«Wir wollten etwas Neues machen»
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Aargauer Bauer baut Reis an:«Wir wollten etwas Neues machen»

Bauernfamilie Neuhaus pflanzt in Stetten AG Reis an
«Wir wollen den Klimawandel nutzen»

Familie Neuhaus gehört unter Bauern zu den Pionieren in der Schweiz. Seit drei Jahren baut sie in Stetten AG Reis an. Die Umwelt dankt es ihr bereits jetzt. Das eigene Portemonnaie weniger.
Publiziert: 01.11.2023 um 00:21 Uhr
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Aktualisiert: 01.11.2023 um 06:57 Uhr
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In Stetten AG baut Biobauer Lukas Neuhaus seit 2021 Nassreis an.
Foto: Siggi Bucher

Nach der ersten Fahrt durchs Feld erfasst den Biobauer eine kindliche Freude. «Die Ernte ist viel besser als erwartet», sagt Lukas Neuhaus (31). Kurz beäugt er den frisch geernteten Reis, um sich sogleich wieder auf seinen Drescher zu hieven. Vater Röbi Dätwyler (64) nimmt seinem Sohn den vollen Sack ab und reicht ihm sogleich den nächsten.

Man merkt: Die Anspannung der letzten Monate fällt von der Bauernfamilie aus Stetten AG ab. Als einer von schweizweit zwölf Betrieben, die Nassreiss anbauen, hat sich die Pionierarbeit ausgezahlt.

Vater Röbi (l.) hilft auf dem Hof kräftig mit.
Foto: Siggi Bucher

Italien diente als Inspiration

Möglich macht es der Klimawandel. Agroscope, das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, begleitet den Reisanbau in der Schweiz eng mit. «Vor 30 Jahren hätte man in unseren Gefilden noch keinen Nassreis anbauen können», sagt Agroscope-Forscherin Yvonne Fabian (45). Vor allem die Frühlings- und Herbstmonate seien damals noch zu kühl gewesen.

Während viele andere Nutzpflanzen unter der Hitze des Sommers ächzen, blüht der Reis unter hohen Temperaturen richtig auf. Bauer Lukas Neuhaus sagt: «Wir wollen den Klimawandel nutzen.»

Im Tessin begannen Bauern bereits um die Jahrtausendwende mit dem Anbau von Trockenreis. Nördlich der Alpen schlugen Versuche – auch bei Familie Neuhaus – fehl. Eine andere Methode musste her.

Reis aus der Schweiz: Natalie und Lukas Neuhaus aus Stetten AG haben das Experiment gewagt.
Foto: Siggi Bucher

Lukas Neuhaus orientierte sich am Ausland. «Die Idee kam mir beim Reisen durch Italien», sagt er. Dort wird Nassreis seit Jahrhunderten angebaut. Sind die Reissetzlinge im Frühjahr gepflanzt, werden die Felder geflutet. Das Wasser speichert die Wärme auch nachts und ermöglicht so, dass der Reis wächst. Ist der Reis zur Ernte bereit, wird das Wasser wieder abgelassen.

In der Nordschweiz begannen erste Betriebe 2017 mit dem Anbau. Familie Neuhaus fuhr die erste Ernte 2021 ein. Damals hatte Lukas Neuhaus mit seiner Frau Natalie (28) den Hof, der gleich neben der Reuss liegt, gerade erst gekauft. Die Böden, merkten sie bald, waren äusserst feucht. Von der natürlichen Nässe wollten sie Gebrauch machen. «Uns fasziniert die Landwirtschaft, weil wir damit auch einen ökologischen Beitrag leisten», sagt Natalie Neuhaus.

Ökologisch sinnvoll

Mit dem Reisanbau wirkt Familie Neuhaus einem Problem der Schweizer Landwirtschaft entgegen. Laut Agroscope werden ein Drittel aller Schweizer Ackerbauflächen mit sogenannten Drainagesystemen entwässert. Tiere und Pflanzen, die in Feuchtgebieten gedeihen, verlieren so ihren Lebensraum. Einige von ihnen stehen heute auf der Roten Liste der bedrohten Arten.

Laut Agroscope-Forscherin Fabian eignen sich in der Schweiz mehr als 1000 Hektar Fläche für den Reisanbau. Dafür braucht es die Nähe eines Flusses oder eines Sees, wo die Bauern das ganze Jahr über Wasser pumpen dürfen. Auch der Bundesrat will dies fördern: Seit Anfang Jahr dürfen Bauern ihre Nassreisfelder als Biodiversitätsförderflächen anmelden und erhalten entsprechend Direktzahlungen.

«Uns fasziniert die Landwirtschaft, weil wir damit auch einen ökologischen Beitrag leisten», sagt Natalie Neuhaus.
Foto: Siggi Bucher

Das ökologische Potenzial des Reisanbaus zeigt sich im aargauischen Stetten bereits. So sind auf dem Hof von Familie Neuhaus mit dem Reisanbau zahlreiche Libellenarten oder der Laubfrosch zurückgekehrt. «Als kleiner Nebeneffekt haben wir auch keine Mücken mehr», sagt Lukas Neuhaus.

Spielverderber Hirse

Trotzdem verspricht der Reisanbau nicht nur eitel Sonnenschein. Er birgt zahlreiche Risiken. Steigt der Wasserpegel auf dem Feld wegen starker Regenfälle an, drohen die jungen Reispflanzen in der Wachstumsphase zu ertrinken. Bleibt es über längere Zeit zu kühl, schlägt die Bestäubung fehl und die Spelzen bleiben leer.

Kälte setzt den Reisspelzen zu.
Foto: Siggi Bucher

Weil die Familie das Wasser der Reuss entnimmt, muss sie ohne Pflanzenschutzmittel auskommen. Unkraut wie die Rispenhirse gedeiht besonders, erweist sich bei Neuhaus fast als Spielverderber. Plötzlich verstopft sie die Dresche, ein Teil im Innern ist defekt. Über Nacht schweisst Lukas Neuhaus die Maschine wieder funktionstüchtig, um am nächsten Tag fertig zu ernten.

Er hat Glück: Kurz nach Ende der Ernte setzt der Regen ein. «Hätte es früher geregnet, hätten wir den restlichen Reis auf dem Feld zurücklassen müssen», sagt Neuhaus.

37 Mal teurer als im Supermarkt

Auf einem halben Hektar fährt Familie Neuhaus 900 Kilogramm Reis ein. Nach der Ernte trocknet, poliert und verpackt Familie Neuhaus den Reis ab Hof. 500 Kilogramm bleiben übrig. Die arbeitsintensiven Methoden schlagen sich im Preis nieder. Für 400 Gramm Risottoreis verlangt Familie Neuhaus 15 Franken. Zum Vergleich: Bei den grossen Supermärkten gibt es das Kilogramm aus Italien ab zwei Franken. Lukas Neuhaus: «Unser Produkt richtet sich an Leute, die sich für die Geschichte hinter dem Produkt interessieren.» Viele der Kunden seien vorbeikommende Wanderer.

Stolze Ausbeute: Auf einem halben Hektar hat Familie Neuhaus 900 Kilogramm Reis geerntet.
Foto: Siggi Bucher

Mit anderen Reisbauern ist er Teil einer Interessensgemeinschaft, die die Zusammenarbeit mit Grossverteilern ausgeschlossen hat. Den Vertrieb an Restaurants und Haushalte wickeln sie direkt ab. Die diesjährige Ausbeute hat Familie Neuhaus bereits vor der Ernte fast vollständig verkauft.

Noch ist der Reisanbau für Familie Neuhaus ein Verlustgeschäft. Spargeln, Tomaten und ein Programm für Arbeitsagogik garantieren, dass die Rechnung Ende Jahr trotzdem aufgeht. Der Reis soll aber zum wichtigen Standbein werden. «Wir hoffen, die Erträge auf gleicher Fläche in Zukunft zu verdoppeln», sagt Lukas Neuhaus. Warme Sommer werden dafür vonnöten sein.

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