Nach dem vergangenen Wochenende ist für Hotelier David Burgener (57) nichts mehr, wie es einmal war. Vor seinem Familienhotel Eden in Saas-Grund VS stapeln sich mit Matsch beschmierte Kühlschränke. Arbeiter tragen Eimer für Eimer Schlamm aus dem Gebäude. Die Eingangstür: herausgerissen. Ein paar Fenster sind eingedrückt. Tische, Stühle, kistenweise Material landen auf dem Müll. «Alles, was wir in den letzten 40 Jahren aufgebaut haben, müssen wir jetzt in die Mulde werfen», sagt Burgener resigniert, als er Blick empfängt.
Mit wir, meint er seine Eltern, die das Hotel 1976 aufgebaut haben, sowie seine Frau und sich selbst. Sie haben den Betrieb schliesslich übernommen und mit viel Geld renoviert. Die Familie investiert auch in den Folgejahren laufend weiter. Das Hotel mit seinen 36 Zimmern war in einem tadellosen Zustand. Das Geschäft brummte. Bis Oktober sind die Betten praktisch ausgebucht. Dann das Unwetter und mit ihm der Schock. «Jetzt muss ich mit 57 Jahren noch mal bei null anfangen», sagt Burgener. Doch er weiss, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können.
Gegen Wassermassen gestemmt
Burgener erinnert sich an die Nacht auf Sonntag, als der nahe gelegene Triftbach über die Ufer getreten ist: Er und seine Frau stemmten sich gegen die Hoteltür und hielten mit der Unterstützung von Mitarbeitern und Bekannten das Wasser draussen. Ihre Gäste hätten sie zuvor in die oberen Etagen geschickt. Während drei Stunden konnten sie die Tür dichthalten. «Dann hat es laut geknallt und wir sind meterweit durch den Raum gegen die Rückwand geflogen», erzählt er.
Der Bach führte riesige Mengen an Geröll und Schlamm mit. Das Material schoss durch die herausgerissene Türöffnung ins Innere. Das Ehepaar konnte sich im letzten Augenblick die Treppe hoch in Sicherheit bringen. «Das war natürlich fahrlässig. Wir haben Glück, dass wir noch leben», sagt er. Doch darüber hätten sie in dem Moment nicht nachgedacht. Sie wollten retten, was zu retten ist. Umsonst: Erde, Steine und Wasser füllen das Unter- und Erdgeschoss meterhoch auf.
100 Anrufe pro Tag
Die Wassermassen haben auch das Hotel Moulin auf der gegenüberliegenden Strassenseite durchgespült und mehrere andere Wohnhäuser, Gebäude und öffentliche Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen. Gemeindepräsident Bruno Ruppen (69) geht von einer Schadenssumme von bis zu 100 Millionen Franken aus.
Die Arbeiter beim Hotel Eden kippen laufend Schlamm in die Kelle des kleinen Baggers. Sobald diese voll ist, steigt Burgener in das Fahrzeug und schafft das Material weg. Er packt täglich 14 bis 15 Stunden beim Aufräumen mit an. Und wird regelmässig von Anrufen unterbrochen. In den ersten Tagen hätten ihn pro Tag rund 100 Gäste angerufen, die in diesem Sommer im Hotel Eden Ferien gebucht haben. Sie möchten wissen, wie es um ihre Ferien steht. «Doch unser Betrieb hat einen Totalschaden erlitten. Ich habe kein Hotel mehr!», muss Burgener darauf antworten.
Kein Strom, kein Essen
Die Schäden am Hotel Eden dürften sich auf mehrere Millionen Franken belaufen. Burgener führt durch die zerstörte Hotelküche, rund um die beschädigte Bar aus Massivholz und deutet an die Decke. «Die Dekoration der Rezeption hing 45 Meter entfernt im Speisesaal an der Decke.» Dutzende Geräte und Maschinen, die Heizung, Böden und Fenster sind beschädigt oder ganz hinüber. «Lebensmittel und Getränke im Wert von 150'000 Franken sind kaputt.» Die Holzbalken einer Wand haben unter dem Druck nachgegeben. Weil das Hotel keinen Strom hat, sorgen bei den Räumarbeiten im Untergeschoss Scheinwerfer für Licht. Hier liegt noch deutlich mehr Material und man muss ab und an den Kopf einziehen.
Aufgeben ist für die Familie Burgener aber keine Option. «Alles Materielle kann man ersetzen», so der Hotelier. Am Montag rief er bei der Versicherung an. Seit Dienstag räumen rund 20 Arbeiter die Verwüstung auf. Bis am Freitagabend will er den Schlamm draussen haben. Er hofft, dass der angekündigte Starkregen am Wochenende nicht für weitere Schäden sorgt.
Die Schweizer Bevölkerung zeigt sich mit den Unwetterregionen im Tessin, Wallis und Graubünden überaus solidarisch. Bei der Glückskette sind nach einem Spendenaufruf vom Montag innerhalb von drei Tagen 3,7 Millionen Franken zusammengekommen. In einem ersten Schritt geht es um Soforthilfen für Privatpersonen. Auch die beiden Detailhandelsriesen zeigen sich grosszügig: Migros hat 750'000 Franken für die betroffene Bevölkerung gespendet und weitere 250'000 Franken bereitgestellt. Coop und Coop Patenschaft für Berggebiete stellen in den drei Kantonen bis anhin 600'000 Franken zur Verfügung. «Die Spenden fliessen an die offiziellen Krisenstäbe, die für die Verteilung zuständig sind», heisst es bei Coop. Laut Migros soll das Geld für die rasche Unterstützung der Bevölkerung in den verwüsteten Gebieten und den Aufbau der zerstörten Dörfer eingesetzt werden.
Die Schweizer Bevölkerung zeigt sich mit den Unwetterregionen im Tessin, Wallis und Graubünden überaus solidarisch. Bei der Glückskette sind nach einem Spendenaufruf vom Montag innerhalb von drei Tagen 3,7 Millionen Franken zusammengekommen. In einem ersten Schritt geht es um Soforthilfen für Privatpersonen. Auch die beiden Detailhandelsriesen zeigen sich grosszügig: Migros hat 750'000 Franken für die betroffene Bevölkerung gespendet und weitere 250'000 Franken bereitgestellt. Coop und Coop Patenschaft für Berggebiete stellen in den drei Kantonen bis anhin 600'000 Franken zur Verfügung. «Die Spenden fliessen an die offiziellen Krisenstäbe, die für die Verteilung zuständig sind», heisst es bei Coop. Laut Migros soll das Geld für die rasche Unterstützung der Bevölkerung in den verwüsteten Gebieten und den Aufbau der zerstörten Dörfer eingesetzt werden.
Burgener zeigt auf seine Agenda auf dem Handy. Bereits nächste Woche hat er einen Termin mit dem Inneneinrichter. «In den ersten 50 Stunden habe ich kaum geschlafen und einfach funktioniert», erzählt er. Mittlerweile holen Burgener die Emotionen ein. Momente der inneren Leere, Tränen, der Schock sitzt tief.
Wann kann das Hotel wieder öffnen?
Bis das Hotel wieder öffnen kann, wird es noch dauern. «Ich rechne mit mindestens zehn Monaten. In der kommenden Wintersaison wird die Sanierung bestimmt noch laufen», sagt Burgener. Für diese Zeit wird die Betriebsausfallversicherung entscheidend helfen.
Rein äusserlich dürfte der Gemeinde bereits bis im Oktober kaum mehr etwas anzusehen sein, sagt Gemeindepräsident Bruno Ruppen zu Blick. Auch dank derzeit bis zu 150 Helfern, die täglich im Einsatz stehen und schon Dutzende Tonnen an Material fortgeschafft haben. «Die Solidarität ist riesig», so Ruppen. In den Köpfen der Einheimischen werde die Katastrophe aber noch Jahre nachhallen. Schliesslich kam dabei auch ein 67-jähriger Deutscher, der in Saas-Grund zu Besuch war, ums Leben.