zog nach Zürich, wo er im «Münsterhof» von Michel Péclard begann. Er wechselte dann ins «Fischers Fritz» und wurde 2017 Küchenchef im «Mönchhof» mit sieben Angestellten unter sich. Sein Team ist bunt zusammengewürfelt – mit Afghanen, Somaliern, Nigerianern und Indern. «Schweizer waren aber noch nie dabei», sagt Hussein und lacht.
Die Arbeit ist streng, macht aber Spass. Im Sommer ist besonders viel los, da kann Hussein Shamal allenfalls in der Woche ein oder zwei Tage frei nehmen, um sich um seine Söhne (7 und 9) zu kümmern. Probleme als Ausländer in der Schweiz habe er nie, sagt Hussein, der längst den roten Pass hat. Und schiebt nachdenklich nach: «Ich hab ja auch immer gearbeitet.» (ali)
Die Ukrainerin, die im TV entdeckt wurde
Oksana Kononenko, Mitarbeiterin im Active Advisory Team der Privatbank Bergos AG
Die Geschichte von Oksana Kononenko klingt fast wie ein Märchen: Die 37-Jährige floh im vergangenen Frühjahr mit ihrer Mutter vor den russischen Aggressoren aus der Ukraine – und fand dank eines Kurzauftritts im Schweizer Fernsehen bei der Zürcher Privatbank Bergos AG einen Job. Dort ist sie heute noch: «Ich bin super happy hier», erzählt sie.
Nach ihrer Ankunft in der Schweiz 2022 war sie zunächst bei einer Freundin untergekommen. Diese begleitete sie zur Einwanderungsbehörde, um den Status S zu beantragen. Dort tummelte sich auch eine Reihe von Journalistinnen, und Oksanas Freundin schubste die junge Ukrainerin kurz entschlossen vor die Kamera des SRF. So tauchte Kononenko im TV zur besten Sendezeit in der «Tagesschau» auf und erzählte, dass sie als gelernte Privatbankerin gern als Finanzberaterin in der Schweiz arbeiten würde. Diesen Auftritt sah unter anderem Adrian Keller, Grossaktionär von DKSH und Miteigentümer und Verwaltungsrat der Privatbank Bergos AG. Keller griff zum Telefon und rief seinen CEO Peter Raskin an: «Hast du den Beitrag gesehen?» Beide waren sich schnell einig, dass Oksana eine Kandidatin für die Bank sein könnte. Raskin machte sie über Linkedin ausfindig – und lud sie zum Gespräch ein. Die Kleidung für das erste Gespräch musste sich die junge Frau bei ihrer Vermieterin ausleihen. Raskin bot ihr ein Trainee-Programm an, das die 37-Jährige mittlerweile abgeschlossen hat. «Jetzt arbeite ich fest im Active Advisory Team», erzählt Oksana stolz. Sie sucht neue Produkte für die Kundenportfolios und monitort das bestehende Angebot. Zudem leitet sie Projekte, etwa für eine interne Beratungsplattform. Und sie lernt neben der Arbeit Deutsch, um sich besser zu integrieren.
Auch die kulturellen Unterschiede hat sie schon kennengelernt. «In der Ukraine sind wir viel direkter als in der Schweiz, in Meetings geht es in der Ukraine gleich ums Business», erzählt sie. Probleme gebe es aber keine, alle in der Bank seien sehr hilfsbereit. «Solange Krieg ist, bleibe ich hier», sagt sie entschlossen, «und wenn er vorbei ist, werde ich mal sehen.» Als Nächstes will sie den Status B beantragen – diesmal ohne Beobachtung von TV-Kameras. (ali)