Zum Start die grosse Frage: Wer ist schuld daran, dass jedes Jahr die Prämien steigen?
Philomena Colatrella: Ich möchte nicht von Schuld reden. Es gibt da unter anderem einen grossen Corona-Effekt. Vor Corona stiegen die Kosten um 3 bis 4 Prozent pro Jahr. Dann kam die Covid-Pandemie, und die Kosten sanken erst einmal, weil viele Behandlungen aufgeschoben wurden. Nun gab es einen Nachholeffekt, zumindest bei den stationären Behandlungen im Spital. Paradoxerweise hat die grösste Gesundheitskrise zuerst Kostenersparnisse gebracht.
Das heisst, es geht weniger um die Preise als um die Menge der Leistungen?
Ja, im Moment ist es ein Mengeneffekt. Hinzu kommen die Finanzierungsprobleme der Spitäler. Viele haben die Löhne erhöht, das Pflegepersonal wurde teurer. Und das versuchen sie jetzt, im Rahmen der Verhandlungen auf die Krankenkassen zu überwälzen. Daneben gibt es Preiseffekte.
Man hört oft von diesen superteuren Therapien. Sind das einfach schlagzeilenträchtige Einzelfälle, oder geht es da in der Masse um viel Geld?
Nein, es sind keine Einzelfälle. Diese teuren Behandlungen haben einen relevanten Effekt auf die Kosten. Hier braucht es neue Preis- und Finanzierungsmodelle.
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Wie gross wird die Prämienerhöhung aufs Jahr 2025 hin sein?
Darüber darf ich mit Ihnen noch nicht reden. Hinzu kommt: Normalerweise haben wir in der Grundversicherung meist erst Ende des zweiten Quartals eine genauere Vorstellung von der Kostenentwicklung. Klar ist: In der Grundversicherung ist die Branche im Moment defizitär. Auch wegen des Reserveabbaus in den letzten Jahren.
Die Politik zwingt Sie seit längerem, Kapital aufzubrauchen. Ist da mittlerweile ein Bodensatz erreicht?
Ja. Der Reserveabbau war eine schlechte Massnahme, die zu diesem Jo-jo-Effekt beigetragen hat.
Gibt es Folgekosten von Corona? Man spricht jetzt viel über Long Covid.
Long Covid kann unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Wir arbeiten mit Altea, dem Covid-Netzwerk der Uni Zürich, zusammen, um Patienten und Patientinnen in der Long-Covid-Behandlung zu begleiten. Dabei gibt es Indikatoren, wonach eine stärkere Inanspruchnahme von Ergotherapie und Physiotherapie nötig ist. Man hört viel über Müdigkeit, Stress und Schlafstörungen.
Auch psychische Erkrankungen haben in den letzten Jahren zugenommen.
Wir sehen, dass die Jungen sich kränker fühlen und auch mehr Psychotherapie in Anspruch nehmen. Auch bei den Über-65-Jährigen nehmen die Krankheitstage zu. Ich glaube, dass das damit zu tun hat, dass wir zwei Jahre lang eingeschlossen waren. Hinzu kommt die geopolitische Lage mit den Kriegen in der Ukraine und in Israel. Das überfordert gerade die Jungen wohl stärker als uns Ältere, denn für sie ist das neu. Unsere Welt ist komplexer geworden.
Was heisst das für Sie als Unternehmen oder als Firmenchefin?
Wir beobachten sehr genau, was auf dem Markt passiert und wie sich die Gesellschaft verändert. Dieses Jahr stehen zudem weitere wichtige Initiativen an, wie die zwei Prämienvorlagen am 9. Juni, und die Einheitskasse ist auch immer wieder ein Thema.
Was bedeutet das Ja zur AHV-Initiative diesbezüglich?
Die Initianten und Initiantinnen werden natürlich versuchen, die Stimmung aufrechtzuerhalten. Das heisst für uns, dass wir aufmerksam bleiben müssen. Wir müssen unsere Verwaltungskosten im Griff haben und uns fragen, wie wir effizienter werden, unsere Prozesse noch stärker automatisieren – und unter Beweis stellen, dass der Wettbewerb unter den Krankenkassen für die Versicherten wirklich ein Vorteil ist.
Wo sehen Sie den Hauptvorteil des Wettbewerbssystems?
Es geht um Innovation, tiefe Verwaltungskosten, Service und Produktgestaltung. Es geht darum, welche Produkte ich anbiete und um die Art und Weise, wie ich die Patientinnen und Patienten betreue und begleite – etwa vor einem Eingriff oder nach einer Operation. Wenn ich mit meinem Versicherer nicht zufrieden bin, dann habe ich heute die Möglichkeit, den Anbieter zu wechseln.
Aber kommt das bei der Konsumentin an? Im Kopf habe ich: Die Leistungen in der Grundversicherung sind einheitlich, und dann gibt es einen Preiswettbewerb, bei dem sich die Kassen um die attraktivsten Kunden balgen.
Nicht mehr! Der Wettbewerb um gute Risiken funktioniert nicht mehr, das wurde mit dem Risikoausgleich mittlerweile fein austariert. Es geht um die Leistungen, die einzelne Kassen erbringen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus dem Bereich dieser neuen, teuren Therapien: Mit unserer Grösse sind wir in der Lage, die Einzelfälle ausgewogen zu beurteilen. Wir können mit Pharmaunternehmen über Preise verhandeln. Und wir können Alternativen aufzeigen für den Fall, dass wir etwas nicht übernehmen. Da gibt es durchaus Unterschiede zwischen den Kassen.
Aber das kann ich nur beurteilen, wenn der Ernstfall eingetreten ist. Als junge, gesunde Person bleibt mir doch nichts anderes übrig, als die Kasse mit den tiefsten Prämien zu suchen.
Als ich hier anfing, war die CSS im Schnitt 2.50 Franken teurer als der Durchschnitt, heute sind wir 2.70 Franken billiger. Erreicht haben wir das über Kostendisziplin bei den Verwaltungs- und bei den Leistungskosten. Viel Automatisierung, intelligente Systeme: Das ist die primäre Aufgabe eines Krankenversicherers und gleichzeitig ein Wettbewerbsvorteil der CSS.
Wäre die Einheitskasse nicht effizienter aufgestellt als 44 einzelne Krankenkassen?
Nein, denn Sie haben dann einen grösseren Apparat mit mehr Komplexität. Und der Wettbewerb fällt weg, der heute dazu führt, dass sich jede verbessern will. Ich möchte erstmal sehen, ob eine Einheitskasse eine Quote von 5 Prozent Verwaltungskosten erreicht, wie wir das heute in der Branche haben. Das ist sehr wenig! Bei der CSS betragen die Verwaltungskosten sogar nur 3,9 Prozent.
Aber Sie haben schon ein wenig Angst, dass im Zuge der Stimmung, welche das deutliche Ja zur AHV-Initiative brachte, auch linke Initiativen im Gesundheitsbereich eine Chance haben könnten?
Die letzten Beratungen im Parlament gehen in eine andere Richtung. Der Nationalrat hat jüngst eine Standesinitiative abgelehnt, die kantonale Einheitskassen zulassen wollte.
Der Nationalrat war auch nicht für die 13. AHV.
Letztlich ändert die Organisation der Grundversicherung nichts daran, dass die Kosten im Gesundheitswesen steigen. Der englische NHS ist eine Einheitskasse, und die Kosten sind enorm hoch. Man kann sich fragen, wie viele Kassen es braucht. Ich stelle mir aber vor allem die Frage: Wie viele Spitäler braucht es? Und wie können wir das Gesundheitswesen mit einer besseren Spitalplanung effektiver machen? Da gäbe es die Idee, die Kantone in sechs Gesundheitsregionen zusammenzufassen. Das Ziel muss eine überschaubare Landschaft mit Spitälern und Krankenversicherern sein. Und es braucht Fortschritte bei der Digitalisierung. Eine qualitativ hochstehende und kostengünstigere Versorgung muss auf Gesundheitsdaten basieren, die zwischen den verschiedenen Ärzten und Institutionen geteilt werden.
Müsste man die Spitalplanung vermehrt dem Bund übertragen statt den Kantonen?
Es fehlt vor allem an übergeordneten Vorgaben, wie die Spitalplanung in den Kantonen stattfinden soll. Ob das jetzt der Bund macht oder die Gesundheitsdirektorenkonferenz, ist nicht entscheidend. Wir haben in der Schweiz rund 280 Spitäler. London hat mit etwa gleich vielen Einwohnerinnen und Einwohnern 39 Akutspitäler. Wir leisten uns in der Schweiz eine enorm hohe Spitaldichte.
Sie haben uns erklärt, dass 95 Prozent der Prämien von den Behandlungskosten definiert sind und nur 5 Prozent vom Betrieb der Krankenkassen. Können Sie auf diese 95 Prozent Einfluss nehmen?
Ja, in grossem Masse. Die meisten unserer Rechnungen werden automatisiert analysiert, wir liegen da bei einem Automatisierungsgrad von 84 Prozent. Dabei entdecken wir beispielsweise falsche Positionen in den Abrechnungen von Spitälern, Ärztinnen und Ärzten. Diese schicken wir zurück. Das kann zum Beispiel dann sein, wenn ein Arzt für eine Behandlung dreissig Minuten abrechnet, wofür aber nach Gesetz nur zehn Minuten bezahlt werden. Letztes Jahr verhinderten wir so 797 Millionen Franken an ungerechtfertigten Ausgaben. Würden wir nicht so konsequent kontrollieren, würden unsere Prämien um rund 11 Prozent höher ausfallen.
In der Politik wird gerne über den Leistungskatalog gestritten. Ist der nicht viel zu umfangreich?
Wir hatten gerade ein Wahljahr, und da wurden die unterschiedlichsten Vorschläge diskutiert, bis hin zur Abschaffung des Obligatoriums. Das KVG funktioniert alles in allem gut. Aber man muss sich fragen, ob der Leistungskatalog zeitgemäss gemanagt wird. Unser Problem ist: Wenn wir neue Behandlungen in den Katalog aufnehmen, müssen wir Bestehendes hinterfragen. Braucht es eine alte Behandlung noch, wenn eine neue, bessere bezahlt wird? Es geht nicht einfach darum, einzelne Dinge zu streichen.
Da landet man oft bei Themen wie der Alternativmedizin. Sind diese Kosten wirklich relevant?
Nein, das ist nicht das Thema. Ich mache ein Beispiel: Es gibt Krankheiten, bei denen man mit Smartphone-Apps Patientinnen zwischen zwei Arztterminen digital therapieren kann. Das verhindert Komplikationen mit entsprechenden Kosten. Ein anderes Thema wäre die integrierte Versorgung bis hin zur Prävention, wobei wir heute gar keine gesetzliche Legitimation haben, Prävention zu fördern.
Sie können das heute doch alles in einem Wahlmodell machen, bei dem ich mich für Managed Care entscheide und mit tieferen Prämien belohnt werde.
Aber auch da können Sie das Thema Prävention nicht wirklich einbinden. Hinzu kommt, dass wir das Potenzial von medizinischem Personal zu wenig nützen.
Das heisst?
Dass ausgebildetes Pflegepersonal nicht nur innerhalb einer Gruppenpraxis, sondern auch im Spital, in der Akutklinik, bei der Spitex oder im Pflegeheim niederschwellige Behandlungen fallabschliessend erledigen darf. Das geht heute nicht, weil es die entsprechenden Tarifpositionen nicht gibt. Uns fehlt ausserdem eine gemeinsame Datengrundlage. Ich spreche nicht vom 390-Millionen-Bundespogramm Digisanté, sondern von der Digitalisierung zwischen den Organisationen, einer digitalen Datenschnittstelle. Da hinken wir hinterher.
Woran liegt das?
Wir haben im Gesundheitswesen keine standardisierten Daten, keine Interoperabilität und föderalistische Einzellösungen. Dazu kommen fragmentierte Interessen, die den Nutzen einer Datenschnittstelle noch zu wenig erkennen. Würde man die Gesundheitsdaten auf einer Plattform zusammenlegen, dann hätten die verschiedenen medizinischen Institutionen den Überblick, was schon gemacht wurde. Das würde die Behandlung eines Patienten effektiv und effizient gestalten und doppelte Behandlungen verhindern. Auch die Wissenschaft und die Forschung könnten davon profitieren.
Müsste der Bund Druck machen und mehr einfordern?
Nicht nur der Bund steht in der Pflicht. Das Gleiche gilt auch für die Krankenversicherer. Wir müssen mit innovativen Ideen vorangehen. Als Beispiel: Wir haben in Morges ein Pilotprojekt mit dem Ensemble Hospitalier de La Côte lanciert. Zum Netzwerk gehören ein Akutspital, eine private Klinik, sechzig Hausärztinnen, drei Altersheime und zwanzig Fachspezialitäten von der Uni Lausanne. Alle arbeiten mit der gleichen Datenplattform. Das rechnet sich, weil wir Transparenz darüber haben, was der einzelne Arzt, jede Klinik, das ganze Netzwerk auf dem Patientenpfad macht. Und so kann man Effizienzen schaffen. Die Kosteneinsparungen kommen dabei den Versicherten in Form von Rabatten zu.
Diese Rabatte für Managed Care wurden immer wieder politisch kritisiert und teilweise gekürzt. Können Sie heute die Einsparungen voll weitergeben, ohne Ärger mit der Aufsicht zu bekommen?
Ja, aber nur, wenn wir klar aufzeigen können, dass die Rabatte mit den Kosteneinsparungen zu tun haben, und nicht damit, dass wir einfach gesündere Versicherte in diesen Modellen drin haben. Deshalb lohnt sich die Jagd nach sogenannten «guten Risiken» schon lange nicht mehr. Wir haben auch das Managed-Care-Modell Multimed, das für chronisch Kranke attraktiv ist, weil die Versicherten über einen tieferen Selbstbehalt belohnt werden.
Stichwort Selbstbehalt: Sie haben mal einen massiv höheren Selbstbehalt gefordert.
Ich habe das aber nicht gefordert, sondern damit eine Diskussion in Gang gebracht.
Sollte man Selbstbehalte einkommensabhängig gestalten? Eine Gutverdienerin kann mehr tragen als ein Tiefverdiener.
Nein. Aber man könnte diskutieren, ob man ihn an die Kostenentwicklung anpassen sollte. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir nicht beim Selbstbehalt ansetzen, sondern bei den Daten. Wir müssen besser verstehen, was die Kostentreiber sind. Darin steckt grosses Potenzial für Einsparungen. Wir wissen heute nicht, ob die Bevölkerung kränker geworden ist oder ob einfach mehr behandelt wird. Was man sagen kann: Die Demografie ist keine grosse Kostentreiberin. Nur ein Siebtel ist darauf zurückzuführen.
Die Linke fordert einkommensabhängige Prämien, um die Mittelschicht zu entlasten.
Die Prämien sind doch bereits einkommensabhängig – ein grosser Teil der Versicherten erhält eine Prämienvergünstigung. Diese wird über Steuermittel finanziert, und Personen mit höheren Einkommen zahlen vergleichsweise mehr Steuern.
Vor drei Jahren führten Sie die App Well ein. Ist das ein nettes Gadget, oder hat es Spuren hinterlassen?
Wir haben letzte Woche die 250’000-User-Schwelle geknackt. Die Idee von Well war ursprünglich, daraus ein digitales, alternatives Versicherungsmodell zu machen, in dem die App die ersten Abklärungen ersetzen sollte und die Versicherten im Gegenzug einen Rabatt erhielten. Das sollte das Grundversicherungsmodell der Zukunft werden.
Da haben Sie dann gleich mal Ärger mit der Aufsicht.
Wieso? Weil die Branche 2012 die Managed-Care-Abstimmung verloren hat? Mittlerweile sind zwölf Jahre vergangen, viel hat sich seither verändert. Da muss man doch wieder darüber reden können.
Und was hindert Sie daran, das heute schon zu machen?
Wir gehen so weit, wie es die gesetzlichen Grundlagen erlauben. Aber es gibt viele offene Fragen.
Zurück zum Thema Digitalisierung. Verstehen Sie, dass die Leute bei ihren Gesundheitsdaten extrem vorsichtig sind?
Natürlich. Aber ich glaube nicht, dass die Versicherten hier die Bremserinnen und Bremser sind. Wenn ich einen Nutzen habe, einen finanziellen Anreiz erhalte, weil ich effizienter behandelt werde und die Daten auf einer neutralen Plattform sind, dann begrüssen sie das.
Die Diskussion um das elektronische Patientendossier (EPD) zeigt doch, dass Ängste bestehen.
Das Problem des EPD ist, dass man das Ganze zu kompliziert aufgesetzt hat. Ich mag nicht die Spielverderberin sein, aber man hätte es anders konstruieren müssen.
Bitte, seien Sie die Spielverderberin. Oder wollen Sie damit sagen, Ihre App Well wäre die optimale Lösung gewesen?
Unsere App ist bereits eine Art EPD. Der Bund hätte sich daran orientieren können.
Verstärkt sich das Misstrauen jetzt nicht noch mit den Entwicklungen rund um künstliche Intelligenz?
AI ist eine Herausforderung für den Gesundheitssektor. Die müssen wir mit den besten Leuten angehen. Wir haben mit der EPFL und der ETH ausgezeichnete Hochschulen – warum sie nicht vermehrt einbinden? Im Moment steht alles still.
Und jetzt haben sie mit Elisabeth Baume-Schneider eine neue Chefin.
Ja.
Haben Sie sie getroffen?
Das habe ich.
Sie haben nicht viel Hoffnung, dass sich die Prozesse beschleunigen?
Das muss von uns kommen. Wir müssen noch mehr arbeiten, wir müssen noch mehr ausprobieren und das Momentum nutzen.
Sie sind Juristin. Braucht es dieses politische und rechtliche Feingefühl bei einer Krankenversicherung mehr als bei einer Hausratsversicherung. Dort sitzen eher Ökonomen oder Aktuarinnen an der Spitze.
Nein, damit hat das nichts zu tun. Nach meiner Rechtsausbildung absolvierte ich ein Finanzstudium, und später war ich noch für eine Ausbildung an der London Business School. Wichtig ist analytisches Denken, Interesse an den Zusammenhängen und die Fähigkeit, diese schnell zu erkennen. Und Leadership. Aber nicht Leadership wie aus dem Lehrbuch, sondern echte Führung. Wie gehe ich mit Menschen um, welche Ambitionen habe ich, und wie erreiche ich meine Ziele? Alleine erreicht man nichts, man muss gute und kritische Leute um sich haben.
Und welchen Tipp haben Sie für jemanden, der einen CEO-Job frisch antritt?
Ausdauer. Leadership ist ein Marathon, kein Sprint. Und die Ruhe bewahren. Ich suche nie die schnelle Lösung, die erste Lösung ist meist nicht die beste. Ich bin dort hartnäckig.
Sie sind seit bald acht Jahren CEO, seit 1999 bei der CSS. Hatten Sie nie Lust auf etwas anderes?
Ich wollte erst gar nicht bleiben und reichte schon in der Probezeit meine Kündigung ein. Doch es kam anderes.
Was bewegte Sie zum Bleiben?
Ein spannendes Projekt. Ich erhielt die Aufgabe, die alte Vereinsstruktur in eine moderne Holding umzubauen. Es war ein Riesenprojekt. Dann folgte die Mehrkassenstrategie, die Fusion der Intras. Vor einer Woche wurde die CSS 125 Jahre alt, und ich blätterte durch die Chronik. Die letzten Jahre war ich bei vielen wichtigen Meilensteinen und Weichenstellungen dabei. Als ich vor ein paar Jahren gehen wollte, trat mein Vorgänger an der Firmenspitze zurück, und ich übernahm das CEO-Amt. Ich hatte nie einen langjährigen Plan für meine Laufbahn.
Hatten Sie nie das Gefühl, dass es jetzt reicht. Dass Sie die Branchen wechseln wollen?
Das kommt immer wieder vor.
Wann?
Wenn sich die Branche uneinig ist, wenn es mit Themen nicht vorwärtsgeht, die Innovation zu kurz kommt. Es muss interessant und anregend bleiben. Ich hätte schon auch Möglichkeiten für Wechsel gehabt.
Angebote von anderen?
Ja, aber ich habe immer eine Pflicht verspürt – und vielleicht ist das eine weibliche Eigenschaft –, meine Arbeit zu beenden. Vielleicht hatte ich auch zu wenig Mut.
Hätte ein Mann eher opportunistisch gehandelt und den Job gewechselt?
Vielleicht.
Darf man also ausrichten, dass man interessante Dossiers einreichen darf?
Nein, ich liebäugle nicht mit einem Wechsel. Ich bin eine Macherin, ich gehe vorwärts, bin ergebnisorientiert und kämpfe bis zum Schluss dafür. Das gelingt mir oft.