Schäden in Milliardenhöhe
Die Konkursritter sind los

Die lange Zeit der Pandemie, der Ausbruch des Ukraine-Kriegs: Die Wirtschaftslage dürfte sich verschlechtern, das Wachstum verlangsamen, Konkurse drohen. Was in solchen Zeiten wächst, ist die Konkursreiterei. Die Folge: Schäden in Milliardenhöhe.
Publiziert: 11.04.2022 um 00:31 Uhr
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Aktualisiert: 11.04.2022 um 08:40 Uhr
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Konkursritter prellen viele Gläubiger und verursachen in der Schweiz Schäden in Milliardenhöhe.
Foto: imago images/Westend61
Christian Kolbe

Nun reiten sie wieder, die Konkursritter. Losgaloppiert sind sie bereits im letzten Herbst. «Seit September 2021 verzeichnen wir einen deutlichen Anstieg der Verdachtsmomente», sagt Raoul Egeli (53), Präsident des Gläubigerverbandes Creditreform, im Gespräch mit Blick.

Das Problem: Ein ordentlicher Konkurs zwingt eine nicht mehr zahlungsfähige Firma in die Liquidation – und schützt so Gläubiger vor weiterem Schaden. Zwielichtige Gestalten haben dagegen aus der Konkursreiterei ein Geschäftsmodell gemacht. Und verursachen volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe.

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Aus der Verantwortung stehlen

So funktioniert die perfide Masche der Konkursritter – oder Firmenbestatter, wie sie auch genannt werden: Der Konkursritter übernimmt eine konkursreife Firma von den bisherigen Besitzern. «Diese bezahlen dafür im Schnitt 5000 bis 6000 Franken. Und erkaufen sich so eine weisse Weste», erklärt Egeli. Die ehemaligen Besitzer sind damit alle Verbindlichkeiten los!

Der Konkursritter verschleiert den Zustand der Firma, verlegt oft den Firmensitz, verschleppt den Konkurs und geht meist auf grosse Einkaufstour. Und verhökert die so erstandenen Werkzeuge, Maschinen oder andere Waren wie Möbel, Baumaterialien oder Computer gleich weiter.

Hoher Schaden

Ein Gericht in Luzern verurteilte jüngst einen Konkursritter zu einer Gefängnisstrafe. Dieser hatte ein Dutzend Firmen übernommen, dafür 55'000 Franken von den Vorbesitzern erhalten und einen Schaden von einer Million Franken angerichtet.

Das ist nur die Spitze des Eisbergs, die Schäden für die Wirtschaft insgesamt sind enorm. Konkursreiterei verursache im Kanton Zürich jährlich einen volkswirtschaftlichen Schaden in der Grössenordnung eines «hohen dreistelligen Millionenbetrags», sagt Andrea Jug-Höhener (44), Leiterin der Ermittlungsabteilung Wirtschaftskriminalität bei der Kantonspolizei Zürich.

Die Juristin kämpft mit Vehemenz gegen die Konkursreiterei: «Man muss die Ermittlungen laufend vorantreiben, da mit konkursreifen Gesellschaften nicht nur Misswirtschaft betrieben wird, solche Firmen sind auch Treiber für weitere Wirtschaftsdelikte wie Kreditkartenbetrug, Covid-Kreditbetrug oder Steuerdelikte.»

Frühwarnsystem gegen Konkursritter

Bis die Gläubiger merken, dass die Rechnungen vom Konkursritter nicht bezahlt werden, dauert es meist lange – und dann ist es oft schon zu spät, der Verursacher über alle Berge. Kommt dazu, so Egeli, die finanzielle Hürde für das Stellen eines Konkursbegehrens sei viel zu hoch, die zu erwartende Konkursdividende oft zu klein. Es fehlt also der Anreiz, sich als Gläubiger beim Konkursamt zu melden, die Behörden auf den Missstand hinzuweisen. Eigentlich konkursreife Unternehmen können so weitere Schulden aufbauen und zusätzliche Gläubiger damit schädigen.

Deshalb hat Egeli Regeln für das Erkennen von Verdachtsmomenten ausgearbeitet – eine Art Frühwarnsystem gegen Konkursreiterei. Creditreform durchforstet Quellen wie das Handelsregister, Betreibungsauskünfte, aber auch Pressemeldungen nach Personen, die schon auffallend häufig Konkurs angemeldet haben. Taucht so ein Name bei einem Konkursfall auf, denn riecht das verdächtig nach einem Konkursritter.

Auch die Kantonspolizei Zürich versucht teilweise auf ähnliche Art und Weise, die Konkursritter vom Ross zu reissen. Und stellt dabei immer wieder Muster fest. «Ermittlungen zeigen, dass organisierte Strukturen vorhanden sind, die Konkursreiterei systematisch betreiben», sagt Jug-Höhener. Man beobachte, dass immer wieder die gleichen Akteure auftauchten.

Einige Kantone trifft es hart

«In den letzten zwölf Monaten haben wir insgesamt 596 Verdachtsmomente auf Konkursreiterei erkannt», sagt Egeli. «Das sind Verdachtsfälle, die nun geprüft werden müssen.» 596 von 8000 Konkursen innert Jahresfrist. «Die aktuelle Wirtschaftslage wird die Situation verschärfen, die Zahlen werden noch weiter steigen», ist Egeli überzeugt.

Kantone wie Zürich, Graubünden, die beiden Basel und die beiden Appenzell leiden besonders stark unter Konkursreiterei. In diesen Kantonen bleiben über zwölf Prozent aller Konkurse in den engen Maschen des Frühwarnsystems von Creditreform hängen, wie Blick exklusiv weiss. Nicht alle angefragten Kantone sind so gut dokumentiert wie Zürich. Einzig Basel-Stadt schreibt von Schäden in Millionenhöhe.

Viele Konkursritter im Bau- und im Gastgewerbe

Die Zunahme der Fälle hat auch die Kapo Zürich registriert. «Im ersten Quartal 2022 verzeichneten wir einen Anstieg der Anzeigen und Verdachtsfälle um rund das Fünffache», so Jug-Höhener. Der Grund für den aktuellen Anstieg hängt mit den auslaufenden Corona-Hilfsmassnahmen zusammen. Nach zwei Jahren Pandemie verfügen viele Firmen über keine Reserven mehr, müssen nun einsehen, dass es ohne Kurzarbeit oder Härtefallgelder für eine Weiterexistenz der Firma nicht reicht.

Im Bau- und im Gastgewerbe tummeln sich besonders viele Konkursritter. «Die Inhaber dieser KMU sind oft wenig versiert in gesellschaftsrechtlichen Belangen und hinsichtlich ihrer Pflichten betreffend Kapitalschutz», hat Jug-Höhener beobachtet. Egeli ergänzt: «Gerade im Baunebengewerbe sind die Startkosten für eine Firmengründung viel zu tief. Es braucht nicht viel Kapital, um etwa ein Maler- oder Plättlileger-Geschäft zu gründen.»

Entsprechend schnell kann das Kapital aufgebraucht sein, wenn es der Firma gerade nicht so gut läuft. Da ist dann der Weg zu einem der Konkursritter-Netzwerke manchmal erschreckend kurz, versucht sich der eine oder andere unseriöse Patron, so aus der Verantwortung zu stehlen.


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