Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (59) hatte keinen einfachen Start: Die Justizministerin wollte Containersiedlungen bauen, um Engpässe bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu vermeiden. Doch der Ständerat lehnte dies ab. Am Freitag konnte Baume-Schneider nun einen Erfolg vermelden: Die Kantone stellen dem Bund 1800 Plätze in Zivilschutzanlagen bereit. Tags darauf trifft SonntagsBlick die Magistratin in Biel BE zum Gespräch im Volkshaus, dem roten Gegenstück zum vis-à-vis gelegenen bürgerlichen Hotel Elite.
SonntagsBlick: Frau Bundesrätin, der «Tages-Anzeiger» schrieb über Sie: «Sie ist nett – und das ist kein Kompliment.» Wie weit kommt man in Bundesbern mit Charme und Schalk?
Elisabeth Baume-Schneider: Ich glaube, man kommt weit. Für mich ist diese Aussage ein Kompliment. Sie zeigt, dass ich Empathie habe, dass ich zu den Leuten eine gute Beziehung aufbauen kann. Aber ich bin nicht nur nett. Ich bin eine Frau, die ihre Ideen vertritt. Da kann ich ziemlich fordernd sein.
Böse Zungen behaupten, Sie seien nur gewählt worden, um die stärkere Kandidatin, Eva Herzog, zu verhindern.
Wir waren zwei gute Kandidatinnen – und das Parlament hat entschieden. Mein politischer Werdegang spricht für sich: Ich war unter anderem 13 Jahre Regierungsrätin im Jura und vier Jahre Direktorin einer Fachhochschule.
Als Justizministerin konnten Sie gestern einen Erfolg verbuchen: Die Kantone stellen Reserveplätze für Asylsuchende in Zivilschutzanlagen bereit.
Darüber bin ich sehr froh.
Die Kantone haben allerdings nur 600 Plätze zugesichert, weitere 1200 sind in Abklärung. Sie hatten ursprünglich Containerdörfer mit 3000 Betten geplant. War das übertrieben?
Ich bin zuversichtlich, dass die 1800 Plätze ausreichen. Aber wir wissen nie, ob plötzlich auf einen Schlag viele Asylsuchende kommen. Wir möchten vermeiden, dass wir Personen vorzeitig den Kantonen zuweisen müssen.
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Dann hatte der Ständerat, der die Containerdörfer im Frühling abgelehnt hatte, doch recht: Es ist gar kein Problem, die Leute in Zivilschutzanlagen unterzubringen.
Nein. Was wir jetzt haben, ist ein ganz anderes Projekt. Mit den Containerdörfern hätten uns während drei Jahren bis zu 3000 Plätze zur Verfügung gestanden – jetzt haben wir Anlagen für die nächsten sechs Monate. Sicher ist: Wir müssen diskutieren, wie wir uns in Zukunft organisieren. Der Asyl-Notfallplan basierte auf den Erfahrungen der letzten Jahre. Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich die Situation verändert, es kommen deutlich mehr Schutzsuchende.
Die Containerdörfer hätten 130 Millionen Franken gekostet. Spart der Bund dank der Unterbringung in den Zivilschutzanlagen nun Geld?
Wir sparen, weil wir keine Container kaufen müssen. Im Betrieb sind die Zivilschutzanlagen aber teurer: Die Betriebskosten pro Person sind höher. Mit den Containerdörfern wären es schweizweit vier Siedlungen gewesen. Wenn wir über ein Dutzend Zivilschutzanlagen betreiben, brauchen wir viel mehr Personal. Zudem müssen wir die Leute teilweise über weite Strecken zu den Verfahrenszentren bringen. Das kostet.
Elisabeth Baume-Schneider (59, SP) ist seit Januar 2023 Vorsteherin des Justiz- und Polizeidepartements. Von 2003 bis 2015 war sie Regierungsrätin im Kanton Jura, 2019 wurde sie in den Ständerat gewählt. Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Les Bois JU, lebt die SP-Politikerin heute in Les Breuleux JU. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
Elisabeth Baume-Schneider (59, SP) ist seit Januar 2023 Vorsteherin des Justiz- und Polizeidepartements. Von 2003 bis 2015 war sie Regierungsrätin im Kanton Jura, 2019 wurde sie in den Ständerat gewählt. Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Les Bois JU, lebt die SP-Politikerin heute in Les Breuleux JU. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
Durch die dezentrale Unterbringung dürften sich auch die Verfahren verlängern. Genau das wollte man mit der Asylreform verhindern.
Das ist so. Dabei hatten wir bereits Anfang Jahr 12'000 hängige Asyldossiers. Zwar konnten wir den Pendenzenberg inzwischen reduzieren, aber bis wir ein normales Niveau erreichen, wird es noch dauern. Diese Verzögerung ist schlecht für alle, nicht zuletzt für die Betroffenen selber. Sie leben länger in Unsicherheit über ihre Zukunft.
Sie haben sich am Freitag bei den Kantonen für ihre Bemühungen bedankt. Allerdings sind nicht alle gleich engagiert: Die Zentralschweizer Kantone stellen keinen einzigen zusätzlichen Platz zur Verfügung. Nicht gerade solidarisch, oder?
Ich mache kein Kantons-Ranking. Wichtig ist, dass wir eine Lösung gefunden haben.
Dennoch: Wenn jeder nur für sich schaut, funktioniert die Schweiz nicht.
Wenn es Probleme gibt, müssen das die Kantone miteinander besprechen. Ich suche mit allen den Dialog – am Ende müssen wir zusammenarbeiten.
Im Frühling hatte der Bundesrat die Kantone verärgert, indem er eine finanzielle Beteiligung an den Containerdörfern verlangte. Eingebracht hatte die Idee dem Vernehmen nach Finanzministerin Karin Keller-Sutter, gegen Ihren Willen. Können Sie sich im Bundesrat nicht durchsetzen?
Dass sich die Kantone an den Kosten beteiligen, hat durchaus eine Berechtigung. Bund, Kantone und Gemeinden sind gemeinsam für den Asylbereich zuständig. Zudem: Der Bundesrat hatte während der Pandemie hohe Ausgaben, während die Kantone finanziell derzeit gut dastehen.
Zurück in die Gegenwart: Im Juli kamen die meisten Asylsuchenden aus der Türkei, Afghanistan und Eritrea. In all diesen Ländern herrscht Unterdrückung, aber kein Krieg. Soll die Schweiz diese Personen aufnehmen?
Die Eritreer sind ein spezieller Fall. Die meisten Asylgesuche sind durch Geburten begründet: Babys, die in der Schweiz zur Welt kommen. Bei den übrigen Ländern ist es aber tatsächlich so, dass die Schutzquote teils tief ist. Genau deshalb braucht es schnelle Entscheide.
Das heutige Asylsystem belohnt junge, mobile Männer, die sich nach Europa durchschlagen können. Ist das gerecht?
Jeder Mensch hat das Recht, ein anderes Land um Asyl zu ersuchen. Das Problem ist ein anderes: Viele Menschen, die Schutz brauchen, haben keinen Zugang zum Asylsystem. Aber das ist ein europaweites Problem. Darum ist es positiv, dass die EU-Kommission eine Reform aufgleisen will.
Die EU möchte Asylzentren an der Schengen-Aussengrenze – in Ländern wie Griechenland oder Italien – errichten und die Verfahren dort durchführen. Ein praktikabler Ansatz?
Grundsätzlich ja, sofern die Verfahren rechtsstaatlich korrekt und fair sind und die Menschenrechte der Betroffenen gewahrt werden. Die Schweiz hat nicht nur eine humanitäre Tradition, sondern auch eine humanitäre Verpflichtung.
Dennoch dürften solche Zentren die Leute kaum von der gefährlichen Fahrt übers Mittelmeer abhalten.
Nur weil es Zentren gibt, wird nicht plötzlich alles besser. Die Welt ist kein Märchen. Aber es wird klarer werden, wer Anrecht auf Schutz hat – und wer keine Perspektive hat zu bleiben.
Die SVP feierte gestern ihren Wahlkampfauftakt. Eines der zentralen Themen: der Kampf gegen eine Zehn-Millionen-Schweiz. Macht Ihnen die Vorstellung von zehn Millionen Einwohnern keine Sorgen?
Nein. Ich kann nicht sagen, dass eine Schweiz mit 9,8 oder 10 Millionen nicht mehr meine Schweiz ist – das ist eine künstliche Grenze.
Letztes Jahr kamen netto 70 000 Personen in die Schweiz. Zählt man die Ukraine-Flüchtlinge dazu, könnte die Schweiz in diesem Jahr gar um 148'000 Personen wachsen. Das ist doch nicht nachhaltig.
Doch. Nachhaltigkeit ist eine Frage der Vorbereitung und Organisation. Die Zuwanderung hat viele positive Seiten: Sie hilft gegen den Fachkräftemangel und trägt zum Wohlstand bei. Natürlich müssen wir schauen, dass alle Personen Zugang zu Wohnraum haben. Aber die Zuwanderung ist nicht der Hauptgrund für die Wohnungsknappheit. Sie hat auch damit zu tun, dass wir pro Person immer mehr Quadratmeter beanspruchen. Ausserdem: Im Jura hat es noch ganz viel Platz (lacht).