Auf einen Blick
- Analystenschätzungen dienen als Orientierungshilfe für Anleger
- DocMorris hat ein Kurspotenzial von fast 90 Prozent
- Givaudan übertrifft Erwartungen
Eine Aktienkursentwicklung vorherzusagen, ist schwierig. Wer sich nicht mit einer fundamentalen Detailanalyse eines Titels auseinandersetzen möchte, dem dürften die Kursziele und Ratings von Analysten eine Orientierungshilfe bieten.
Finanzanalysten spezialisieren sich oft auf einzelne Sektoren oder eine kleine Gruppe von Unternehmen, die ähnlichen fundamentalen Einflüssen unterliegen. Über ihre Karriere hinweg fokussieren sie sich in der Regel auf dieselben Unternehmen, verfolgen deren Entwicklungen genau und erarbeiten sich so einen Wissensvorsprung gegenüber anderen Marktteilnehmern. Theoretisch sollten sie, abgesehen von der Unternehmensführung, das fundierteste Wissen über ein Unternehmen besitzen.
Doch ist es auch für Unternehmensanalysten schwierig, die Aktienkursbewegungen aufgrund fundamentaler Analyse zu prognostizieren. Zu oft weicht der Aktienkurs aus den «normalen» Bandbreiten ab, die das zugrunde liegende Geschäft suggeriert. In solchen Fällen passen Analysten im Nachhinein ihre Kursziele an – nach oben oder nach unten – und korrigieren so ihre anfänglich «falsche» Einschätzung.
Dieser Artikel wurde erstmals auf «Cash.ch» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.cash.ch.
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Trotz der Fehleranfälligkeit dieser Tätigkeit liefern die Einschätzungen der Analysten wichtige Signale: Werden im Markt tendenziell mehr Käufer oder Verkäufer aktiv? Denn viele institutionelle Investoren orientieren sich an diesen Kurszielen und Bewertungen.
DocMorris mit Aufholbedarf, Givaudan übertrifft Erwartungen
Das grösste Gewinnpotenzial im Swiss Performance Index (SPI) mit einem Kurspotenzial von fast 90 Prozent weisen die Aktien von DocMorris auf. Acht Analysten empfehlen die Online-Apotheke zum Kauf. Dem gegenüber stehen drei Halten und ein «Verkaufen».
Gemäss den Experten sind die negativen Nachrichten nach der Publikation der Halbjahresergebnisse nun weitgehend bekannt, und weitere Überraschungen sind nicht zu erwarten. Mit dieser Einschätzung beziehen sich die Analysten auf Aussagen des Managements über eine starke Beschleunigung beim E-Rezept, was «für Zuversicht in die Dynamik auf Umsatz- und Gewinnebene in den kommenden Quartalen sorgen sollte».
Auf der Gegenseite weisen die Valoren des Aromen- und Riechstoffherstellers Givaudan das niedrigste Potenzial auf – das Verlustpotenzial beträgt sogar etwa neun Prozent gegenüber dem derzeitigen Kursniveau. Nur vier Analysten empfehlen die Aktie zum Kauf, während 19 sie zum Halten und drei zum Verkauf empfehlen.
Gemäss Research Partners, das eines der höchsten Kursziele im Markt stellt, hat die Aroma-Division des Aromen- und Riechstoffherstellers mit Blick auf die Halbjahreszahlen besser als erwartet abgeschnitten – die Duft-Division lag im Rahmen der Erwartungen. Der zuständige Analyst erhöhte deshalb seine bisherigen Umsatz- und Gewinnprognosen für dieses und das kommende Jahr.
Eines der tiefsten Kursziele liefert Berenberg. Doch auch sie hoben nach den jüngsten Kennzahlen die Prognosen an. Das Kursziel musste nach dieser Verbesserung zwangsläufig mit nach oben angepasst werden. Den Abschlag zum derzeitigen Kurs hat die Privatbank beibehalten.
Achtung bei hohen Gewinnpotenzialen
An der heimischen Börse wird ein bedeutender Teil von nur wenigen Analysten abgedeckt – im Swiss Performance Index betrifft dies ein Drittel der Unternehmen. Diese Aktien werden von drei oder weniger Analysten abgedeckt. In diesem Fall ist Vorsicht geboten, da der «Marktkonsens» auf wenigen Meinungen beruht und anfällig für Fehleinschätzungen ist.
Generell gilt: Je mehr Analysten, desto verlässlicher der Konsens. DocMorris wird von zwölf und Givaudan von 26 Analysten abgedeckt. Für die Wahl in diesen Artikel wurden keine Unternehmen mit weniger als zehn Schätzungen berücksichtigt.
Erhebliche Unterschiede zwischen Aktienkurs und Kursziel sollten Anleger skeptisch machen. Dafür gibt es zwei Gründe: Einerseits könnten die Analysten Entwicklungen im Geschäftsgang verpasst haben oder fehlinterpretieren. Die nachträglichen Anpassungen der Kursziele dürften zwar das Ausmass der Fehlanalyse maskieren, verstärken die Kursbewegungen jedoch zusätzlich.
Treffsicherheit von Analysten wird bewertet
Ein Beispiel dafür ist der Rückzug des Goldman-Sachs-Analysten bei Meyer Burger. Obwohl der Kurs bis zu diesem Punkt bereits 99 Prozent verlor, reagierten die Valoren vom Solarproduzenten mit zusätzlichen Abschlägen auf diese Nachricht. Ein ähnliches Phänomen lässt sich bei positiven Anpassungen beobachten: Als beispielsweise die UBS, Bank of America oder das Brokerhaus Stifel im Mai und Juni ihre Kursziele jeweils vor Börsenstart erhöht hatten, eröffneten die Givaudan-Valoren immer im Plus. Heute notieren die Aktien deutlich über den Juni-Werten, während der SMI unter diesem Niveau liegt.
Andererseits sehen sich Analysten gezwungen, bei zu grossen und lang andauernden Differenzen zwischen Aktienkurs und Kursziel ihre Einschätzungen anzupassen – so wie es im obigen geschilderten Fall von Givaudan geschah. Stifel zog, abseits einer Publikation von Unternehmensergebnissen, das Kursziel von 3800 auf 4000 Franken nach, nachdem der Kurs bereits bei 4340 Franken lag.
Finanzdienstleister wie Bloomberg und LSEG bewerten die Treffsicherheit von Analystenprognosen. Diese Bewertungen dürften zwar keinen direkten Einfluss auf das Anstellungsverhältnis des Analysten haben, dennoch ist es für den Analysten wenig vorteilhaft, dauerhaft deutlich gegen den Konsens zu wetten. Dieses Analysten-Ranking wird auf den Finanzplattformen öffentlich publiziert.
Analysteneinschätzungen als Orientierungshilfe
Analystenschätzungen dienen in erster Linie als Orientierungshilfe, da sich eine präzise Gegenüberstellung von langfristigen fundamentalen Entwicklungen und kurzfristigen Kursentwicklung als sehr schwierig entpuppt. Dennoch liefern die von den Analysten publizierten Informationen wichtige Hinweise. Einen deutlich grösseren Informationswert als das nackte Kursziel haben die Revisionen. Werden Kursziele abermals reduziert, weist dies unabhängig vom Gewinnpotenzial auf Probleme hin. Fallen die Revisionen über einen längeren Zeitraum hingegen positiv aus, spricht dies oft für einen starken Geschäftsgang.
Genau das lässt sich derzeit bei DocMorris und Givaudan beobachten. Bei der Online-Apotheke fielen die Revisionen seit Juli 2024 negativ aus. Trotz des attraktiven Kursziels deutet dies darauf hin, dass weitere Unsicherheiten bestehen.
Im Gegensatz dazu wurden bei Givaudan seit Dezember 2023 positive Anpassungen vorgenommen. Das feuerte die Kurssteigerungen zusätzlich an. Der Marktkonsens unter dem derzeitigen Aktienkurs signalisiert lediglich, dass die Analysten die Stärke des Geschäftsganges und den Kursanstieg unterschätzt haben. Solange diese Dynamik andauert, sollte die Diskrepanz zwischen Aktienkurs und nachziehenden Kurszielen bestehen bleiben.