«Ich brauchte Geld und wurde von der Verzweiflung angetrieben»
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Kreditopfer Gerhard Wössner:«Brauchte Geld und wurde von der Verzweiflung angetrieben»

Er hat Tausende Franken verloren, aber nicht die Hoffnung
Gerhard Wössner wurde Opfer von Kreditbetrügern

Die wenigsten glauben, dass sie auf Betrüger reinfallen könnten. Doch die Geschichte von Gerhard Wössner zeigt, wie schnell Schicksal, Verzweiflung und das Klammern an Hoffnung jeden zu einem Opfer machen können.
Publiziert: 04.10.2022 um 01:04 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2022 um 09:38 Uhr
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Gerhard Wössner bei sich zu Hause in Heimberg BE.
Foto: Christian Kolbe
Christian Kolbe (Text und Fotos)

Gerhard Wössner (61) ist verzweifelt. Eine kostspielige Scheidung hat sein kleines Vermögen aufgezehrt, ihn in die Schuldenfalle gestürzt. Wegen gesundheitlicher Beschwerden hat er keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt. «Ich bin noch zu jung, um in Rente zu gehen. Ich kann noch etwas bewirken», ist Wössner überzeugt. «Den ganzen Tag hier rumzusitzen, ist keine Option.»

Seine letzte Hoffnung: ein Kredit aus dem Internet, um sich selbständig zu machen. Und damit beginnt das Desaster. Wössner fällt auf Kreditbetrüger rein.

Probleme nach dem Umzug in die Schweiz

Der Deutsche kommt 2014 in die Schweiz, findet innert Tagen einen Job bei einem ehemaligen Kunden im Berner Oberland. Zuvor hat er erfolgreich als Maschinenprogrammierer für eine deutsche Firma gearbeitet. Verfügt mit einer Lehre als Möbelschreiner über eine solide Grundausbildung.

Doch mit dem Umzug in die Schweiz beginnen die Probleme. Seine Frau will nicht mit ihm nach Heimberg BE ziehen, wo Wössner in einem alten Bauernhaus zur Miete wohnt. Er schickt immer mehr Geld nach Deutschland, verschuldet sich mit Kleinkrediten. «Am Ende stand der Betreibungsbeamte vor der Tür, weil ich meine Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte», erzählt Wössner.

Zwar gelingt die Schuldensanierung, doch muss er dafür auf seine Pensionskasse zurückgreifen. Seine Stelle verliert er 2021, weil das Unternehmen während der Pandemie Jobs abbaut. Zwar gelingt noch ein letztes Comeback auf dem Arbeitsmarkt, doch das endet nach kurzer Zeit – aus gesundheitlichen Gründen. «In der Fabrik gab es keine Absauggeräte, das ging mit meiner Lunge nicht», so Wössner.

Wunsch nach Selbständigkeit

Wössner war starker Raucher, leidet an der chronisch obstruktiven Lungenkrankheit (COPD). Zudem plagt ihn das Restless-Legs-Syndrom, er leidet also an «unruhigen Beinen», und schläft oft nicht viel mehr als eine Stunde am Stück. Schon länger ist ihm klar: «Ich kann keiner geregelten Arbeit in einem Betrieb mehr nachgehen.» Also reift der Plan von der Selbständigkeit.

«Ich will auf zwei Standbeinen stehen – als Kunstschnitzer und Möbelrestaurator sowie mit einer mobilen Sägerei.» In seiner Wohnstube, die den Charme einer sehr unaufgeräumten Junggesellenbude ausstrahlt, zeigt Wössner am PC, welche Maschinen er dafür braucht, und erklärt, wie hoch der Finanzbedarf ist: «Eine mobile Bandsäge kostet gebraucht um die 50'000 Franken, Drechselmaschinen ungefähr 10'000 Franken. Davon brauche ich drei Stück.» Schnell klettert das Budget auf über 100'000 Franken, denn ein grosses Auto als Zugmaschine für die Bandsäge muss auch noch sein.

Vorgeschobener Zentralbanker

Nur, Wössner ist mit all seinen Betreibungen nicht mehr kreditwürdig. Auch im Internet finden sich zuerst keine Geldgeber. Bis er die verhängnisvolle Suchanfrage eintippt: «Online-Kredit bei negativer Betreibungs-Auskunft».

Plötzlich meldet sich ein potenzieller Kreditgeber, verspricht, unter dem Namen Carstens Financial Group das Geld zu beschaffen. Um dem Ganzen einen seriösen Anstrich zu geben, schmücken sich die Kredithaie mit einem ehemaligen mexikanischen Notenbanker namens Agustín Carstens (64), der heute die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel (BIZ) leitet. Schicken Fotos und Bilder von Ausweisen mit dem Konterfei von Carstens – alles Dinge, die sich problemlos im Netz besorgen und fälschen lassen. Eine Masche, die häufig angewendet wird, wie auf der Homepage der BIZ zu lesen ist.

Alle Alarmzeichen ausgeblendet

Wössner kann sein Glück nicht fassen, zumal die Betrüger ungefragt den Kredit auf 200'000 Franken erhöhen. «Schon das hätte mich stutzig machen sollen», sagt Wössner heute. «Aber das war pure Verzweiflung, ich habe sämtliche Bedenken beiseitegeschoben.» Denn sein Businessplan ist sehr ambitioniert: «Ich wollte den Kredit in 60 Monatsraten zu 3505.50 Franken abbezahlen – und dann das Geschäft nach fünf Jahren verkaufen, um mich zur Ruhe zu setzen.»

Eine weiteres ignoriertes Alarmzeichen: einen so hohen Kredit ohne jegliche Sicherheiten, verzinst zu 2 Prozent, das gibt es wohl nirgends auf der Welt.

Wössner ist geblendet, steigt auf den E-Mail-Verkehr ein. Dieser strotzt vor Fehlern, plump gefälschten Stempeln, und die dubiosen Geldgeber werden immer dreister. Denn nun wollen sie plötzlich Geld sehen – für Notariatsgebühren, Banksteuern oder andere Bankformalitäten.

Erst Geld bezahlen, bevor ein Kredit fliesst, das gibt es nicht. Die Alarmzeichen werden immer lauter. Doch Wössner ignoriert sie und überweist den Kredithaien von Januar bis August 2022 über 4700 Franken. Aber die Geldforderungen reissen nicht ab, erst jetzt dämmert es ihm, dass er Betrügern aufgesessen sein könnte.

Späte Einsicht und letzte Hoffnung

«Im Nachhinein ist mir vieles klar, aber ich habe bis zum Schluss gehofft, dass es doch noch klappen könnte», gesteht Wössner. «Ich war unglaublich naiv.» Als er sich weigert, weiterzuzahlen, reisst der Mailverkehr nicht ab – im Gegenteil. Mehrmals täglich bekommt er nun E-Mails oder Whatsapp-Nachrichten. Das Muster ist immer dasselbe: Mal wird mit dem Platzen des Deals gedroht, dann wieder hoch und heilig geschworen, dass alles mit rechten Dingen zu- und hergeht. «Ich schwöre dir mein Leben, das Geld wird am Montag verfügbar sein», heisst es immer wieder.

Doch Wössner steigt endlich aus, auch wenn der Nachrichtenterror bis heute anhält. Er wendet sich dafür an Blick, um seine Geschichte zu erzählen. «Ich stehe dazu, ich war blöd. Jetzt sollen andere davor gewarnt werden», begründet er seinen Schritt, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Und hofft, doch noch einen Investor für seine Geschäftsidee zu finden. Sollte das wirklich klappen, würde Wössner gerne Schweizer werden.

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