Der Japankäfer macht Forscherinnen, Landwirte und Pflanzenschutzdiensten derzeit Sorgen. Während nördlich der Alpen noch gezittert wird, ächzt die norditalienische Landwirtschaft bereits unter dem Eindringling aus Asien. Denn siedelt er sich an, vernichtet der Käfer ohne Gegenwehr ganze Felder. Vor allem der Weinbau und die Beerenzucht leiden unter der Zerstörungswut des Insekts. Die Klimaerwärmung begünstigt nun die Ausbreitung zusätzlich. Was, wenn der Käfer auch die Schweiz erobert?
«Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit», sagt Biologe Giselher Grabenweger (51). Mit seinem Team forscht er an der Agroscope, dem landwirtschaftlichen Forschungszentrum des Bundes, an insektentötenden Pilzen gegen den Schädling der Stunde.
Arbeiten wie im Hochsicherheitstrakt
Einen Stock weiter unten, im Erdgeschoss des Forschungsstandorts im Zürcher Reckenholz, fühlt es sich an wie im Hochsicherheitstrakt. Um in das Quarantänelabor zu gelangen, müssen zuerst zwei schwere Schleusen und ein komplett in Schwarz gehüllter Raum durchlaufen werden. Haarnetz, Laborkittel und Überzieher für die Schuhe sind beim Betreten Pflicht.
ETH-Doktorandin Magdalena Wey (30) öffnet eines der zahlreichen Plastikdöschen, die auf beiden Seiten des engen, fensterlosen und kühl beleuchteten Raumes aufgestapelt sind. Mit ihrem Daumen und Zeigefinger nimmt sie ein Brombeerblatt heraus. Oder, genauer gesagt, die Resten eines Brombeerblattes. «Hier sehen wir den Skelettfrass des Japankäfers sehr schön», sagt Wey, während sie auf die übriggebliebenen Blattvenen zeigt.
Auf dem zerfressenen Brombeerblatt sitzt der smaragdgrüne Käfer mit den typischen weissen Haarbüscheln am Körperende. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er nach Nordamerika eingeschleppt. Erst in den 1970er-Jahren gelangte er nach Europa, auf die Azoren. 2014 wurde er erstmals auf dem europäischen Festland entdeckt. Drei Jahre später besiedelte er das Tessin.
Kaum fünf Kilometer vom Labor entfernt herrscht derweil der Ausnahmezustand. Diesen Sommer siedelte sich der Japankäfer erstmals nördlich der Alpen an. Fachleute des Zürcher Pflanzenschutzes besprühten deshalb in Kloten ZH Privatgärten mit Insektiziden, Zivilschützer errichteten Käferfallen. Der Bevölkerung ist bis Ende September untersagt, Rasen- und Grünflächen zu bewässern.
Mittlerweile wurden keine Käfer mehr gesichtet. Dennoch mahnt der Kanton zur Vorsicht. «Für eine Bilanz ist es noch viel zu früh», teilt die Zürcher Baudirektion auf Anfrage von Blick mit. «Erst im kommenden Jahr, also in der nächsten Flugsaison des Käfers, wird sich wirklich zeigen, wie wirksam die Massnahmen waren.» Bis dahin ist also Geduld gefragt. Und auch eine gewisse Experimentierfreude: Gemäss Lokalmedien ziehe der Kanton auch Spürhunde in Betracht, um allfällige Käferlarven im Klotener Boden zu finden.
Der Schweiz drohen grosse Schäden
Schätzungen sprechen alleine in Nordamerika von jährlich rund einer halben Milliarde US-Dollar an Schäden durch den Japankäfer. Die Zahlen aus den USA bezeichnet Forscher Grabenweger zwar als «halbwissenschaftlich». Er unterstreicht mittels Anekdoten dennoch des Käfers immense Zerstörungswut in Norditalien.
Da sei etwa der piemontesische Bio-Weinbauer, der durch die Insekteninvasion am Scheideweg stand: «Er hatte die Wahl zwischen Aufhören oder wieder Insektizide spritzen.» Oder der Beerenbauer, der vergangenes Jahr gleich zwei Drittel seiner Ernte verlor. An die Pressekonferenz zum Klotener Fund nahm Grabenweger ein Glas mit Tausenden Käfern mit. Sie alle stammten vom selben Weinberg.
Im Tessin herrscht bereits Alarmstufe rot. Wie das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) mitteilt, sei eine Ausrottung des Schädlings trotz den ergriffenen Bekämpfungsmassnahmen nicht mehr aussichtsreich. «Wir können leider nicht ausschliessen, dass in den kommenden Jahren die Lage ähnlich prekär wie in Norditalien wird», schreibt das BLW. Man sei daher auf neue Bekämpfungsmittel angewiesen.
Die zwei Pilzstämme, an denen Grabenweger und Wey forschen, wären solche neuen Mittel. Sie helfen Bäuerinnen und Bauern heute bereits als biologische Insektizide, etwa gegen die Larven des Maikäfers. Beim Japankäfer sollen sie gegen das ausgewachsene Insekt eingesetzt werden. «Die Käfer sterben im Kontakt mit den Pilzsporen sehr gut», sagt Wey. «Dafür fühlt sich jedoch der Pilz ausserhalb der Erde nicht so wohl.»
Sonnenlicht, Temperaturschwankungen und Regen setzen ihm zu. Und auch danach folgen weitere Hürden, etwa die Zulassung als Bekämpfungsmittel. Die Funde in der Deutschschweiz und sogar im grenznahen Deutschland geben dem Projekt jetzt eine neue Dringlichkeit. «Die Pilze wachsen jedoch nicht einfach schneller und der Laborraum wird auch nicht grösser», sagt Doktorandin Wey.
«Ende nächsten Jahres werden wir wohl sehen, ob eine Anwendung Sinn macht», sagt Grabenweger. Wenn nicht, dann bleibt wohl auch den Schweizer Wein- und Beerenbauern früher oder später nur noch der Griff zur Chemie.