«Schreiben Sie lieber nicht zu viel vom Trinkgeld», sagt ein Service-Angestellter, der anonym bleiben möchte, zu Blick. Unter den Beschäftigten in der Gastronomie geht eine grosse Sorge um. Jahrzehntelang war das Trinkgeld für sie ein hübscher monatlicher Zustupf, unversteuert und ganz ohne Abzüge.
Zufriedene Gäste runden grosszügig auf. Bezahlen sie bar, landet das Geld direkt in der Tasche der Service-Angestellten, in einigen Lokalen erhalten auch die Köche ihren Anteil. In der Buchhaltung der Gastro-Betriebe taucht das Trinkgeld gar nie auf. Das Trinkgeld wird somit oft zum Schwarzgeld.
Der eingangs erwähnte Serviceangestellte im Raum Zürich verdient sich in guten Monaten mit Trinkgeld rund 1000 Franken dazu, wie er sagt.
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Bis zu 1500 Franken Trinkgeld
Doch das könnte sich bald ändern. Denn die Gäste zahlen immer häufiger mit Kreditkarte oder Bezahl-App. Und damit taucht das Trinkgeld plötzlich in der Buchhaltung auf. Bis anhin wird dieser Umstand von vielen Restaurants ignoriert. Und auch die Behörden hat das Thema bis anhin wenig interessiert – sehr zur Freude der Angestellten.
Dabei sagt das Steuergesetz, dass Trinkgelder als Einkommen gelten und auf den Lohnausweis gehören, sobald sie einen «wesentlichen Teil des Lohns» ausmachen, so die «NZZ am Sonntag». Gemäss Arbeitsrechtlern beträgt die Schwelle 10 Prozent des Gehalts. Die Zeitung rechnet vor, dass 6 Prozent Trinkgeld bezahlt werden. Das würde bei einem Branchenumsatz von etwa 19 Milliarden Franken jährlich mehr als eine Milliarde Franken an Trinkgeld machen.
Das digitale Bezahlen macht immer mehr davon sichtbar. Knapp die Hälfte der Gäste zahlt heute mit Karte oder App. Bei der Familie Wiesner Gastronomie sind es gar 100 Prozent. Die Gastrokette hat ihre 35 Restaurants, Take-aways sowie Delivery-Standorte bis im letzten Dezember sukzessive auf den bargeldlosen Betrieb umgestellt. Daniel (40) und Manuel Wiesner (37), die den Familienbetrieb 2020 in Co-Leitung übernommen haben, musste sich deshalb Gedanken zur Abrechnung des Trinkgelds machen. Immerhin verdienen die Angestellten dadurch bis zu 1500 Franken pro Monat dazu.
Etwas weniger Lohn, aber bessere Altersvorsorge
Seit Anfang Jahr sind die Trinkgelder auf der Lohnabrechnung, insofern sie die 10-Prozent-Schwelle erreichen, wie Manuel Wiesner zur «NZZ am Sonntag» sagt. Dies sei jedoch bei praktisch allen Angestellten mit direktem Kundenkontakt der Fall. Beim Personal sei die Idee zu Beginn auf wenig Gegenliebe gestossen. «Viele hatten Angst, dass sie weniger verdienen würden», so Wiesner.
Durch die Lohnabzüge landet tatsächlich weniger Geld auf dem Konto der Servicekräfte. Anders sieht die Rechnung aus, wenn man die Lohnbeiträge an die verschiedenen Kassen dazurechnet. Dann fällt der Lohn höher aus. Für Wiesner überwiegen die Vorteile: So würden Mitarbeiter von einer besseren Altersvorsorge und höheren Kreditwürdigkeit bei der Wohnungssuche profitieren.
Bei der Konkurrenz dürfte die Erfassung als Lohnbestandteil wenig Freude auslösen, erhöht es den Druck in der Branche, das Trinkgeld sauber zu erfassen. Aus Sicht der Gastro-Betriebe erhöhen die höheren Lohnbeiträge die Personalkosten. So überrascht es wenig, dass auch der Verband Gastrosuisse Vorbehalte gegenüber der Idee hat – und dies mit administrativen Mehraufwänden begründet.