Die Schweiz gilt international als eine kleine Binneninsel mit einem enormen Wirtschaftsmotor – abgeschottet durch die Alpen und von der Europäischen Union. Im Land herrscht tiefe Arbeitslosigkeit, Firmen zahlen hohe Löhne, Weltkonzerne siedeln sich hier gerne an. Doch diese Sonderstellung ist in Gefahr, behauptet zumindest Economiesuisse. «Wir sind in der schlimmsten Situation, die ich je erlebt habe», sagt Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder (64) zu Beginn der Konferenz. Er nimmt damit ein Zitat von UN-Generalsekretär António Guterres (73) auf, das dieser am diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos geäussert hat.
Der Wirtschaftsdachverband verweist auf den Ukraine-Krieg, hohe Inflation, Corona-Pandemie, Energiemangellage sowie den Fachkräftemangel. Einige der Probleme hätten sich über Jahre abgezeichnet. Economiesuisse kritisiert deshalb den Bundesrat für seine fehlende langfristige Wirtschaftsperspektive. An seiner Jahresmedienkonferenz zählt Economiesuisse auf, warum der Schweizer Wirtschaftsmotor ins Stocken geraten könnte.
Weniger Zuwanderung nur, wenn die Leute mehr arbeiten
«Im Kontext des internationalen Wettbewerbs reicht es nicht mehr, nur zu schauen, was unsere Nachbarländer tun», betont Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl (60). Die Schweiz sei punkto Digitalisierung längst nicht dort, wo sie sein könnte – oder sein müsste. Das habe die Pandemie deutlich vor Augen geführt, genauso wie das Thema der Energiemangellage. «Hier fehlen uns die nötigen Echtzeitdaten», so Rühl. Die Umsetzung einer elektronischen Zollabwicklung sei ebenso längst überfällig. Zudem sei die Schweiz auch beim Ausbau des 5G-Netzes ins Hintertreffen geraten.
Economiesuisse geht mit der Schweizer Wirtschaftspolitik hart ins Gericht. Der Wirtschaftsverband macht Stillstand, Blockaden und Ratlosigkeit aus. Neben der Digitalisierung gerade gelte dies insbesondere für die Europa- und Klimapolitik sowie die Zuwanderung und den Fachkräftemangel.
Die Politik dürfe mit Blick auf den Fachkräftemangel nicht länger die Augen verschliessen, fordert Christoph Mäder: «Aufgrund der demografischen Entwicklung sind wir auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen.» Dass die Zuwanderung in Teilen der Bevölkerung für Unbehagen sorge, sei mit Blick auf steigende Mieten, Wohnungsmangel und Dichtestress auf den Strassen verständlich. Mäder fordert deshalb eine klare Strategie: «Wer weniger Zuwanderung will, muss konstruktive Lösungen bieten, mit denen die Erwerbsarbeit erhöht wird.»
Schweizer Wirtschaft drohen Milliardenschäden
Wo Economiesuisse dafür ansetzen will: bei Massnahmen zur Erhöhung der Erwerbsquote bei Frauen, einer besseren Integration von Asylbewerbern, einer Ausbildungsoffensive und einer Erhöhung des Rentenalters. Zudem müsse die Wirtschaftspolitik vermehrt nach der Wertschöpfung und dem einheimischen Arbeitskräftepotenzial ausgerichtet werden. Dafür müssten die richtigen Firmen in die Schweiz gelockt werden.
Auch an der Energiefront sieht der Dachverband noch keine Aufhellung: Das Problem werde die Schweiz auf Jahre beschäftigen. Stromabkommen mit den Nachbarn bezeichnet Mäder als «Wunschdenken». «Die latenten Sorgen bei der Energieversorgung verunsichere die Unternehmen. Der Bundesrat müsse alles unternehmen, damit Betriebsschliessungen und Arbeitslosigkeit abgewendet werden könnten. «Allein die volkswirtschaftlichen Schäden könnten sich im zwei- bis dreistelligen Milliardenbereich bewegen», so Mäder. Es sei bereits vor Jahren klar gewesen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht mit dem Mehrbedarf würde Schritt halten können.