Auf einen Blick
- Weltbild Schweiz meldet Konkurs, alle Filialen schliessen sofort.
- Mitarbeiter erfuhren erst am Nachmittag von der Schliessung.
- 124 Angestellte betroffen, August-Lohn wird nicht ausgezahlt.
Stell dir vor, du gehst am Morgen zur Arbeit und erfährst am Nachmittag aus den Medien oder von Kunden, dass dies dein letzter Arbeitstag ist. Und dass dir für die geleistete Arbeit im Monat August nicht einmal mehr einen Lohn ausbezahlt wird. Ein Alptraum, der am gestrigen Mittwoch für alle 124 Mitarbeitende von Weltbild Schweiz Realität geworden ist.
Das Ende des fast 90-jährigen Traditions-Buchladens dauerte nur wenige Stunden. Und mit Ansage kam das Aus nicht. Obwohl vor zwei Monaten der Weltbild-Verlag in Deutschland Insolvenz anmelden musste, behaupteten die Verantwortlichen in der Schweiz stets, dass hierzulande «alles reibungslos» weiter laufen wird.
Es kam anders. So plötzlich. So brutal. So bitter.
Blick hat mit Kundinnen und Kunden sowie Angestellten in Zürich und Winterthur sprechen können – und zeichnet die letzten Stunden von Weltbild Schweiz in einer Timeline nach:
Mittwoch, Vormittag
Es seien «sehr schwierige und traurige Nachrichten», schreibt Geschäftsführer Anatol Fussi in einer Mitteilung an die Angestellten. Man habe alles versucht, aber die Pleite des Mutterhauses in Deutschland sei letztlich zu viel gewesen. Fussi verkündet, dass Weltbild Schweiz am Nachmittag beim Konkursamt des Kantons Solothurn Konkurs anmelden werde. Und fügt an: «Sie sind ab Donnerstag, 22.8.24 von der Arbeit freigestellt.»
Alle 24 Filialen würden am Mittwochabend für immer schliessen. Und alle 124 Angestellten sollen sich mit dem RAV in Verbindung setzen. Dann der nächste Knaller: «Wir werden den August-Lohn leider nicht mehr zur Auszahlung bringen können.»
Mittwoch, 16 Uhr
Die ersten Medien berichten über das abrupte Ende des Weltbild-Verlags. Blick schreibt: «Weltbild muss alle Schweizer Filialen per sofort schliessen.» Erst jetzt erfahren die Kundinnen und Kunden und auch vereinzelte Angestellte vom Ende. In zwei bis drei Stunden müssen sie die Filialen für immer abschliessen.
Mittwoch, 16:30 Uhr
Erst jetzt informiert Weltbild die Öffentlichkeit, schaltet eine Mitteilung auf der eigenen Webseite auf, verschickt E-Mails an die Kundinnen und Kunden sowie ein Communiqué an die Medienschaffenden. Den Konkurs habe man am Mittwochnachmittag offiziell angemeldet, steht da. Oder: «Die Schweizer Tochtergesellschaft ist stets ein erfolgreicher und profitabler Teil der Weltbild-Gruppe gewesen.»
Mittwoch, 17:15 Uhr
Blick trifft im Zürcher Letzipark ein und besucht die Weltbild-Filiale, die in knapp zwei Stunden für immer schliessen wird. Viele Produkte sind bereits in Kartons abgepackt worden. Und es locken Mega-Rabatte. Diese hätten «nichts mit der heutigen Ankündigung» zu tun, lässt ein Weltbild-Sprecher auf Blick-Anfrage ausrichten.
Mittwoch, 17:30 Uhr
Vor der Kamera will mit Blick niemand sprechen – zu gross ist die Angst vor allfälligen Konsequenzen. Schliesslich müssen die Mitarbeitenden auf den ganzen August-Lohn warten, und diesen wohl einklagen. «Ich selber habe es von den Kunden erfahren, diese haben es in der Zeitung gelesen», sagt eine Mitarbeiterin zu Blick. Bemerkenswert: Nicht einmal ein Schreiben im Laden für die Kundinnen und Kunden gibt es. Wer per Zufall am Mittwochabend in dieser Weltbild-Filiale landet, erfährt aus dem Nichts von dem plötzlichen Ende.
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Mittwoch, 18 Uhr
Ein Ansturm ist es nicht – aber es kommen doch einige Kundinnen und Kunden ein letztes Mal bei der Weltbild-Filiale im Zürcher Letzipark vorbei. «Wir sind entsetzt und sehr traurig. Seit es den Weltbild-Laden im Letzipark gibt, ist es der Buchladen für meine Nachbarin und mich. Ich habe jetzt noch meinen letzten Gutschein ausgegeben. 80 Franken streiche ich mir nicht ans Bein», sagt eine Frau zu Blick. «Für die Angestellten ist es ein extremer Schock. Wir wurden hier immer so nett bedient.»
Eine andere Person, die nicht mit Bild vor die Kamera wollte, ist verärgert. «Ich hatte was bestellt und muss es jetzt noch abholen. Ich dachte, ich hätte mehr Zeit.» Auch die Angestellten tun der Dame leid: «Es ist auch absolut unfair, wie man mit dem Personal umgeht. Politisch verstehe ich schon, warum man sie nicht informiert. Aber diese Leute stehen jetzt ohne Lohn da. Und die in den höheren Etagen bekommen ihr Geld.»
Mittwoch, 18:15 Uhr
Auch am Bahnhof Winterthur geht die Weltbild-Filiale am Mittwochabend für immer zu. Eine Handvoll Kunden sind im Laden. Hier geben sich die Angestellten auskunftsfreudiger – bleiben aber aus Angst vor dem Noch-Arbeitgeber anonym: «Wir wissen nicht, was wir den Kundinnen und Kunden sagen sollen», sagt eine Mitarbeiterin zu Blick. «Wir sind selbst vom so schnellen Aus überrumpelt worden. Wir haben erst am Mittwochnachmittag von der Schliessung erfahren.» Die Wut ist gross: «Es hat immer geheissen, die Schweiz wäre nicht betroffen.»
Mittwoch, 18:50 Uhr
Mit 20-minütiger Verspätung geht die Weltbild-Filiale an der Winterthurer Marktgasse zu. Für immer. Die Mitarbeiterin sagt zu Blick, als sie die Türen schliesst: «Wir haben heute top Umsätze gemacht. Jetzt haben wir noch zig Bestellungen von Kunden im Laden.» Wie es für sie nach Weltbild weitergeht, ist unklar. «Ich habe mich vorher grad beim RAV angemeldet», sagt die Frau.
Es sei ein emotionaler Tag gewesen: «Stammkunden haben uns weinend angerufen.» Neben der Trauer ist aber auch Wut und Unverständnis: «Dass wir keinen August-Lohn erhalten, ist der Gipfel!»
Mittwoch, 19 Uhr
Weltbild-Schweiz-Chef Anatol Fussi steht heute nicht für Aussagen zur Verfügung. Die Agentur Farner Consulting übernimmt für den Weltbild-Verlag die Krisenkommunikation.
Warum Weltbild Schweiz vor zwei Monaten die Angestellten und Kundinnen informiert habe, dass die Insolvenz in Deutschland das Schweiz-Geschäft nicht treffen werde – und jetzt trotzdem deswegen Konkurs anmelden muss, will Blick unter anderem wissen.
Die Antwort darauf ist allgemein gehalten: «Die Weltbild Verlag GmbH hat in den vergangenen Wochen und bis zuletzt noch versucht, eine eigenständige Lösung zu finden. Die schlussendlich unüberwindbaren systemischen Abhängigkeiten von der deutschen Muttergesellschaft, die rasante Zuspitzung der Situation in Deutschland und das Ausbleiben eines Investors, liessen der Geschäftsleitung schlussendlich jedoch keine andere Wahl, was wir sehr bedauern.»