Die Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF) sagt nun für das laufende Jahr noch ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 2,3 Prozent und für 2023 von noch 0,7 Prozent voraus. Bei der letzten Prognose im Juni hatte das Institut noch ein Wachstum von 2,8 Prozent für 2022 und von 1,3 Prozent für 2023 prognostiziert. «Die Situation hat sich in den letzten Monaten verschlechtert», sagte KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm (53) am Mittwoch vor den Medien.
Mit der Revision nach unten ist die KOF in guter Gesellschaft: Diverse Institute haben zuletzt ihre BIP-Prognosen gesenkt.
Begründet wird die Revision hauptsächlich mit der Inflation, welche etwa die Kaufkraftentwicklung bremse und manche Geschäftsmodelle unrentabel mache. So wird für das laufende Jahr eine Inflation von 3,0 Prozent (bisher: 2,6 Prozent) und für 2023 von 2,2 Prozent (1,5 Prozent) erwartet.
WM bringt BIP durcheinander
Eine weitere Erklärung für die Abkühlung ist der Aussenhandel, welcher sich laut der Prognose im nächsten Jahr deutlich abschwächen wird. Der private Konsum hingegen bleibe hierzulande trotz Inflation eine wichtige Stütze für die Konjunktur - im Gegensatz etwa zu Deutschland.
Eine Rezession - also ein Rückgang des BIP zwei Quartale in Folge - droht der Schweiz laut der KOF aber nicht. Zwar zeichne sich für das erste Quartal 2023 ein schrumpfendes BIP ab, räumte Sturm ein. Dies sei jedoch eine einmalige Sache und habe primär mit den Folgen der Fussball-WM zu tun.
Denn der Grossanlass wird wegen der Lizenzgebühren an den in der Schweiz beheimateten Fussballverband Fifa das BIP im vierten Quartal 2022 in die Höhe treiben - was dann im ersten Quartal fehlt. «Wenn man diesen Effekt herausrechnet, erwarten wir in keinem Quartal ein Minus», so Sturm. Für das Gesamtjahr 2023 ohne Sport-Effekte sagt die KOF ein Wachstum von 1,0 statt 0,7 Prozent voraus.
Preisdruck soll Mitte 2023 deutlich nachlassen
Hoffnung macht der Konsum. Dieser bleibe nämlich trotz Inflation eine wichtige Stütze für die Schweizer Konjunktur - im Gegensatz etwa zu Deutschland. Dies sei möglich, weil nun die Löhne wegen der Teuerung angehoben würden und es über die beiden Jahre 2022 und 2023 wohl nicht zu einem Rückgang der Reallöhne komme. Zudem werde in der Schweiz nach wie vor mehr gespart als in der Vor-Corona-Zeit. Somit sei mehr Geld vorhanden für magere Zeiten.
Hoffnung mache auch, dass der Preisdruck ab Mitte 2023 deutlich nachlassen und die Inflationsrate Ende 2023 unter 2 Prozent sinken sollte. In der Folge wird es laut KOF Ende 2023 sogar schon wieder zu Leitzinssenkungen durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) kommen. Schon zuvor erwarten die KOF-Experten keine grossen Leitzinssprünge (Maximalwert: 1 Prozent), weil die Währungshüter eine möglichst hohe Zinsdifferenz zur Eurozone anstrebten.
Energiemangellage könnte zur Rezession führen
Nur moderate Folgen wird die Abkühlung auf den Arbeitsmarkt haben. Die Arbeitslosenquote werde zwar vorübergehend leicht steigen, im Jahresdurchschnitt 2023 aber bei 2,2 Prozent liegen und damit auf dem gleichen Niveau wie im laufenden Jahr.
Dies alles basiert allerdings auf der Annahme, dass Gas und Erdöl in Europa weiter verfügbar sind. Sollte es zu einer vollständigen Unterbrechung der Lieferungen aus Russland in die EU und in der Folge zu Rationierungen kommen, sehe es anders aus. In diesem Fall sei 2023 mit einem Rückgang des Schweizer BIP um 0,4 Prozent zu rechnen.
Sollte obendrein zu wenig Strom aus Frankreich fliessen, sehe es noch düsterer aus. Dann befürchten die KOF-Ökonomen eine BIP-Schrumpfung um 1 Prozent. Und es gibt weitere «schwelende Abwärtsrisiken», wie die Forscher betonen. Erwähnt wird die weitere Corona-Entwicklung in China, die zu erneuten empfindlichen Störungen in den globalen Lieferketten führen könnte. (SDA/smt)