Dauerregen in Reykjavik. Joachim B. Schmidt (39) fährt mit dem Velo durch die leeren Strassen der Hauptstadt, die auch zu normalen Zeiten nicht viel belebter wären. Das trübe Sommerwetter könnte seine Stimmung nicht besser zusammenfassen. Es fehlen die Trauben ausländischer Besuchern, die in den Einkaufstrassen Reykjaviks normalerweise aus den Reisebussen strömen und der kargen Skandinavier-Insel den grossen Reibach bescheren. Rund ein Zehntel der isländischen Wirtschaft entfällt auf den Tourismus.
Mit der Corona-Krise ist die einträglichste aller isländischen Quellen versiegt. Auch Touristenführer und Buchautor Schmidt ist betroffen. Als Teenager bereist der Bündner das Land zum ersten Mal, verliebt sich sofort in die brachialen Naturgewalten, die das Landschaftsbild in Form von Geysiren, Vulkanen und Wasserfällen prägen. 2007 wandert er schliesslich aus.
Leichtes Spiel für Contact Tracer
Island wurde vom Virus mit nur 2143 Fällen und zehn Toten bisher fast gänzlich verschont. Schmidt kennt die Gründe: «Der geringen Bevölkerungsdichte wegen haben unsere Contact Tracer leichtes Spiel.» Und: «Ende Juli schossen die Zahlen kurzzeitig erneut nach oben. Da haben wir einen Moment die Luft angehalten. Die Regierung hat aber umgehend die Regeln verschärft und eine zweite Welle vorerst verhindert.»
Dafür ist er seinen Job als Touristenführer los. Für den zweifachen Familienvater besonders bitter: «Weil keinen fixen Arbeitsvertrag bei meinem Arbeitgeber habe, qualifiziere ich nicht für Kurzarbeit.» Seine Ausgaben hat er massiv reduziert, um möglichst unbeschadet durch die Krise zu kommen.
Krisenerprobte Isländer
Noch schlimmer trifft es andere. «Ein guter Freund von mir hat sich über Jahre hinweg eine Bar und ein Reiseunternehmen aufgebaut. Jetzt hat er innert Wochen sein gesamtes Vermögen verloren», sagt Schmidt. Zusätzlich haben bereits zahlreiche Hotels ihre Tore für immer geschlossen. Schmidt weiss: «Es wird möglicherweise Jahre gehen, bis sich die Tourismusindustrie von diesem Schock erholt.» Ähnlich wie in der Schweiz erwarten die Isländer die grosse Entlassungswelle auf den Herbst hin.
Ins Bockshorn lassen sie sich deswegen noch lange nicht jagen. «Island ist krisenerprobt. Auch Finanzkrisen und Vulkanausbrüche hat das Land meisterlich bewältigt.»
Für den arbeitslosen Schmidt zählen die nächsten Monate: «Im Herbst komme ich für Lesungen in die Schweiz. Fallen die ins Wasser, habe ich ein Problem.» So appelliert er an seine Landsleute: «Bitte passt auf euch auf in der Heimat.»