Die schweren Unwetter haben in Graubünden, Tessin und Wallis mehrere Todesopfer gefordert und grosse Schäden hinterlassen. Der frühere FDP-Präsident Franz Steinegger (81) hat das Unwetter vom letzten Wochenende in Andermatt UR miterlebt. Er selbst hatte als langjähriger Leiter des Urner Krisenstabes die grossen Unwetterkatastrophen von 1977 und 1987 zu meistern und erwarb durch sein überlegtes Handeln den Beinamen «Katastrophen-Franz».
Blick: Herr Steinegger, Sie haben als «Katastrophen-Franz» selber grosse Unwetter-Krisen gemeistert. Was geht Ihnen angesichts der aktuellen Katastrophenbilder durch den Kopf?
Franz Steinegger: Ich war am Wochenende mit meiner Frau in unserer Ferienwohnung in Andermatt, als das Unwetter über uns hereinbrach. Es hat geblitzt, gedonnert und in Strömen geregnet. Der Himmel hat sich derart verdunkelt, dass man kaum noch die Zeitung lesen konnte. «Das ist wie 1987», habe ich zu meiner Frau gesagt. Damals waren das nördliche Tessin und das südliche Uri stark betroffen. Diese Bilder kommen nun wieder hoch. Wir hatten damals aber viel Glück im Unglück, weil es keine Menschenleben zu beklagen gab.
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Das ist diesmal anders und die Extremereignisse nehmen zu. Macht Ihnen da der Berg nicht Angst?
Nein, ich habe keine Angst. Mit dieser Situation müssen wir leben. Ein Berg heisst auch, dass die Schwerkraft wirkt. Wir müssen immer wieder damit rechnen, dass Wasser und Steine herunterkommen. Das haben wir aber einigermassen im Griff. Trotzdem kann die Situation auch mal aus dem Ruder laufen – so wie jetzt. Deshalb müssen wir umso mehr vorsehen. Gerade auch, weil sich das Berggebiet in den letzten Jahrzehnten verändert hat.
Was meinen Sie damit?
Die Schäden bei solchen Unwetterereignissen sind grösser und teurer geworden. Das hat vor allem auch mit dem Ausbau der Infrastruktur zu tun: Autobahnen, Eisenbahntunnels, Hochspannungsleitungen oder der ausgeweitete Siedlungsraum. Kommt hinzu, dass sich viele Siedlungspunkte in den Bergen auf Schwemmkegeln befinden, wo schon einmal Material heruntergekommen ist. Das Risiko steigt damit.
Ist das Risiko schlicht zu gross? Bereits werden Ideen laut, dass besonders gefährdete Bergtäler aufgegeben werden sollten. Müssen wir uns der Natur beugen?
Nein, von einem solchen Ansatz halte ich überhaupt nichts. Dann müsste man ja gleich ganz Uri und das halbe Wallis evakuieren.
Und Sie werden zum Klimaflüchtling.
Das können Sie vergessen! Ich werde sicher nicht zum Klimaflüchtling.
Dann muss die Schweiz aber mehr für den Klimaschutz tun, um solche Katastrophen zu verhindern?
Wir können nicht jedes Unwetter dem Klimawandel anhängen. Und wir können den Klimawandel auch nicht aufhalten. Wir müssen uns daher überlegen, wie wir das Berggebiet sicherer machen können. Wenn das Klima zu mehr Regen und Abflüssen führt, müssen wir uns wehren.
Und wie?
Wir müssen nicht unsere Täler räumen, sondern in Schutzmassnahmen investieren. Der Kanton Uri hat mithilfe des Bundes in den letzten Jahrzehnten rund 250 Millionen Franken in Schutzmassnahmen investiert. Es braucht eine Risikoabschätzung, wo welche Gefahren bestehen und wie oft sie eintreffen könnten. Dort muss man gezielt ansetzen. Es rächt sich, wenn man nichts macht – auch wenn es einen absoluten Schutz nie geben wird. Mit einem gewissen Restrisiko müssen wir leben.
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Es gibt eine Warn-App des Bundes, die man aber selber aufs Handy laden muss. Braucht es nicht ein Warnsystem, das automatisch auf allen Handys im betroffenen Gebiet Alarm schlägt?
Eine solche Warnung ist gut, aber das reicht nicht. Wenn die Leute nicht wissen, wie sie sich verhalten müssen und wo sie sich in Sicherheit bringen können, nützt auch eine Warn-App nichts. Es braucht in jedem Dorf eine lokale Organisation, die dafür zuständig ist – das können auch nur zwei, drei Leute sein. Von der Feuerwehr beispielsweise oder vom Zivilschutz. Dass diese immer stärker zentralisiert werden, ist ein Fehler. Bei solchen Ereignissen funktioniert eine zentralisierte Feuerwehr überhaupt nicht, es braucht Manpower vor Ort.