Coop-Chef Philipp Wyss wehrt sich gegen US-Multis
«Bei ungerechtfertigten Preiserhöhungen kämpfen wir bis zum Letzten»

Philipp Wyss spricht im Interview über den Preiskampf mit Markenherstellern, die Vorteile von Coop gegenüber Migros – und die Balance zwischen Zahlen und Yoga.
Publiziert: 02.11.2024 um 19:23 Uhr
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Zielstrebig: Philipp Wyss arbeitet seit mittlerweile 27 Jahren für Coop.
Foto: Remy Steiner für BILANZ

Auf einen Blick

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Erich Bürgler
Bilanz

Im frisch renovierten Coop-Megastore ist der Chef in seinem Element. CEO Philipp Wyss schreitet durch die breiten Gänge des fast 4000 Quadratmeter grossen Ladens und schüttelt viele Hände von Mitarbeitenden. Darunter Dani, der heute im Laden gebacken hat und dessen Name auf der Verpackung seiner Brote steht.

Besonders stolz ist Wyss auf den Käse-Humidor, wo bei 90 Prozent Luftfeuchtigkeit über 250 Sorten lagern. Aber auch auf Details wie den Trennbalken der Einpackzone an der Kasse, der aus Holz der Region gefertigt ist. Mit solchen aufgehübschten Läden will sich Coop von der härter werdenden Konkurrenz der Discounter abheben.

Herr Wyss, wenn man es im Detailhandel zu etwas bringen wolle, müsse man Frühaufsteher sein, heisst es. Wann steht denn der Coop-Chef auf?
Philipp Wyss:
Der Wecker klingelt um 5 Uhr. Das frühe Aufstehen gehört zu unserer Branche. An den Bahnhöfen sind die Coop-Filialen schon ab 6 Uhr geöffnet.

Und Sie eilen nach 5 Uhr ins Büro?
Ich mache meistens erst einige Yoga-Übungen. Ich habe mit meiner Frau einen guten Coach – sie ist Yoga-Lehrerin. Aber vor dem Yoga kommen die Umsatzzahlen. Die aktuelle Entwicklung schaue ich mir jeden Morgen an.

Artikel aus der «Bilanz»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Bilanz» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du unter bilanz.ch.

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Zahlen vor Zen sozusagen. Sie überprüfen dann beispielsweise, ob die jüngste Schoggi-Aktion gut läuft?
Nein, aber ich schaue mir die Kundenfrequenzen und Umsätze in den Läden an. Manchmal kann man Abweichungen erklären. Schlechtes Wetter hat beispielsweise einen negativen Einfluss.

Und wenn die Umsätze an einem Tag unter den Erwartungen liegen?
Dann können wir unter anderem digitale Anreize schaffen und zum Beispiel einen Sammelpass auf unserer App lancieren. Wir als Händler müssen einfach immer dranbleiben, denn die Margen sind sehr tief. Mit 1.70 Franken auf 100 Franken verdienen wir viel weniger als grosse Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé, die über 20 Franken einnehmen.

Wie sehen denn die Zahlen im laufenden Jahr aus?
Mit unseren Supermärkten gewinnen wir erneut Marktanteile. Über die vergangenen fünf Jahre gesehen haben wir unsere Marktposition nochmals deutlich verbessert. Im letzten Jahr allein hatten wir 25 Millionen mehr Kundenkontakte als im Jahr davor.

Coop übernimmt die 49-Prozent-Beteiligung, die der Energiekonzern Phillips 66 an Coop Pronto hält. Wurden Alternativen, zum Beispiel die Suche nach einem anderen Teilhaber, geprüft?
Nein, diese Chance wollten wir wahrnehmen. Coop Pronto ist künftig zu 100 Prozent in Schweizer Hand. Die Investition wird weitgehend aus dem betrieblichen Cashflow finanziert und tangiert keine anderen Investitionen. Für uns stehen die Sicherung der Arbeitsplätze und Standorte sowie die positiven Aussichten im wachsenden Convenience-Bereich im Vordergrund. Die Coop-Pronto-Shops sind mit ihren attraktiven Öffnungszeiten sehr erfolgreich. Diese gute Ausgangslage gilt es zu nutzen.

Wir sind hier im renovierten Megastore in Bachenbülach. Nebenan sind Lidl, Aldi und Denner. Wie wichtig ist es, die Läden auf dem neusten Stand zu halten?
Das ist extrem wichtig. Es nützt nichts, wenn man ein super Angebot hat und das in einer rostigen Hülle präsentiert. Die Kundschaft soll sich wohlfühlen. Wir verwenden im Bau viel Holz aus dem jeweiligen Kanton, bieten breite Gänge für mehr Übersicht und stellen zahlreiche Produkte frisch in den Läden her: von Würsten über Torten bis zum Spezialbrot. Coop wird damit zum Marktplatz.

Eigentlich sind ja kleinere Läden im Trend. Lohnen sich die Investitionen in solche Riesenformate überhaupt?
Ja, wir sehen in diesen erneuerten Läden in der Regel ein Umsatzplus im prozentual zweistelligen Bereich. Aber der Trend hin zu kleineren Filialen hält an. Beim Ausbau unseres Verkaufsstellennetzes setzen wir deshalb auf solche Quartierläden. Es gibt in der Schweiz allerdings auch kaum mehr Platz für neue Megastores.

Zügig unterwegs: Die grosse Restrukturierung vollzog Coop vor über 20 Jahren. Aus 14 Genossenschaften wurde eine. Bei Konkurrentin Migros sind es 10.
Foto: Remy Steiner für BILANZ

Ihr grösster Konkurrent, die Migros, steckt im Moment in einer Restrukturierung und will agiler werden. Spüren Sie schon eine effizientere Migros?
Nein. Von aussen ist das schwierig zu beurteilen, doch ich gehe davon aus, dass sich die Konkurrenz fit trimmen wird. Wir haben unsere Hausaufgaben schon vor 20 Jahren gemacht. Coop besteht aus einer Genossenschaft, wir sind effizient und schlank aufgestellt, und wir haben eine klare Strategie mit dem Fokus auf den Detailhandel Schweiz und den Grosshandel in Europa.

Die Migros betont, dass sie mit ihren zehn Genossenschaften besser auf regionale Bedürfnisse eingehen könne. Fehlt das Coop?
Entschieden nicht. Wir sind in vier Verkaufsregionen aufgeteilt und passen unser Sortiment regional an. Beim Bier berücksichtigen wir zum Beispiel Brauereien aus dem jeweiligen Kanton oder sogar der Stadt. Die Schweiz wäre für Coop zu klein für die Unterteilung in zehn Regionen.

Was bei der Migros gut läuft, ist ihre Bank. Hätten Sie eigentlich auch gerne eine?
Nein, die Coop Bank haben wir vor über 20 Jahren verkauft. Wir sind ein Händler und können uns voll darauf konzentrieren. Mit einer Bank wären wir eher überfordert. Das ist nicht unser Kerngeschäft.

Trotzdem haben Sie jüngst ein Bankkonto als App lanciert und kurz danach wieder eingestampft. Was lief schief?
Wir haben das zusammen mit zwei Banken gemacht und betätigen uns nicht selbst als Start-up-Investor. Für uns ist es wichtig, immer wieder Neues auszuprobieren. Aber das Timing war schwierig. Kurz nach der Lancierung von Coop Finance+ strich die Zürcher Kantonalbank die Kontogebühren, und andere Banken folgten dem Beispiel.

Im Kerngeschäft sorgte Aldi für Druck und senkte die Fleischpreise, teilweise stark. Ihre Reaktion?
Es ist klar, dass wir mit unserer Preiseinstiegsmarke Prix Garantie nachziehen. Und es ist auch klar, dass wir die Kosten dafür selber tragen und nicht auf die Bauern abwälzen.

Gehen Sie selber auch bei der Konkurrenz einkaufen?
In deren Läden gehe ich jede Woche, um ihre Neuheiten zu sehen. Ich kaufe jedoch fast nie etwas.

Und Ihre Frau darf nur zu Coop, oder geht sie auch bei einem anderen Detailisten einkaufen?
Meine Frau ist in ihrem Einkaufsverhalten auch treu.

Aufholjagd: Mit der Billiglinie Prix Garantie liegt Coop beim Umsatz noch hinter M-Budget.
Foto: Remy Steiner für BILANZ

Die Konsumentenstimmung war zuletzt gedrückt. Wie spürt das Coop?
Aktionen laufen sehr gut. Und auch mit der Preiseinstiegslinie Prix Garantie wachsen wir weiterhin stark, nachdem wir schon im letzten Jahr zweistellig zugelegt haben. Wir haben dort 1500 Artikel und damit etwa doppelt so viele wie die Migros.

Allerdings erzielt M-Budget mit deutlich weniger Produkten mehr Umsatz als Prix Garantie. Weshalb?
Weil die Produkte schon länger auf dem Markt sind und die Kundschaft sie besser kennt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Prix Garantie die Konkurrenz einholt. Wir messen nicht nur den Preis der Produkte, sondern vergleichen auch die Qualität mit der Konkurrenz. Als Vergleichsgrösse dient der Discounter Lidl.

Wie sehr leidet das teure Bio-Sortiment?
Auch mit Bio wachsen wir und bauen das Sortiment aus, obwohl wir schon über 4000 Knospen-Produkte haben. Sie entsprechen den strengen Vorgaben von Bio Suisse, auch wenn sie aus dem Ausland kommen.

Bei Coop hiess es einst: «Billig-Bio werden Sie bei uns nie im Regal finden.» Vor Kurzem lancierte Coop die Linie Bio 365 mit günstigen Produkten nach dem weniger strengen Euro-Bio-Standard. Woher der Sinneswandel?
Das sind einige wenige Produkte. Es handelt sich um eine Abrundung des Sortiments. Im Vergleich zu Naturaplan sind das Peanuts. Mit der Bio-Knospe geben wir dagegen weiterhin Vollgas.

Coop ist bekannt für Markenartikel. Doch es gibt immer wieder Streit mit den grossen Multis. Zuletzt haben Sie den Ben’s-Reis des US-Konzerns Mars aus dem Sortiment geworfen. Weshalb?
Das ist so ein Fall, wo man sagen musste: Irgendwann ist fertig lustig. Ein Kilo Prix-Garantie-Langkornreis kostet 1.50 Franken. Ben’s dagegen steht heute für über 6 Franken in anderen Läden, und das für ein Produkt mit einer geringen Wertschöpfung. Wir fanden einfach, es gibt keinen Grund für einen Preisaufschlag, wie er vom Hersteller verlangt wurde. Unsere neue Eigenmarke Tom’s Best läuft übrigens sehr gut.

Bahnen sich weitere Konflikte an?
Die Preisverhandlungen haben erst gerade angefangen. Grundsätzlich wollen wir keine Markenartikel auslisten. Aber wenn wir uns mit ungerechtfertigten Preiserhöhungen konfrontiert sehen, dann kämpfen wir wirklich bis zum Letzten.

Die Fachmärkte hatten es zuletzt schwer. Interdiscount verlor 2023 fast neun Prozent an Umsatz, die Baumärkte von Jumbo sieben und die Möbelhäuser von Livique über fünf Prozent. Wie läuft es in diesen Bereichen im laufenden Jahr?
Wir haben mit allen Formaten Marktanteile gewonnen oder wenigstens keine verloren. Je nach Bereich läuft es unterschiedlich. In den Baumärkten von Jumbo spüren wir den zweiten himmeltraurigen Frühling in Folge. Das ist die mit Abstand wichtigste Jahreszeit, und bei schlechtem Wetter laufen Gartenartikel einfach schlechter.

Und im Elektrohandel mit Fust und Interdiscount?
Da haben wir klar Marktanteile gewonnen. Allerdings ist der Gesamtmarkt rückläufig. Dass die Konkurrenz ihre Ware von M-Electronics liquidiert, macht es nicht einfacher. Das neue Ladenkonzept von Interdiscount kommt bei der Kundschaft gut an. Auch bei Fust werden wir die Verkaufsstellen erneuern und bald ein neues Ladenbild präsentieren. Wir glauben an die Omnichannel-Strategie mit Onlineverkauf und stationären Läden für Elektrowaren und halten weiterhin an unseren beiden Marken Interdiscount und Fust fest.

Es verschwanden aber auch Läden. 2023 waren es immer noch über 300 Filialen der beiden Formate. Wie viele werden es in fünf Jahren sein?
Ich gehe davon aus, dass es weiterhin etwa 250 sein werden. Wir schauen uns jeden Laden einzeln an. Wenn der Trend langfristig nach unten zeigt, schliessen wir ihn. Es gibt aber auch Neueröffnungen. Das gehört seit jeher zu unserem Business. Es ist doch super, wenn man ein Smartphone zuerst in die Hände nehmen kann, bevor man es kauft. Bei Interdiscount können Sie die passende Farbe dann online bestellen, wenn sie im Laden nicht verfügbar ist.

Im Onlinehandel ist Coop im Vergleich zur Migros mit Digitec Galaxus ein Zwerg. Microspot und zuvor Siroop sind gescheitert. Warum?
Die wirklichen Riesen in diesem Geschäft sind Amazon und die chinesischen Händler wie Temu. Wir haben uns gesagt: Was wir sehr gut können, ist Detailhandel, und zwar stationär in Verbindung mit Online. Darauf werden wir uns komplett fokussieren, und wir wollen keine Experimente eingehen. Alles andere ist eine ungewisse Wette auf die Zukunft.

Denkt Coop wie die Migros über den Verkauf von Geschäftsbereichen nach? Mit der Möbelmarke Livique erzielt Coop weniger Umsatz als Micasa, welche die Migros loswerden will.
Wir haben keine solchen Pläne. Der Möbelhandel leidet derzeit und spürt immer noch die Nachwirkungen von Covid, als viele ihre Wohnungen neu eingerichtet haben. Nun schieben die Leute Investitionsentscheide auf. Aber wir glauben, dass wir dort mittelfristig wieder wachsen können. Wir haben im Gegensatz zu anderen Anbietern ein klar fokussiertes Angebot mit einem hohen Service-Anteil.

Micasa wäre günstig zu haben. Interessiert?
Weder die Übernahme von Micasa als Ganzes noch von einzelnen Verkaufsstellen kommt für uns infrage. Im Grundsatz haben wir genug Livique-Standorte. Vielleicht werden wir noch ein oder zwei Filialen eröffnen.

Über alles gesehen: Wie werden sich Umsatz und Gewinn der Coop-Gruppe im Gesamtjahr 2024 entwickeln?
Ich rechne mit einem leicht höheren Umsatz und einem stabilen Ergebnis.

Sie gelten nicht als Freund des Homeoffice. Sulzer und Schindler haben die Heimarbeit gestrichen oder eingeschränkt. Kommt das auch bei Coop?
Ihre Aussage würde ich so nicht unterschreiben. Wir waren hier einfach immer konsequent und hatten von Beginn weg einen Tag Homeoffice. Das ist für unser Personal, das in der Verwaltung arbeitet, weiterhin möglich und bleibt auch so.

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