Auf einen Blick
Wenn Jon Eisler sagt, dass sich Männer mit einem Arztbesuch schwertun, dann weiss er, wovon er spricht. Als junger Mann litt er unter Potenzproblemen, kennt die Scham und die Ängste also selbst, die dann besonders gross ist, wenn es um sexuelle Probleme geht. Oder um anderes, das als «unmännlich» gilt, wie Haarausfall oder Hautprobleme.
«Ich war sehr verzweifelt – zum Hausarzt wollte ich nicht, und bei den Kollegen war das Thema ohnehin tabu», sagt er. Monatelang habe er sich gequält. «Für Männer gibt es kein Pendant zur Gynäkologin, ich wusste schlicht nicht, wohin.» Am Schluss habe er sich ein Produkt aus Indien beschafft, das «Kamagra» hiess und von dem er bis heute nicht weiss, was er da wirklich schluckte.
Nun ist aus dem Leiden von einst eine Geschäftsidee geworden. Seit einem Jahr betreibt der Zürcher Jungunternehmer, der in Stanford studierte, Everyman: Das ist eine Plattform, auf der Männer mit ärztlichem Rezept und sicher Potenzmittel wie Viagra kaufen können. Wenn Männer 30 Prozent weniger häufig zum Arzt gingen als Frauen und fünf Jahre früher stürben, dann gebe es ein Problem mit dem «Access», also dem Zugang zu medizinischen Leistungen, sagt der Start-up-Gründer, der vor seiner Rückkehr in die Schweiz im Silicon Valley die Luft von Big Tech schnupperte. «Die Prozesse in unserem Gesundheitssystem sind hoffnungslos veraltet. Das wollen wir ändern.»
Männer von 18 bis 82
3400 Kunden hätten sich bei Everyman schon Viagra oder andere Potenzmittel besorgt, «diskret und stigmafrei», so Eisler; der jüngste war 18, der älteste 82. Das Gros der Kundschaft sind Männer im Alter zwischen dreissig und sechzig Jahren. Potenzprobleme betreffen längst nicht mehr nur ältere Männer – übermässiger Konsum von Pornos, die ein Sexualverhalten zeigen, das mit der Realität des Sexuallebens der meisten Menschen wenig zu tun hat, und sexueller Leistungsdruck führen dazu, dass Erektionsprobleme auch bei jüngeren Männern zunehmen.
Und so funktioniert Everyman: Die Neukunden füllen einen Fragebogen aus, er entspricht dem, was ein Arzt fragt, wenn es um Potenzstörungen geht: Häufigkeit, Leidensdruck, gesundheitliche Probleme wie Bluthochdruck oder Herzprobleme, die den Gebrauch etwa von Viagra ausschliessen. Die Auswertung der Fragen wird von einem Algorithmus unterstützt.
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Die finale Entscheidung, ob ein Rezept ausgestellt wird, werde jedoch immer von einem oder einer in der Schweizer zugelassenen Arzt oder Ärztin «nach ausreichender Interaktion mit dem Patienten» getroffen, sagt Jon Eisler. Die Kommunikation zwischen dem Arzt und dem Patienten erfolgt über einen gesicherten Chatkanal oder, wenn nötig, über eine Videoschalte. Post gibt es schliesslich von der Apotheke Dr. Hyseck AG in Biel, sie hat eine Lizenz als Onlineapotheke.
Zwischen 20 und 70 Franken bezahlen die Kunden, um auf diesem Weg ein Potenzmittel zu bekommen – oder auch nur, um beraten zu werden. Die Vergütung der Ärzte und der Apotheke übernimmt Everman. Und womit verdient die Plattform ihr Geld? Mit einer Gebühr, die sie von den Ärzten verlangt.
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Mit dem Konzept grenzt sich Everyman von unseriösen Angeboten ab, die gerade bei Potenzmitteln zu Tausenden im Internet kursieren. Swissmedic schätzt, dass die Hälfte aller in der Schweiz vertriebenen Potenzmittel aus illegalen Quellen kommt – mit all den gesundheitlichen Risiken, die das mit sich bringt. «Wir selbst sind kein Gesundheitsdienstleister, sondern sehen uns als technischen Enabler, der Männern einen digitalen Zugang zu wichtigen medizinischen Therapien ermöglicht», sagt Gründer Eisler.
Hochkarätiger wissenschaftlicher Beirat
Unterstützt wird er dabei von einem wissenschaftlichen Beirat, dem namhafte Persönlichkeiten wie der ehemalige Chef der Urologie der Berliner Charité angehören. Zu den Investoren von Everyman zählt Calm/Storm Ventures aus Wien, einer der wichtigsten Health-Tech-Investoren Europas. Auch Kai Eberhard ist darunter, er ist Gründer von Oviva, einem Gesundheitsunternehmen, das individualisierte, digital erstellte Diätpläne anbietet. Mit an Bord ist zudem der niederländische Onlinehändler Coolblue.
1,5 Millionen Franken hat Eisler bereits aufgenommen. Nun will er die nächste Stufe zünden und ein zweites Vertikal aufbauen. Thema: Haarausfall. Am 14. Oktober steigt er deshalb in die «Höhle der Löwen», die Fernsehshow, bei der Start-up-Gründer vor laufender Kamera auf Investorenfang gehen. Mit von der Partie ist der Schweizer Onlineüberflieger Roland Brack, aber auch Lukas Speiser, Gründer und CEO des Erotikanbieters Amorana, sowie Felix Bertram, Arzt und Gründer von Skinmed, einem Unternehmen für Dermatologie und Schönheitsmedizin. Könnte passen.