Die Angst davor, alleine im Heim zu sterben, steckt vielen Senioren noch in den Knochen. Denn gerade in der ersten Welle vor gut einem Jahr waren viele Altersheime rigoros abgeschottet, Besuche selbst der engsten Angehörigen beinahe undenkbar. Es galt, die betagten Risikopatienten um jeden Preis zu schützen, auch wenn der Preis Vereinsamung bedeutete.
Doch seither hat sich einiges geändert, ja die Abschottung war oftmals nicht so strikt: «Wir haben während der ganzen Corona-Zeit immer Mittel und Wege gefunden, dass Angehörige ihre Lieben besuchen und die Familien von Sterbenden zu Lebzeiten Abschied nehmen konnten», sagt Susanne Furler (63), Leiterin des Alters- und Pflegeheims Marienhaus in Kleinbasel.
Die offiziellen Besuchszeiten waren grosszügig bemessen, sie lagen lange zwischen zehn Uhr am Vormittag und vier Uhr am Nachmittag. Inzwischen hat das Marienhaus die Besuchsbeschränkungen wieder aufgehoben. Allerdings: Ohne Schutzmassnahmen geht es nicht. Wichtig sind deshalb nach wie vor Händehygiene und Masketragen.
Angst vor Besuchsverboten
Nur, das alles löst Furlers Problem nicht: War ihr Heim im letzten Jahr trotz Corona-Pandemie praktisch voll belegt, ging seit Anfang Jahr die Belegung um sechs Prozent gegenüber Vorjahr zurück. Die Heimleiterin findet niemanden, der die freien Kapazitäten belegen will.
Sind es Meldungen über neue Corona-Fälle trotz geimpften Risikopatienten, die wieder öfter die Runde machen? Furlers Vermutung ist aber: die Angst vor Besuchsverboten. «Viele sind überrascht zu erfahren, dass bei uns Besuche durchaus erlaubt sind», sagt die Heimleiterin. Wegen der leeren Betten verliert das Heim pro Tag und nicht belegtem Platz mindestens 190 Franken. Obwohl ein Grossteil der Betagten nun geimpft ist, kommen keine Neuanmeldungen rein. «Trotz der Impfungen sind momentan noch einige Punkte wie das Übertragen des Virus durch Geimpfte ungeklärt», so Furler. Sie könne deshalb Maskenregeln gar nicht weiter lockern, um ihr Heim für potenzielle Neuankömmlinge attraktiver zu machen.
Leere Betten kosten viel Geld
Das Marienhaus in Kleinbasel ist kein Einzelfall. Das zeigen neueste Zahlen, die das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Dachverband Curaviva erhoben und ausgewertet haben. Lag die Bettenbelegung im Jahr 2019 – also vor Ausbruch der Pandemie – bei 94,57 Prozent, so sank sie bis Februar 2021 auf 88,83 Prozent. Das ist ein deutlicher Rückgang, der auch das Budget der Alters- und Pflegeheime arg strapaziert.
Erstmals lassen sich dank der Umfrage die konkreten finanziellen Folgen berechnen: Weniger belegte Betten bedeuten weniger Einnahmen, insgesamt verloren die Heime dadurch 278 Millionen Franken. Dazu kommen Mehrausgaben zum Beispiel für Schutzmassnahmen oder zusätzliche Personalkosten von 107 Millionen Franken. Der Corona-Fehlbetrag summiert sich damit auf 385 Millionen Franken. Dieses Loch sollen nach Möglichkeit Kantone und Gemeinden stopfen, findet Curaviva.
Regionale Unterschiede
Allerdings sind nicht alle Schweizer Regionen gleich stark vom Rückgang der Bettenauslastung wegen Corona betroffen. «Das liegt auch an der unterschiedlichen Anzahl Todesfälle in den Heimen, übrigens nicht nur wegen des Virus», sagt Marianne Häuptli (51) vom Tertianum Deutschschweiz. Die erneute Belegung der Betten gestaltet sich danach allerdings bei den meisten Heimen schwierig.
«In gewissen Regionen sieht man keine Probleme bei den Leerbeständen, diese sind im Rahmen von normalen Schwankungen – in anderen Regionen jedoch schon», sagt Daniel Höchli (57), Direktor von Curaviva Schweiz. Auch innerhalb von Kantonen gibt es grosse Unterschiede. «Die Belegung in den Alters- und Pflegeheimen im Kanton St. Gallen ist nach wie vor extrem unterschiedlich und stark schwankend», sagt auch Brigitta Kuratli, Sprecherin von Curaviva St. Gallen.
Die Angst vor eingeschränkten Besuchszeiten oder gar Besuchsverboten hält immer noch viele ältere Menschen vom Eintritt ins Heim ab, auch weil die Verwandten zögern. Konkret: Bei 60 Prozent der Alters- und Pflegeinstitutionen haben die Neueintritte seit Corona abgenommen.
Bringt die Impfung Abhilfe?
Eines zeigt die Studie auch: Wegen Corona ist die Sterblichkeit in den Alters- und Pflegeheimen nicht stark angestiegen. «49 Prozent der an Covid-19 Verstorbenen verbrachten ihren letzten Lebensabschnitt in einer Altersinstitution», schreibt Curaviva in der Auswertung der Umfrage. Zum Vergleich: «In einem regulären Jahr beträgt der Anteil der Heimbewohnenden an allen Todesfällen durchschnittlich 44 Prozent.» Zudem ist die grosse Mehrheit der Angehörigen mit der Arbeit der Alters- und Pflegeheime während der Pandemie sehr zufrieden.
Bleibt die Frage, ob sich dank der Impfung die Lage entspannt. «Mit dem Fortschreiten der Impfung hat sich die Lage bei den leeren Betten zu beruhigen begonnen. Gegenwärtig könnten 5,5 Prozent der vorhandenen Betten wieder belegt werden», sagt Tony Broghammer, Präsident der Gemeinschaft Solothurnischer Alters- und Pflegeheime (GSA). Allerdings lässt sich noch nicht abschätzen, ob der Trend auch national gekehrt hat, sich die Neueintritte wieder mehren und die Zahl der leeren Betten abnimmt.