Es ist einer der ersten Tage im neuen Jahr 2023. Der Blick aus dem Fenster der Rhätischen Bahn legt eine triste Landschaft offen. Statt Weiss dominieren die Farben Braun und Grau. Ziel der Zugfahrt ist die höchstgelegene Stadt Europas – ehemaliger Kurort und Austragungsstätte des World Economic Forum (WEF): Davos GR. Bald treffen hier die Reichen und Mächtigen der Welt ein.
Die Skisaison hat bereits begonnen. Doch auf den Asphaltstrassen und Betonflachdächern von Davos liegt kein Schnee. Stattdessen fällt Regen vom Himmel. «Schön ist das nicht», sagt Anwohnerin Margarete Schüpfer (85) mit Blick auf die Stadt. Und spricht damit aus, was viele denken.
Die Architektur polarisiert
Blick befragte Passanten, darunter Touristen und Einwohner von Davos, nach ihrer Meinung zur Architektur der Stadt. Es gebe zwei Blicke auf Davos, sagt Giacomo Müller* (62). «Das eine ist die Schönheit der Natur. Das andere ist die Architektur. Die kann einem gefallen oder nicht», drückt es der Besitzer einer Ferienwohnung diplomatisch aus. «Wenn viel Schnee liegt, gefällt es mir am besten», sagt Uwe Schroeder-Wildberg (57), der hier in den Ferien weilt.
Deutlicher sind ausländische Medien. Die «Welt» betitelte das Mekka der Mächtigen letztes Jahr als «hässliches Davos». Die Stadt, eine sich ziehende Streusiedlung entlang der Landwasser, «aus Gründerzeitpalästen, Flachdachkisten und fussballfeldgrossen Parkplätzen». Man spricht von einer städtebaulichen Katastrophe.
Der Bündner Architekturkritiker und «Hochparterre»-Verleger Köbi Gantenbein (67) beschreibt Davos wie folgt: «Der Ort mag erfolgreich und lebhaft sein, seine soziale und wirtschaftliche Geschichte eindrücklich – aber das Bild des Ortes sei missraten, miserabel und chaotisch.»
Damit sind nicht nur die Betonblöcke gemeint. Es geht auch um die Verkehrsführung. Die Bahnübergänge blockieren regelmässig den Verkehrsfluss durch die Stadt. In der Wintersaison herrscht im Zentrum täglich Stau und Chaos. Tagestouristen kommen im Winter mit dem Auto und parkieren auf dem Parsenn-Parkplatz. Denn mit dem öffentlichen Verkehr ist die Anreise mühsam. Zu weit ist der Bahnhof Davos Dorf von der Bergbahn entfernt.
Die Stadt hat ein Problem. Das bestreitet nicht einmal Landammann Philipp Wilhelm (34). Blick steht mit ihm auf dem grossen Parsenn-Parkplatz. «Ein unwirtlicher Ort», räumt Wilhelm ein. Er soll einem neuen Bahnhof weichen, so der Plan.
«Davos hat noch viel Potenzial»
Hässlich sei Davos nicht, wehrt sich der Landammann gegen das schlechte Image seiner Stadt. Auch sei es keine städtebauliche Katastrophe. «Die Baumeisterin von Davos war die Sonne, zu Zeiten, als Davos noch ein Kurort war», sagt Wilhelm. Die Häuser sind zur Sonne ausgerichtet, mit Balkonen nach Süden.
Dass es Raum nach oben gibt, streitet Wilhelm allerdings nicht ab. «Davos hat noch viel Potenzial, um attraktiver zu werden», so der Landammann.
Neuerungen für 250 Millionen
Davos steht ein Makeover bevor. Die Neugestaltung des Ortszentrums ist ein umfassendes Projekt. Es beinhaltet neben der Verschiebung des Bahnhofs um 400 Meter eine Neugestaltung der Promenade und des Seehofseelis. Der Parkplatz soll ins Untergeschoss verlegt werden.
«Mit diesen Massnahmen wollen wir die Verkehrsströme entflechten und eine neue Begegnungszone realisieren», sagt der Landammann. Wo heute die stark befahrene Autostrasse und der Parkplatz das Ortsbild dominieren, soll Raum zum Flanieren geschaffen werden.
Die Neuerungen sind nicht eben billig: 250 Millionen Franken wird die Schönheitskur für Davos voraussichtlich kosten – wenn sie denn vom Volk angenommen wird. Allerdings muss die Stadt das Projekt nicht alleine stemmen.
Die Rhätische Bahn wird am Neubau des Bahnhofs mitbeteiligt sein. Eine Wohnbaugenossenschaft investiert ebenfalls und will dafür sorgen, dass es im Davoser Zentrum künftig mehr bezahlbaren Wohnraum gibt. Auch die Bergbahn investiert.
Die Gemeinde rechnet aktuell mit Kosten in der Höhe von 88 Millionen Franken. Davos wird dafür Geld aufnehmen. Geplant ist laut dem Landammann eine Bürgschaft von 20 Millionen Franken. «Das ist finanziell vertretbar», so Wilhelm.
Grünes Licht steht noch aus
Noch ist allerdings nichts in Stein gemeisselt. Denn das Projekt befindet sich in der Überarbeitungsphase. Ende Jahr 2023 wird die Bevölkerung von Davos über den Baukredit und den Umbau abstimmen.
Gibt das Volk grünes Licht, soll die erste Etappe des Umbaus ab 2024 erfolgen. Dazu gehören die Verschiebung des Bahnhofs und die Realisierung des Bushofs. Bis 2026 ist die Erstellung der Tiefgarage geplant. Darauf folgt die Neugestaltung des Parks und der Wohnüberbauung. Bis Davos in neuem Glanz erstrahlt, dürfte es laut dem Landammann noch mindestens bis 2030 dauern.
Die diesjährigen WEF-Besucher werden vom grossen Makeover also noch nichts zu sehen bekommen. Mit etwas Glück legt der Schnee bis dahin aber eine weisse Decke über die tristen Asphaltflächen und Betonflachdächer der höchstgelegenen Stadt Europas.
*Name von der Redaktion geändert