Engpass am Immobilienmarkt
Wie Zuwanderer Wohnungen verknappen

Freie Wohnungen sind rar. Das liegt auch an der hohen Zuwanderung. Und gleichzeitig wird so wenig gebaut wie seit 2003 nicht mehr.
Publiziert: 14.07.2023 um 11:28 Uhr
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Aktualisiert: 16.01.2024 um 14:14 Uhr
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Die SVP lanciert eine neue Initiative gegen Zuwanderung.
Foto: Keystone
Marc Bürgi
Handelszeitung

Diesen Herbst wird in der Schweiz das Parlament neu gewählt. Und in einem Wahljahr rücken Themen, die die Leute beschäftigen, in den Fokus der Politik. Wohnen ist eines davon. Denn die Mieten steigen, und freie Wohnungen werden zunehmend rar.

Die SVP hat den Wohnungsmangel als Wahlkampfthema erkannt und verbindet es in ihrer Nachhaltigkeits-Initiative mit der hohen Zuwanderung. Die Initiative wird bald lanciert und soll die Einwohnerzahl bis 2050 auf zehn Millionen beschränken. Eines der Argumente zielt auf den Wohnungsmangel ab: Der Schweiz gingen die freien Wohnungen aus, weil so viele Menschen ins Land kommen.

Zuwanderung auf Mehrjahreshoch

Doch eignet sich die Zuwanderung für diese Schuldzuweisung? Liegt es – überspitzt gesagt – an den Ausländern, wenn ich keine Wohnung finde und die Mieten für freie Adressen immer höher steigen?

Die kurze Antwort lautet: nein. Doch das Nein kommt mit einem grossen Aber, weil die Sache nicht so simpel ist. Denn die Wohnungsknappheit ist durchaus auch eine Folge der Zuwanderung. Und ein zweiter Nachsatz ist explosiv: Die Zuwanderung hat in der Vergangenheit die Mieten auch schon nach oben getrieben.

Die Zahl der Zugewanderten ist so hoch wie seit 2013 nicht mehr: Fast 85’000 Menschen kamen letztes Jahr per saldo in die Schweiz (inklusive Kurzaufenthalterinnen und Kurzaufenthalter). Diese Wanderbewegung hält schon seit 20 Jahren an, wenn auch in schwankendem Mass. Damals – im Jahr 2002 – führte die Schweiz die Personenfreizügigkeit mit der EU ein.

Diese vielen Neuankömmlinge befeuern die Nachfrage nach Wohnungen. Von 2013 bis 2021 entstanden gut zwei Drittel der neuen Haushalte, weil Menschen zuzogen, wie Zahlen der Immobilienberatungsgesellschaft Wüest Partner zeigen. In dieser Rechnung sind Umzüge zwischen Kantonen mitgezählt, aber der Grossteil der Migration fand über die Landesgrenze statt.

Nachfrage steigt stärker als Angebot

Wenn die Nachfrage nach Wohnraum steigt, sollte sich auch das Angebot vergrössern – sonst öffnet sich eine Schere. In einer solchen Situation steckt die Schweiz aktuell, denn es wird so wenig gebaut wie seit 2003 nicht mehr: Nur 42’200 Wohnungen wurden letztes Jahr neu bewilligt. Es ist eine Milchbüchleinrechnung: Bei einem solchen Missverhältnis werden Wohnungen knapp und die Mieten steigen.

Allerdings ist die Zuwanderung zwar der wichtigste, aber nicht der einzige Grund für den Hunger nach mehr Wohnraum: Zusätzliche Wohnungen sind auch nötig, weil wir immer häufiger allein leben – und dieser Trend wiederum ist die Folge des Wohlstands und der demografischen Alterung: Wir können uns eine eigene Wohnung leisten, oder leben allein, weil unsere Partner gestorben sind.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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«Wenn wir so viel bauen würden wie noch 2018 und 2019, hätten wir trotz der hohen Zuwanderung genügend Wohnungen», sagt Robert Weinert, Partner bei Wüest Partner.

Personenfreizügigkeit verteuerte die Mieten – zunächst

Der Wohnungsmangel und die Mietpreisexplosion sind also auch hausgemacht – welche Rolle die hohe Zuwanderung dabei spielt, lässt sich nicht genau entschlüsseln. Das war in der Vergangenheit auch schon anders: Eine Anfang Jahr veröffentlichte Studie zeigt auf, wie sich die Mieten und Hauspreise in den Jahren nach Einführung der Personenfreizügigkeit erhöhten. Die Forschenden der Universitäten Freiburg und Hohenheim erklären sich den preistreibenden Effekt mit dem sprunghaften Anstieg der Zuwanderung, den die Schweiz damals erlebte. Zudem kamen mit dem EU-Abkommen vermehrt gut ausgebildete Ausländerinnen und Ausländer in die Schweiz, die sich teure Wohnungen und Einfamilienhäuser leisten konnten – der Charakter der Einwanderung veränderte sich.

Doch nach etwa zehn Jahren verflüchtigte sich dieser Effekt: Der Immobilienmarkt passte sich vermutlich an die nun höhere Nachfrage an. Mit anderen Worten: Es wurden mehr Wohnungen gebaut.

Die aktuelle Situation lässt sich nicht mit 2002 und den Folgejahren vergleichen. Damals stieg die Zuwanderung sprunghaft. Ökonomisch betrachtet erlebte der Immobilienmarkt einen Schock. Heute bleibt die Überraschung aus, schon seit Jahren kommen jedes Jahr viele gut ausgebildete Menschen aus der EU ins Land.

Wohnungsbau stockt weiter

Werden jetzt auch in der Schweiz bald mehr Wohnungen gebaut, damit der Markt wieder ins Lot gerät? Nach einer Trendwende sieht es nicht aus. Die steigenden Zinsen machen den Bau von neuen Wohnungen weniger attraktiv, die Immobilienbranche klagt zudem über die Bürokratie. Die Teuerung und die strenge Raumplanung erschweren den Wohnungsbau zusätzlich. «Es gibt derzeit kaum Anzeichen dafür, dass beim Wohnungsbau schon bald eine dynamischere Entwicklung einsetzt», schreibt Wüest Partner in der Analyse «Immobilien-Monitor» vom März.

Die Sorge vor einer Wohnungsnot wird die Schweiz also vermutlich auch über den Wahlherbst 2023 hinaus beschäftigen.

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