Pünktlich zur Vorweihnachtszeit schneit es hinunter bis ins Flachland. Nicht nur Kinderherzen schlagen höher, auch Mario Irminger (57) ist in Festlaune. Der Denner-Chef weiss: Weil viele ob der Teuerung aufs Geld schauen müssen, kaufen sie auch vermehrt beim Discounter ein. Und sie seien bereit, sich für die Festtage etwas zu gönnen.
Herr Irminger, dicke Zigarren, Champagner, Edel-Weine zu Weihnachten. Wenn man Ihre Werbung anschaut, könnte man meinen, wir haben keine Krise.
Mario Irminger: Die Inflation und steigende Kosten sind allgegenwärtig. Wir stellen aber fest, dass unsere Kundinnen und Kunden an Weihnachten nicht allzu sehr sparen und bereit sind, sich und ihren Familien eine Freude zu bereiten.
Ein Drittel der Weltwirtschaft könnte 2023 in die Rezession rutschen. Geht es den Leuten tatsächlich so gut, dass sie die Korken knallen lassen?
Noch zeigen unsere Umsätze nicht, dass sich die Leute bereits beim Essen und Trinken einschränken. Wir gehen von einem ähnlich guten Weihnachtsgeschäft aus wie in den Vorjahren.
Haben wir den Höhepunkt der Teuerung mit drei Prozent erreicht?
Wir hoffen natürlich, dass wir den Höhepunkt erreicht haben. Die Konsumentenpreise werden wohl aktuell auf dem heutigen Niveau verharren.
Wie viel mehr kostet heute ein Denner-Warenkorb?
Bei uns beträgt die Teuerung gegenwärtig etwas mehr als zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In der zweiten Jahreshälfte mussten auch wir Preise erhöhen. Im November allein ist der Denner-Warenkorb um 3,5 Prozent gestiegen. Vergessen Sie aber nicht: In Deutschland sind Lebensmittel im Oktober um 20 Prozent gestiegen. Die baltischen Staaten und Ungarn liegen sogar noch weit darüber.
Denner hat zuletzt stärker am Tierwohl und Klimaverträglichkeit seiner Eigenmarken gearbeitet. Treibt die Inflation Konsumenten jetzt nicht wieder zum Billig-Fleisch-Regal?
Mit dem Label IP-Suisse im Frischebereich und Ener-Bio (Anm. d. Red.: deutsche Bio-Marke) haben wir eine nachhaltigere Alternative und vergleichsweise günstige für Konsumenten. Auch unsere weniger kaufkräftigen Kunden sind momentan noch bereit, sich die 10 bis 15 Prozent Mehrkosten gegenüber konventionellen Suisse-Garantie-Produkten zu leisten.
Kunden fällt auf, dass Denner zum Teil ein- und dieselben Produkte, zum Beispiel Poulet, im Sortiment hat, die bei der Migros deutlich mehr kosten. Warum die Geheimnistuerei?
Nur weil wir das nicht an die grosse Glocke hängen, hat das nichts mit Geheimnistuerei zu tun. Wir haben die Hoheit über unser Sortiment und die Preissetzung, so wie unsere Konzernmutter Migros diese auch für ihre Supermärkte hat. Wir machen die Preise so, dass sie konkurrenzfähig zu denen der anderen Discounter sind.
Sind Discounter-Kunden sehr sensitiv auf Preissenkungen und -erhöhungen?
Bei der Mehrheit der Kunden steht der Preis im Vordergrund. Durch den Markteintritt unseren beiden deutschen Mitbewerber Aldi und Lidl ist Discount heute salonfähig geworden. Das gesamte Marktwachstum durch Bevölkerungszuwachs wurde praktisch von uns drei Discountern absorbiert.
Discounter sind ein Gradmesser für die Solvenz gewisser Bevölkerungsschichten. Inwiefern hat sich das Einkaufsverhalten geändert?
Bei der Mehrheit der Kunden steht der Preis im Vordergrund. Wir sehen in diesem Inflationsjahr klar, dass unsere Kunden vermehrt Markenprodukte links liegen lassen und häufiger zu preiswerten Artikeln und Denner-Eigenmarken greifen. Zudem werden mehr Aktionsartikel gekauft. Natürlich ist für die Ladenumsätze auch massgebend, wie nahe wir beim Kunden sind.
Mario Irminger (57) arbeitete bei EY als Wirtschaftsprüfer, ab 1996 als Finanzchef bei Heineken Schweiz. 2009 wechselte er zu Denner – zuerst als Finanzchef, seit September 2011 führt er den Discounter als CEO. Der Handelsprofi wuchs in Zürich auf. Er hat einen erwachsenen Sohn und lebt mit seiner Partnerin in der Nähe von Zürich. Lässt es das Wetter zu, strampelt Irminger mit dem Stromer-E-Bike ins Büro am Hauptsitz in Zürich-Binz. Seine Freizeit verbringt er oft in den Bergen.
Mario Irminger (57) arbeitete bei EY als Wirtschaftsprüfer, ab 1996 als Finanzchef bei Heineken Schweiz. 2009 wechselte er zu Denner – zuerst als Finanzchef, seit September 2011 führt er den Discounter als CEO. Der Handelsprofi wuchs in Zürich auf. Er hat einen erwachsenen Sohn und lebt mit seiner Partnerin in der Nähe von Zürich. Lässt es das Wetter zu, strampelt Irminger mit dem Stromer-E-Bike ins Büro am Hauptsitz in Zürich-Binz. Seine Freizeit verbringt er oft in den Bergen.
Bei der Nähe zum Kunden geben Aldi und Lidl Gas, leisten sich Läden an Bahnhöfen und drängen in die Innenstädte. Warum schauen Sie dem tatenlos zu?
Denner hat Marktanteile gewonnen. Zudem sind wir ein Teil der Migros-Gruppe. Und diese hat für hoch frequentierte Standorte ihre Migrolino-Kleinläden. Wir halten uns hier dezidiert heraus. Das heisst aber nicht, dass wir stillstehen.
Wie behaupten Sie sich gegen die beiden Discounter?
Einerseits eröffnen wir neue Filialen. Unser Netz von 850 Denner-Läden und Partner-Filialen ist dieses Jahr unter dem Strich um 10 gewachsen. Wir wollen netto auch im kommenden Jahr mit 10 bis 15 Filialen weiter wachsen. Gleichzeitig rollen wir ab April unser neues Ladenkonzept in der ganzen Schweiz aus, das unseren Kunden einen Mehrwert bietet.
Zum Beispiel?
Wir bauen unsere Filialen fundamental um. Das Frischesortiment mit Backwaren und Gemüse wird grösser, es gibt neu einen Kühlbereich für Fisch- und pflanzliche Fleischersatzprodukte. Die Läden sind nicht mehr mit Paletten zugestellt, es hat mehr Platz fürs Navigieren von Kinder- und Einkaufswagen. Alle Preise sind künftig digital angeschrieben.
Werden die Preise nun rund um die Uhr, je nach Tageszeit verändert?
Das wäre zwar technisch möglich, aber sogenannte dynamische Preise in den Läden je nach Tageszeit sind nicht vorgesehen. Allerdings sind wir jetzt in einer Inflationsperiode, die uns noch ein bis zwei Jahre begleiten wird. Digitale Preisschilder haben den Vorteil, dass sich Preisänderungen wöchentlich wesentlich effizienter durchführen lassen und sie unsere Mitarbeitenden entlasten.
Aber warum verzichten Sie auf Automatenkassen, die mittlerweile überall Standard sind?
Das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen. Es wird sich zeigen, ob wir künftig eine Kasse zugunsten von Bezahlautomaten einsparen oder am Zwei-Kassen-System festhalten.
So ein Grossumbau verschlingt Unsummen.
Ein grösserer Umbau alle zehn Jahre ist nötig, weil sich in dieser Zeit die Bedürfnisse der Kunden ändern. Wir sprechen hier von einer substanziellen Investition im tiefen dreistelligen Millionenbereich über die kommenden vier bis fünf Jahre, bis der Umbau unseres Netzes abgeschlossen ist.
Denner lehrte einst Coca-Cola, Nestlé und Co. das Fürchten, indem man die Markenlieferanten in der Schweiz boykottierte und die Waren günstiger im Ausland auf dem Graumarkt beschaffte. Wieso sind Sie so zahm geworden?
Wir führen einen sehr aktiven Kampf um tiefere Preise mit unseren Lieferanten. Gegenwärtig versuchen praktisch alle Markenhersteller, höhere Preise bei uns durchzusetzen. Allerdings glaube ich, dass unser Renommee, das wir in den zehn Jahren erarbeitet haben, der Art ist, dass wir nicht mehr Parallelimporte durchführen müssen.
Wollen Sie damit sagen, dass die Lieferanten sich vor den Denner-Einkäufern fürchten?
(Lacht) Die Lieferanten wissen heute einfach, dass wir konsequent sind.
Sie boykottieren Hersteller und nehmen Produkte aus dem Sortiment?
Es gibt Lieferanten, die die Gunst der Stunde nutzen wollen. Sie schieben die allgemeine Inflation vor und stellen überrissene Preisforderungen, die wir inhaltlich nicht nachvollziehen können. Darum gehen wir auf solche Forderungen nicht ein. Das führt dann dazu, dass Artikel des entsprechenden Markenlieferanten nicht mehr im Regal steht.
An wen richtet sich der Denner-Boykott?
Mars Schweiz zum Beispiel verlangte kürzlich Preise, die wir nicht akzeptierten. In der Folge hatten wir die Bestellungen storniert und verkauften die Mars-Produkte, zum Beispiels aus dem Süsswaren- und Snackbereich, nicht mehr. Die Produkte waren so lange aus dem Sortiment, bis wir eine Einigung erzielen konnten.
Sie gehen mit einem Preiskampf ins neue Jahr. Der ist wohl auch nötig, wenn Sie den drohenden Kostenschub durch Krankenkassen, Vermieter und Energiedienstleister für Ihre Kunden vor Augen haben?
Wir sehen, dass jetzt auch der Mittelstand beim Einkauf häufiger auf die Preise schaut und sparen muss. Dabei haben wir in der Schweiz schon eine recht hohe Anzahl an Haushalten mit niedrigem Einkommen, die auf tiefe Preise angewiesen sind und durch die Inflation sowieso schon stark getroffen werden. Die Treibstoffpreise sind zwar rückläufig, aber die Erhöhung der Krankenkassenprämien und Mietnebenkosten schenken erst in den nächsten Monaten so richtig ein und von der Schweizer Bevölkerung geschultert werden müssen.
Sie rechnen auch langfristig mit einem Kundenzuwachs?
In den nächsten Jahren steigt die Bevölkerungszahl weiter aufgrund der Migration. Diese Leute haben tendenziell tiefere Einkommen. Dann gehen Babyboomer wie ich in den nächsten zehn Jahren in Pension. Zwischen dem letzten Einkommen, das jeder hat, und der ersten Rente liegt ein Kaufkraftverlust. Haushalte werden kleiner. Das alles spielt uns Discountern in die Hände.
Sie sprechen bereits von Ihrer Pensionierung. Geben Sie bald den Chefposten ab?
(Lacht) Noch ist es nicht so weit. Ich liebe meinen Job bei Denner und bin glücklich. Zudem möchte ich die kommenden Jahre noch den Grossumbau unserer Filialen begleiten.
Sie bleiben bei Denner und sind glücklich auch über den Geschäftsverlauf in diesem Jahr?
Wir haben Marktanteile gewonnen, neue Filialen eröffnet und haben unsere Umsätze gesteigert. Ausserdem stehen die umsatzstarken Tage um Weihnachten und Neujahr noch bevor.
Die dicke Zigarre zum Jahresschluss liegt schon bereit?
Ich bin ja Nichtraucher, darum halte ich mich lieber an ein schönes Glas Rotwein zu Weihnachten. Gegessen wird wie jedes Jahr Fondue Bourguignonne im Kreis meiner Familie.