Demolierte Häuser. Zerstörte Wege und Strassen. Herumliegende Steinmassen. Die Unwetter in der Vallemaggia sorgten für sichtbare Zerstörung. Aber noch viel schlimmer: Sie kosteten auch Menschenleben. Einige Opfer der Tessiner Sintflut gelten noch als vermisst, andere wurden bereits tot geborgen.
Den Horror am Wochenende miterlebt hat Kevin Balli (16). Der Schüler wohnt weiter unten im Tal, in Cavergno. Dort, wo sich das Maggiatal teilt und das Val Bavona beginnt. Blick hat den Jugendlichen am Dienstag getroffen. Zwei Tage zuvor musste Balli in Gesichter von Opfern des Unglücks blicken. Gesichter von toten Menschen.
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Angefangen hat das Drama in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Balli erwacht. Es ist 1.30 Uhr. Wasser tropft von der Decke. «Dann erfuhr ich vom Erdrutsch weiter oben im Val Bavona.» Der Teenager kennt die Gegend gut. Denn seine Eltern besitzen ein Haus im Weiler Fontana.
«Gingen näher, um zu schauen, ob sie noch lebt»
Später, es ist gegen fünf Uhr, gehen Balli und sein Vater von zu Hause los und stapfen talaufwärts. Auf der Höhe des Weilers Mondada blicken sie den Hang hinauf. Und sehen plötzlich neben einem zerstörten Rustico eine Frau. «Wir gingen sofort näher, um zu schauen, ob sie noch lebt.»
Balli erinnert sich: «Es war eine ältere Frau. Sie sass dort. Regunglos. Sie war tot.» Weiter oben entdecken der Schüler und sein Vater eine weitere Seniorin. «Ich kletterte hoch. Steine und Äste bedeckten die Person zur Hälfte. Oberkörper und Kopf waren frei.»
Balli und sein Vater stehen unter Schock. «Wir wollten die Polizei anrufen. Aber wir hatten kein Netz. Also mussten wir runter ins Tal laufen.» Dort trafen sie Polizisten an und berichteten ihnen vom Drama. «Sie wussten schon von den Leichen, waren aber noch auf der Suche nach Überlebenden.»
Am Dienstag geht Blick mit dem Schüler und seiner älteren Schwester nochmals hoch nach Mondada, dem Ort der Tragödie. Der Weg führt über gigantische Gerölllawinen und aufgerissene Strassen. Teile von zerstörten Autos sowie von Elektrokabeln liegen herum. Ein vom Unwetter entstandener Steinhügel türmt sich auf, er ist gut zehn Meter hoch.
«Es beschäftigt mich und macht mich traurig»
Er denke noch immer an den Anblick von Sonntagmorgen, sagt Kevin Balli. «Jetzt, wo wir wieder da sind, kommen die Bilder wieder hoch. Hier zwischen dem Geröll habe ich die Toten gefunden. Ich werde die Bilder nie mehr vergessen. Es beschäftigt mich und macht mich traurig.»
Auch Manlio della Bosca ist traurig. Er sah am Sonntagmorgen die Leichen der beiden Personen ebenfalls. Der 52-Jährige bewohnt im Weiler ein Rustico. Es gehört der Familie seiner Freundin. Della Bosca ist Nachbar des zerstörten Hauses, neben welchem die Leichen lagen.
Die Nacht von Samstag auf Sonntag verbringt er mit seiner Partnerin im Rustico. «Wir waren im oberen Stock», sagt der Tessiner zu Blick. «Plötzlich donnerten vor unserem Haus Steine in die Tiefe. Unser Rustico bebte.»
Er und seine Freundin gehen aus dem Haus. Und treffen weitere Leute vom Weiler. «Dann suchten wir die Vermissten.» Sie finden zwei Frauen. «Sofort kontaktierten wir die Rega.» Die Frauen schafften es nicht, es sind zwei der Todesopfer. «Das dritte Opfer fanden die Rettungskräfte später.» Der Helikopter evakuiert später della Bosca und die anderen Überlebenden vom Weiler und fliegt sie nach Cevio weiter unten im Tal.
Am späten Dienstagnachmittag teilt die Polizei mit, dass die drei verstorbenen Frauen formell identifiziert worden seien. Es handle sich demnach um eine 76-Jährige sowie zwei 73-Jährige. Alle drei seien Deutsche mit Wohnsitz in Baden-Württemberg.