«Angespannt» oder «herausfordernd» sei die Versorgungslage mit Benzin und Diesel in der Schweiz, sagen einige der grössten Tankstellenbetreiber des Landes zu Blick. Weil der Rhein historisches Niedrigwasser führt, gelangt weniger Sprit ins Land. Die Frachtschiffe können nur 25 Prozent ihrer üblichen Ladung transportieren, ohne auf Grund zu laufen.
Der Güterverkehr auf der Schiene kann auch nicht in die Lücke springen: Wegen Personalengpässen und Bauarbeiten bei der Deutschen Bahn kommt es im grenzüberschreitenden Zugverkehr zu Ausfällen und massiven Verspätungen.
Hälfte der Pflichtlager-Freigabe schon bezogen
Die Versorgungslage ist derart angespannt, dass der Bund vor vier Wochen entschieden hat, die Pflichtlager anzuzapfen. Vorerst 245'000 Kubikmeter Benzin und Diesel dürfen die Mineralöl-Importeure aus dem Notvorrat entnehmen, damit der Sprit weiter aus den Zapfhähnen sprudelt. Das entspricht 6,5 Prozent der für den Notfall gelagerten Menge.
«Bislang wurde davon etwa die Hälfte bezogen», sagt Andrea Studer (52), Direktorin von Carbura zu Blick. Carbura ist für die Pflichtlager verantwortlich. Der Bund hat nicht etwa eigene Tanks, wo er stets Benzin, Diesel und Heizöl für den Notfall bereithält. Viel mehr werden alle Importeure dazu verpflichtet, immer eine bestimmte Menge an Lager zu halten, falls eine Situation wie jetzt gerade eintritt.
Zu Carbura gehören unter anderem die Tankstellenbetreiber Agrola, Coop Mineralöl oder Migrol. Wenn sie weniger Sprit über den Rhein einführen können, müssen sie nicht etwa beim Bund Ersatzstoff beziehen, sondern ihnen ist es erlaubt, ihre eigenen Lagerbestände anzuzapfen.
Deutschland 2018: Autokolonnen vor Tankstellen
Die Autofahrer merken davon – abgesehen vom höheren Spritpreis wegen der teuren Rheinfracht – erstmal nichts. Zuletzt wurden die Pflichtlager 2018 angezapft, schon damals wegen Niedrigwasser auf dem Rhein.
Auch in Deutschland herrschte 2018 Knappheit, auch dort gibt es Pflichtlager, die angezapft wurden – dennoch bildeten sich vor den deutschen Tankstellen teils lange Autokolonnen. In der Schweiz drohe ein solches Bild nicht, beschwichtigt Studer. «In Deutschland musste man den Treibstoff damals vom Norden in den Süden bringen, das hat zu Lieferengpässen geführt.»
In der Schweiz hingegen gibt es nicht ein Pflichtlager. Weil jeder Importeur eigene Pflichtlagerbestände führt, ist die Notreserve an Benzin und Diesel übers ganze Land verteilt.
Nur weil die Tankstellenbetreiber nun teils Sprit aus dem Notvorrat verkaufen, wird dieser nicht automatisch billiger: Der Treibstoff in den Pflichtlagern kam zwar früher ins Land, als die Frachtpreise noch tiefer lagen. Allerdings müssen die Importeure ihre Lager so schnell wie möglich wieder füllen – indem sie zusätzlichen Treibstoff zu den aktuell hohen Frachtpreisen einkaufen.
Trockenphase kommt zu früh
Es ist untypisch, dass bereits Mitte August eine derart angespannte Lage auf dem Rhein herrscht. «Für gewöhnlich fallen die Pegel erst ab Mitte September bis meist Dezember», schreibt dazu Avenergy, der Branchenverband der Treibstoffimporteure.
Will heissen: Die Lage könnte sich in den kommenden Monaten noch zuspitzen. Die in der Schweiz angekündigten Regenfälle werden daran erstmal nichts ändern. «Erst wenn es zwei Wochen lang regnet, normalisiert sich der Wasserstand im Rhein wieder», rechnet Andrea Studer vor.
Auch die Tankstellenbetreiber gehen nicht von einer schnellen Entspannung aus – eher von einer weiteren Akzentuierung, heisst es auf Anfrage von Blick.
Tankstellenschliessungen im Notfall
Panik ist dennoch keine angesagt, beschwichtigen die Branchenvertreter: Die Pflichtlager halten 4,5 Monate – falls überhaupt kein neuer Treibstoff mehr ins Land gelangt. «Werden weiterhin im gleichen Ausmass Pflichtlager dem Markt zur Verfügung gestellt, so reichen die Pflichtmengen für rund 18 Monaten», beruhigt Studer.
Die Tankstellenbetreiber haben ihre Notfallpläne dennoch in der Schublade. Oel-Pool, welche in der Schweiz die Tankstellen von BP, Ruedi Rüssel und Miniprix betreibt, geht laut eigenen Angaben zwar nicht von «flächendeckenden Leerstellen bei Tankstellen» aus. Aber: «Sollte dieser Umstand wirklich eintreffen und es zu Kontingentierungen kommen, sehen wir als erste Massnahme die Schliessung von einzelnen Tankstellen und Konzentration auf die grossen, wichtigen Tankstellen an Hauptverkehrsachsen vor.»
Konkret heisst das: Auf Autobahnen könnte noch getankt werden, an einer kleineren Tankstelle auf dem Land nicht mehr.