Am ersten Tag des Jahrestreffens des World Economic Forum Ausgabe 2022 scheint die Sonne – und auch am letzten wieder. Dazwischen gibts ein paar nasskalte Tage, die gut zur aktuellen Weltlage passen. «Die Stimmung in Davos ist optimistisch mit vielen Sorgenfalten», bringt der Wirtschaftswissenschaftler Erik Brynjolfsson (60) die Gemütslage vieler Teilnehmer auf den Punkt. «Das klingt nur vordergründig nach einem Widerspruch. Denn langfristig sind viele sehr zuversichtlich, allerdings gibt es vorher noch viele Probleme zu lösen.»
Nur dieses Jahr halt in etwas kleinerem Rahmen, wie Christoph Mäder (62), Präsident von Economiesuisse, feststellte: «Es waren deutlich weniger Leute am WEF als normalerweise.» Trotzdem sei das Interesse nach wie vor gross, sich in Davos GR zu treffen.
Corona fast vergessen
«Jedes Meeting wurde überschattet vom Krieg», spricht Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (58), das dominierende Thema an. Damit verbunden, die noch grenzenlose Solidarität mit der Ukraine. «Die fast einhellige Meinung in diesem Forum ist, dass der Westen die Pflicht hat, die Ukraine auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen, weil sie auch für uns diesen Kampf führt», sagt Egils Levits (66), der Präsident Lettlands.
Interessant: Corona ist im Moment aus dem Sorgenbarometer der WEF-Elite fast verschwunden. «Die Stimmung war allerdings schon gedrückt, kein Wunder bei all diesen schlimmen Themen wie Krieg, Inflation, Klimawandel oder Nahrungsmittelknappheit», resümiert Stéphane Bancel (49), CEO von Moderna, das Jahrestreffen. Die Pandemie erwähnt er nicht, obwohl sein Impfstoff spätestens ab Herbst wieder stark gefragt sein dürfte.
Benachteiligter Süden
Alle Teilnehmer haben mehr oder minder tiefe Sorgenfalten auf der Stirn. «Positiv, dass wir uns wieder sehen können. Beunruhigend, all die Gefahren, denen die Welt ausgesetzt ist. Die zweite Jahreshälfte wird schwierig werden», befürchtet Alain Dehaze (59), CEO von Adecco. Der US-Politologe Ian Bremmer (52) spricht das Gefühl der Ohnmacht vieler an: «So geprägt von geopolitischen Themen war das Treffen noch nie. Und im Gegensatz zum Treffen von 2009, im Nachgang zur Finanzkrise, fehlen die Instrumente, um all die Krisenherde zu bekämpfen.»
Vanessa Nakate (25), Klimaaktivistin aus Uganda, schlägt einen Perspektivenwechsel vor: «Die Gespräche drehten sich alle nur darum, wie man Gewinne erhöht und nicht darum, wie man die Umwelt schützt. Niemand sprach über die Interessen des globalen Südens. Es geht immer nur darum, den Wohlstand des reichen Nordens zu sichern.»