Auf einen Blick
Bis im November soll er da sein, der lang erwartete Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) über das Ende der Credit Suisse. Trotz der absoluten Verschwiegenheit, die Präsidentin Isabelle Chassot (59) durchgegeben hat, treiben bereits allerlei Spindoktoren und Heckenschützen ihr Unwesen. Einmal geriet die Nationalbank in den Fokus, dann Ex-Verwaltungsratspräsident Urs Rohner (64). Und zuletzt der ehemalige SVP-Finanzminister Ueli Maurer (73). Effektreich erhob die «SonntagsZeitung» dessen «Geheimtreffen» mit der CS-Spitze letzte Woche zum Filmstoff.
Cui bono?, lautet die Frage, wem nützt es? Gemäss der Bundesberner Gerüchteküche liefern sich Maurers SVP und das Umfeld seiner Nachfolgerin Karin Keller-Sutter (60) ein Fernduell um die Deutungshoheit. Aber freilich gilt der Quellenschutz. Fest steht nur, dass dasselbe Tamedia-Blatt in der Woche zuvor die freisinnige Bundesrätin mit einem kecken Jugendfoto in Szene setzte («Auch unser Bundesrat war mal cool»).
Nun zeigen SonntagsBlick-Recherchen, dass nicht Maurer, sondern jemand anders wegen der PUK Grund zum schlechten Schlaf haben könnte: Finma-Präsidentin Marlene Amstad (55). Seit 2016 sitzt sie im Verwaltungsrat der Aufsicht, zwei Jahre später wurde sie Vizepräsidentin, und seit 2021 ist die Professorin und Ökonomin Präsidentin der Behörde. Sie hat den Niedergang der einst stolzen Grossbank vom Paradeplatz also von Berufs wegen seit Jahren miterlebt.
Ein wichtiger Faktor: Die Finanzministerin
Viele andere, die in den dramatischen Monaten zwischen Sommer 2022 und März 2023 das Sagen hatten, sind weg. Finma-Direktor Urban Angehrn (58) hat die Behörde im September 2023 verlassen. Finanzminister Ueli Maurer (73) trat Ende 2022 zurück. Auch CS-Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann (65) und CEO Ueli Körner (61) sind längst weg.
Marlene Amstad ist noch im Amt. Aber wie lange noch? Gewählt ist die Bernerin bis 2027. Im September 2023 hat sie der Bundesrat für eine weitere Amtsperiode bestätigt. Doch das bedeutet nicht viel. Wenn Finanzministerin Keller-Sutter will, könnte sie Amstad schnell loswerden. Zwar ist die Behörde auf dem Papier unabhängig von der Politik, doch gegen den Willen der Finanzministerin wird sich Amstad nicht auf ihrem Sessel halten können.
Nach Abgängen des Finma-Kaders ist relative Ruhe eingekehrt. Das hat auch damit zu tun, dass alle Augen auf den neuen Finma-Direktor Stefan Walter (59) gerichtet sind, der seit April frischen Wind in die Behörde bringt.
Der Trick mit den Eigenmitteln
Doch die PUK zum CS-Debakel könnte sich für Amstad noch als Karrierekiller erweisen. Im Endspurt der PUK-Ermittlungen ist die Rolle der Finma und ihrer Präsidentin nach SonntagsBlick-Informationen zu einem der zentralen Themen bei der Aufarbeitung geworden. Für die Kommissionsmitglieder gibt es demnach noch offene Punkte, die vertieft abgeklärt werden müssen – weshalb Amstad ein zweites Mal als Auskunftsperson vor die PUK geladen wurde.
Anlass ist der sogenannte «regulatorische Filter». Dabei handelt es sich um eine Ausnahmeregelung, die der Credit Suisse bei der Berechnung der Eigenmittel gewährt wurde. Dieser Filter erlaubte es der Bank, weniger Eigenkapital zu halten, als sie eigentlich hätte halten müssen. Die Erleichterungen wurden der CS ab 2015 gewährt. Der Clou an diesem Filter: Von aussen war kaum sichtbar, dass die CS weniger Eigenkapital hatte, als sie offiziell auf Konzernebene auswies. 2019 wurde die ursprünglich befristete Ausnahmeregelung auf Antrag der CS von der Finma verlängert.
Vergebliche Briefe nach Zürich
Richtig prekär wurde die Lage im Frühjahr 2021, als die CS mit dem Zusammenbruch des Hedgefonds Archegos fünf Milliarden verlor. Damit rutschten auch die «geschönten» Kapitalquoten unter die gesetzlichen Limiten. Ohne den regulatorischen Filter hätte sich eine Finanzierungslücke von über 14 Milliarden Franken aufgetan.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die Finma-Spitze härter durchgreifen müssen. Zwar schickten die Regulatoren in Bern scharfe Briefe nach Zürich, doch die Bank machte keine Anstalten, angemessen zu reagieren. Stattdessen duldete die Behörde im Sommer 2022 eine wundersame Aufwertung der CS Schweiz AG um 9 Milliarden Franken.
Im Interesse der PUK: Warum liess sich die Finma von der CS immer wieder vertrösten? Warum liess die Behörde zu, dass ihre Briefe de facto ignoriert wurden? Personen, die diesen Briefwechsel gelesen haben, zeigen sich erstaunt darüber, mit welcher Unverfrorenheit die Grossbanker vom Paradeplatz auf den Nasen der Finma-Beamten herumtanzen konnten.
Für die UBS wurde der Merger teurer
Wie bei sogenannten «Geschäften von grosser Tragweite» üblich, war der Finma-Verwaltungsrat direkt involviert – und damit Marlene Amstad persönlich.
Der regulatorische Filter blieb bis zur Notübernahme im März 2023 in Kraft. Zur Überraschung der UBS-Führung wurde die Ausnahmeregelung jedoch mit der rechtlichen Fusion der beiden Grossbanken aufgehoben. Was bedeutete, dass die UBS plötzlich neun Milliarden Franken mehr Eigenkapital für die übernommene CS bereitstellen musste. Zu den neun Milliarden kamen weitere zehn Milliarden, die die UBS wegen ihrer deutlich grösseren Bilanzsumme zusätzlich aufbringen muss. Das relativiert den Schnäppchenpreis von drei Milliarden Franken, den die UBS für die CS bezahlen musste, zumindest ein wenig.
Eine Sprecherin der Finma lehnte eine Stellungnahme zu Informationen über einen erneuten Auftritt Marlene Amstads vor der PUK ab.
Wer welche Verantwortung für das Debakel trägt, ist die grosse Frage. Vielleicht weiss die Schweiz im November mehr.