Bei Medikamentenengpass ist für 2024 keine Besserung in Sicht
«Das Problem wird sich nicht von selber legen»

Die Virensaison ist in vollem Gang. Der Griff in den Medikamentenschrank verspricht Linderung – wären da nicht diese Engpässe. Die Apotheken haben alle Hände voll zu tun, um die Lücken zu schliessen. Auch 2024 wird es wohl nicht besser.
Publiziert: 28.12.2023 um 00:09 Uhr
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Aktualisiert: 28.12.2023 um 07:11 Uhr
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Im Kanton St. Gallen geben die Apotheken Antibiotika nur noch abgezählt heraus. (Symbolbild)
Foto: imago/Jochen Tack
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Milena KälinRedaktorin Wirtschaft

Mittlerweile ist es wohl vielen schon passiert: Die Apotheke hat das gewünschte Medikament nicht auf Lager – wegen Lieferengpässen. Häufig gibt es zum Glück Alternativen. Aber nicht immer. Medikamentenengpässe machen den Apotheken in den kalten Wintermonaten besonders zu schaffen. 

Der grosse Engpass steht aber erst noch bevor: Die Grippewelle schlägt üblicherweise Ende Januar voll zu. «Wir sind noch nie so schlecht in eine Saison gestartet», sagt Lukas Korner (42), Präsident des Apothekerverbands Aargau. Gemeinsam mit seiner Frau führt er eine Apotheke in Gränichen AG.

Das Problem: 90 Prozent der Wirkstoffe der Medikamente kommen aus Indien oder China. Seit der Pandemie kommt es vermehrt zu Lieferengpässen.

Antibiotika nur beschränkt verfügbar

«Derzeit fehlen knapp 800 Arzneimittel», sagt Enea Martinelli (58) gegenüber Blick. Der Spitalapotheker ist Vizepräsident des Apothekerverbands Pharmasuisse. Rund 9 Prozent der kassenpflichtigen Medikamente sind betroffen. Besserung? Nicht in Sicht. 

In den kalten Monaten seien vor allem Fieber- und Schmerzmittel sowie Erkältungsmedikamente wie Hustensaft gefragt. «Bakterielle Infekte müssen mit Antibiotika behandelt werden. Die sind nur eingeschränkt verfügbar», so Martinelli. Chefapotheker Pascal Bonnabry (55) vom Genfer Universitätsspital spricht von einer «beunruhigenden» Entwicklung, die aktuell das ganze Land betreffe.

Die Apotheken geben Antibiotika deshalb nur noch abgezählt heraus, heisst es etwa beim Apothekerverband St. Gallen. 

Die Apotheken haben wegen des Engpasses alle Hände voll zu tun. «Wir suchen nach Alternativen, importieren aus dem Ausland oder stellen das Medikament selbst her», so Apotheker Korner. Das alles bedeutet Mehraufwand für seine Mitarbeitenden. Auch das Gespräch mit Blick muss er kurz für eine Unterredung mit einem Arzt unterbrechen – wegen fehlender Medikamente. 

Claudia Meier-Uffer (51) vom Apothekerverband Kanton St. Gallen spricht ebenfalls von einem extremen Mehraufwand. «Wir sind langsam an einem Punkt, wo man an seine Grenze kommt», so die Verbandspräsidentin.

Denn der Medikamenten-Engpass betrifft so ziemlich alles. «Es fehlt querbeet, wie beispielsweise an Mitteln gegen Wechseljahrbeschwerden, Blutdrucksenkern oder Diabetes-Medikamenten», sagt Korner. Laut Lieferant und Migros-Partner in der Schweiz Zur Rose ist die Situation «dramatischer als je zuvor». Sprecher Simon Marquard: «Die Knappheit betrifft in erster Linie billige, gängige Medikamente, die nicht mehr geschützt sind, Generika, wie Schmerzmittel, Antibiotika, Hustensäfte, Krebsmedikamente, aber auch Blutverdünner.»

Auch Beruhigungsmittel sind knapp, vor allem für die Palliativmedizin. Das beruhigende Arzneimittel Temesta wird beispielsweise wegen der gering verfügbaren Menge nur noch an Spitäler geliefert. Apotheken gehen leer aus. Alternativen gibt es keine.

Jetzt ist Politik gefragt

Im April haben die Apothekerverbände gemeinsam mit der Ärzteschaft und Pharma-Grossisten deshalb die Volksinitiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit» lanciert. Die Unterschriftensammlung läuft. Gefordert wird eine zuständige Bundesinstanz, eine Stärkung des Standorts Schweiz sowie zuverlässigere Lieferketten aus dem Ausland.

«Die Volksinitiative ist die einzige Hoffnung. Vom BAG bin ich als Apotheker enttäuscht», so Korner vom Verband Aargau. Auch aus St. Gallen heisst es: «Das Problem wird sich nicht von selber legen.»

«Gemeinsam mit unseren Nachbarländern müssen wir Strategien ausarbeiten, um unsere Wirkstoffe nicht nur aus wenigen einzelnen Ländern wie China oder Indien zu erhalten, sondern die Anzahl der Quellen zu erhöhen», so Vizepräsident Martinelli. Auch der Bund habe mittlerweile die Notwendigkeit erkannt.

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