Aldi-Schweiz-Chef über Expansion und Inflationsängste des Mittelstands
«Immer mehr Haushalte müssen den Gürtel enger schnallen»

Was, schon achtzehn Jahre in der Schweiz? Aldi Suisse wird diese Woche volljährig. Die Eröffnung einer Filiale im grössten Einkaufszentrum der Schweiz steht an, ebenso Neueröffnungen in Innenstädten. Die Expansion auf der grünen Wiese ist nun beendet.
Publiziert: 24.10.2023 um 00:54 Uhr
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Aktualisiert: 24.10.2023 um 06:30 Uhr
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Jérôme Meyer (44) verbrachte sein Berufsleben bislang einzig beim Discounter Aldi.
Foto: Thomas Meier
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Ulrich RotzingerWirtschaftschef

Jérôme Meyer gehörte bereits zu Aldi, als der deutsche Discounter den Schweizer Markteintritt vor fast zwei Jahrzehnten in Angriff nahm. Am 27. Oktober 2005 eröffnete Aldi Suisse seine ersten vier Filialen. Zwei im Thurgau: Weinfelden, Amriswil, dazu je eine in Altenrhein SG und Gebenstorf AG. Achtzehn Jahre und 239 Filialen später trifft Blick den 44-Jährigen am Hauptsitz in Schwarzenbach SG. Die ersten Filialen sind heute nicht mehr wiederzuerkennen. Meyer: «Sie sehen, wir haben viel dazugelernt. Jetzt ist Aldi volljährig.»

Blick: Herr Meyer, Ihre Kandidaten haben den Einzug ins Parlament verpasst. Sind Sie sehr enttäuscht?
Jérôme Meyer: Das war auch nicht das Ziel unserer «Wähl Aldi»-Plakate (lacht). Mit unserer Wahlkampagne machten wir weder Politik noch kandidierten wir für ein politisches Amt.

Ihre Werbe-Propaganda hat Teile der Bevölkerung irritiert!
Der Zeitpunkt war einfach zu gut. Wir sind achtzehn Jahre alt geworden, dann darf man wählen und gewählt werden. Statt einer üblichen Geburtstagskampagne haben wir uns dafür entschieden, die Wahlen aufzulockern. Das hat uns viel Aufmerksamkeit gebracht.

Eine solche Aktion wäre zum Start in der Schweiz Ende Oktober 2005 undenkbar gewesen!
Das ist mit Sicherheit so. Wir haben in den Jahren viel dazugelernt und uns an die Schweizer Bedürfnisse angepasst. Wir sind selbstbewusster geworden.

Was hat sich am meisten geändert?
Zum Beispiel die Kasse. Das Aldi-Unikat ohne Auffangbereich am Ende für Waren. Sie hat viel zu reden gegeben und wurde nicht goutiert. Jetzt haben wir, wie auch alle anderen Detailhändler, ein Auffangbecken, um ohne Hektik den Einkauf einpacken zu können. Zu Beginn haben wir unsere Produkte aus dem Karton und von der Palette verkauft. Das ist heute ebenfalls undenkbar.

Sie haben den Non-Food-Anteil am Sortiment gesenkt ...
... zugunsten von Lebensmitteln. Gestartet sind wir mit insgesamt 700 Produkten, heute sind es 1800 Artikel. Wir hatten zu Beginn kaum Schweizer Lebensmittel, weil wir schwer an hiesige Lieferanten herangekommen sind. Heute machen wir bereits über 50 Prozent unseres Umsatzes mit Produkten aus Schweizer Herkunft. Im Bereich Frische gab es eine richtige Revolution. Früher zählte das Obst- und Gemüsesortiment 30 Artikel, heute sind es über 100.

Sie sind mit vier Filialen gestartet. Wie viele sind es Ende dieses Jahres?
Wir eröffnen diese Woche unsere 239. Filiale. Das Expansionstempo verlangsamt sich nun etwas. Statt mit zehn bis zwölf Filialen wachsen wir mit vier bis fünf Filialen pro Jahr. Mittelfristig halten wir an der Zielgrösse von 300 Filialen für unser Schweizer Netz fest.

Läden auf der grünen Wiese sind nicht mehr gefragt?
Die Expansion auf dem Land ist mehrheitlich abgeschlossen, wir nehmen nun vermehrt die Städte ins Visier. Zürich und Genf haben noch ein Mega-Potenzial für uns, auch in der Basler und Berner Innenstadt wollen wir weitere Filialen eröffnen. Am 26. Oktober gehts hoch hinaus. Wir eröffnen eine Filiale im Glatt, dem umsatzstärksten Einkaufszentrum der Schweiz an der Autobahn A1 in Wallisellen. 

Rentieren Filialen wie am Zürcher Bahnhof Stadelhofen, die 365 Tage im Jahr von 6 bis 22 Uhr geöffnet haben?
Auf jeden Fall. Zum einen haben wir dort weniger Personal, dafür mehr Self-Scanning-Kassen. Zudem arbeiten wir nur mit Produkten, die sehr schnell drehen, wie wir im Fachjargon sagen. Das sind Getränke, Gipfeli, Obst- und Gemüse, Bier und Würste im Sommer.

Persönlich: Jérôme Meyer

Doppelbürger Jérôme Meyer (44) ist seit 1. Oktober 2020 Länderchef von Aldi Suisse. Sein ganzes Berufsleben verbrachte er beim Discounter. Heute zählt das Unternehmen 242 Filialen schweizweit, es unterhält drei Verteilzentren und beschäftigt über 4000 Mitarbeitende. Geschäftszahlen hält das Unternehmen unter dem Deckel. «Was wir in der Schweiz an Gewinn erwirtschaften, bleibt im Land», versichert Meyer. Der Schweiz-Franzose wohnt unter der Woche in Wil SG, um näher am Aldi-Hauptsitz in Schwarzenbach SG zu sein. Die Wochenenden verbringt er in Freiburg bei seiner Frau und den vier Kindern.

Thomas Meier

Doppelbürger Jérôme Meyer (44) ist seit 1. Oktober 2020 Länderchef von Aldi Suisse. Sein ganzes Berufsleben verbrachte er beim Discounter. Heute zählt das Unternehmen 242 Filialen schweizweit, es unterhält drei Verteilzentren und beschäftigt über 4000 Mitarbeitende. Geschäftszahlen hält das Unternehmen unter dem Deckel. «Was wir in der Schweiz an Gewinn erwirtschaften, bleibt im Land», versichert Meyer. Der Schweiz-Franzose wohnt unter der Woche in Wil SG, um näher am Aldi-Hauptsitz in Schwarzenbach SG zu sein. Die Wochenenden verbringt er in Freiburg bei seiner Frau und den vier Kindern.

Reihum werben Detailhändler wieder mit Preissenkungen. Wars das mit der Teuerung?
Die Teuerung in der Schweiz ist noch nicht besiegt. Der Höhepunkt ist aber überwunden, allmählich entspannt sich die Lage in der Beschaffung. Ich vermute, dass die Teuerung abflacht. Gleichzeitig sehen wir, dass immer mehr Haushalte der Mittelschicht den Gürtel enger schnallen müssen und genau kalkulieren, wo sie Ausgaben tätigen und wo zurückfahren. Hier senken wir unsere Preise, wenn immer möglich und als Erste.

Woran machen Sie das fest?
Wir haben im laufenden Jahr viele neue Kundinnen und Kunden gewonnen, vor allem aus der jüngeren Generation, mit einem ersten Job oder vor der Gründung einer Familie. Gleichzeitig mit der neuen Kundschaft ist der Absatz unserer Biolebensmittel markant gestiegen. Trotz Teuerung können sie bei uns einkaufen, ohne auf etwas verzichten zu müssen.

Aldis Markteintritt zwang Coop und Migros zum Ausbau ihrer Billiglinien. Allerdings ist Aldi bei Marken und konventionellen Produkten fast gleich teuer wie die Grossverteiler.
Die Qualität unserer günstigsten Produkte ist deutlich besser als die der Billiglinien der Grossverteiler. Und im mittleren Preis-Leistungsbereich sind wir immer noch günstiger als unsere Kollegen im Detailhandel.

Eine neue Hochschul-Untersuchung zeigt, dass Bio bei den Grossverteilern ungerechtfertigt viel mehr als konventionelle Produkte kostet ...
... aber nicht unser Bio. 

Warum grätschen Sie hier so energisch rein?
Wir sind diejenigen, die Bio-Produkte am günstigsten verkaufen. Wir schöpfen nicht ab und wenden die genau gleiche Marge an wie bei konventionellen Produkten. Bio darf kein Luxus sein. Mir ist wichtig, dass man das weiss.

Sie sprechen hier aber nicht von Knospe-Bio?
Unsere Preise sind 30 Prozent tiefer als die von vergleichbarem Knospe-Bio unserer Mitbewerber. Obwohl unser Bio-Sortiment den gleichen Standard wie Knospe-Bio-Produkte bietet, dürfen wir dieses Label nicht führen, damit haben wir uns abgefunden. Mit unserer Bio-Eigenmarke «retour aux sources» gehen wir aber noch einen Schritt weiter als der reguläre Bio-Standard erfordert und bieten den höchsten Bio-Standard der Schweiz. Wir haben mit Milch aus antibiotikafreier Tierhaltung begonnen, dann kam Fleisch und jetzt folgt Geflügel und Brot ohne zugesetzte Enzyme sowie zertifiziertes Obst und Gemüse, das im Biobereich ohne Anwendung von Schlachtabfällen (bei Düngung) angebaut wurde.

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