Wer ist bei der Migros nun eigentlich der Chef? Peter Diethelm zeigt auf Mario Irminger, der im Mai die Leitung des Migros-Genossenschafts-Bundes (MGB) übernommen hat. Das ist die Zentrale des Grossverteilers. Irminger und Diethelm sitzen nebeneinander in einem Konferenzraum im obersten Stock des Migros-Turms in Zürich – mit Blick auf die ganze Innenstadt.
Beim Gespräch mit BILANZ zeigen sich die beiden locker im Umgang miteinander. Bei der Fahrt im Lift von der Chefetage in den Supermarkt feixen sie über die seltsamen Verläufe der Grenzen zwischen den Genossenschaften Zürich und Ostschweiz. Statt der Kantonsgrenzen gilt eine eher willkürlich anmutende Aufteilung des Gebiets. Da blicken selbst Migros-Insider kaum durch. In der Migros-Filiale angekommen, laufen sie mit grossen Schritten nebeneinander zum Fototermin vor den Regalen mit typischen Migros-Produkten. Die beiden bestanden auf Bildern im Supermarkt. Schliesslich verdiene die Migros dort ihr Geld und nicht im Büroturm.
Der mächtige Supermarkt-Chef
Die Chef-Frage drängt sich bei der Migros auf. Denn das Machtgefüge innerhalb des Grossverteilers hat sich verschoben. Der Ostschweizer Diethelm wird zu einem der einflussreichsten Akteure des Migros-Universums. Als frisch erkorener Leiter der neu ins Leben gerufenen Supermarkt AG wird er für die Migros-Läden in der ganzen Schweiz verantwortlich sein. Er soll das schlingernde Kerngeschäft des orangen Riesen wieder auf Vordermann bringen. Im Gegensatz zum ehemaligen Denner-CEO Irminger ist Diethelm in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannt.
Mehr zur Migros
Beim MGB, der Zentrale der Migros, ist das anders: Der Ruf des Ostschweizers eilt ihm voraus. Dort weiss man, dass er die Zentrale in Zürich des Öfteren hart kritisierte. Im Juli sprach er in einem Videocall erstmals zur ganzen MGB-Belegschaft. Dabei gab er Privates preis und zeigte sich bodenständig. Der langjährige Chef der Migros Ostschweiz erzählte von seinen zwei Töchtern, die sich gerade am Openair Frauenfeld zu Hip-Hop-Musik austobten. Und trotz der sommerlichen Temperaturen schwärmte er vom Skifahren. Das mache er wie ein typischer Schweizer besonders gern. Und er sei ein Teamplayer, betonte der 58-Jährige.
Teamplayer? Wenn es um das Zusammenspiel mit dem MGB geht, kennen ihn Migros-Insider eher als Gegner. Vorstössen aus Zürich stand er nicht selten skeptisch gegenüber. In Sitzungen der verschiedenen Genossenschaftsleiter und des MGB kritisierte Diethelm wiederholt den aufgeblähten Apparat des Zürcher Hauptsitzes. Der MGB sei zu teuer und drücke deshalb die Margen der regionalen Genossenschaften. Denn die Regionen bezahlen für die Dienstleistungen der Zentrale.
Ein Team bildete er diesbezüglich mit Migros-Zürich-Chef Jörg Blunschi. Dieser befürwortete ebenfalls, die Zentrale auf weniger Funktionen zurecht-zustutzen: als Erbringer von Dienstleistungen wie Informatik. «Die fanden sich in einer Anti-MGB-Haltung», sagt eine Person, die an solchen Sitzungen der Führungsgremien anwesend war.
Diethelm selber sagt im Gespräch mit BILANZ, klare Worte seien seine Art: «Ich spreche Themen jeweils offen an und habe dabei auch den MGB kritisiert. Das war manchmal nötig.» Beim MGB arbeiteten viele sehr gute Leute, so Diethelm. «Wir müssen die Strukturen aber vereinfachen und effizienter werden.» Wer wissen will, wie er mit anderen zusammenarbeitet, sollte sich laut Diethelm in der Ostschweizer Genossenschaft umhören. «Wenn Sie mein ehemaliges Team der Migros Ostschweiz fragen, wird Ihnen jeder bestätigen, dass ich ein Teamplayer bin.»
Mit der Gründung der neuen Einheit verliert der MGB an Einfluss. Das Marketing inklusive Einkauf und damit rund 700 Mitarbeitende gehen vom MGB in die Supermarkt AG, die Anfang 2024 operativ starten soll. Mario Irminger als Chef der Zentrale gibt damit im Vergleich zu seinen Vorgängern Macht an Diethelm ab. Das wusste er, bevor er den Job annahm. Warum hat er trotzdem zugesagt? «Meine Motivation war nicht, ein möglichst grosses Reich zu führen. Die Migros verliert bei den Supermärkten seit mehr als zehn Jahren Marktanteile. Das müssen wir stoppen. Und dazu braucht es diese neue Organisation.» Beim Umbau will er mitarbeiten. «Ich werde mich rund 40 Prozent um die Supermärkte und die Industrie kümmern und 60 Prozent um die anderen Bereiche der Migros-Gruppe.»
Die Kosten müssen sinken
Die Leiter der zehn Genossenschaften müssen Kompetenzen an den neuen Superfürsten Diethelm abgeben. Mit Ausnahme regionaler Produkte soll das Sortiment vereinheitlicht werden. Im siebenköpfigen Verwaltungsrat der neuen Einheit sind nur fünf der insgesamt zehn Genossenschaften vertreten. Weniger Köpfe sollen Entscheide schneller fällen.
Die Kosten müssen im härter werdenden Konkurrenzkampf runter. Die Migros konnte ihr Versprechen, das beste Preis-Leistungs-Verhältnis anzubieten, zuletzt immer weniger einhalten. In Preisvergleichen schnitt der Detailhändler teilweise nicht nur schlechter ab als die deutschen Discounter Aldi und Lidl, sondern auch als Erzrivale Coop. Die Migros verlor Marktanteile, die Margen kamen unter Druck.
Der im April abgetretene Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen hob das bei seinem letzten Auftritt vor den Medien hervor. Er war mit seinen eigenen Umbauplänen gescheitert. Im fehlte der Rückhalt bei den Genossenschaftsleitern. Mit der neuen Migros-Struktur war seine Zeit abgelaufen. An seiner letzten Medienkonferenz im März zeigte er genüsslich auf, wie sich die Gewinnbeiträge der verschiedenen Aktivitäten während seiner fünfjährigen Amtszeit entwickelt hatten. Die Zumbrunnen direkt unterstellten Bereiche wie Digitec Galaxus, Denner und andere Geschäfte konnten den Betriebsgewinn deutlich steigern. Der Beitrag der Genossenschaften und ihren Tochtergesellschaften am Gesamtgewinn der Migros-Gruppe schrumpfte dagegen von 42 auf 31 Prozent.
Peter Diethelm soll das Steuer herumreissen. Die Migros und ihr eigenartiges organisatorisches Konstrukt mit zehn weitgehend autonomen Genossenschaften kennt der gelernte Käser in- und auswendig. Seit 28 Jahren arbeitet er im Betrieb, 12 davon verbrachte er im MGB. Dort leitete der ausgebildete Ingenieur in Milchwirtschaft erst verschiedene Bereiche wie Frische, Milchprodukte und Eier. 2008 ernannte ihn Migros-Ostschweiz-Chef Christian Biland zum Leiter seiner Supermärkte. 2015 übernahm Diethelm die Leitung der Genossenschaft Ostschweiz.
Damit nahm Diethelm auch in allen wichtigen Gremien der Migros-Spitze Einsitz. Und dort hielt er sich jeweils nicht zurück mit seiner Meinung. Als «aufbrausend» bezeichnen ihn mehrere Weggefährten. Er machte seinem Ärger jeweils Luft, wenn beispielsweise die Vertreter kleinerer Genossenschaften aus seiner Sicht unwichtige Punkte breittreten wollten. Dabei wählte er auch Worte, die für das Sitzungsprotokoll eher ungeeignet waren. «Er ist einfach zu lesen. Man sieht es ihm sofort an, wenn er sich ärgert», sagt eine Person, die an solchen Meetings dabei war. Aus Kreisen der Migros Ostschweiz verlautet, er gelte dort als Haudegen und sei bekannt für seine forsche Art. «Für ihn ist klar: Entweder ist jemand für oder gegen ihn. Dazwischen gibt es nichts», sagt ein Insider. Andere Stimmen sprechen etwas positiver von seiner «durchsetzungsstarken Art». Der Respekt der Ostschweizer Angestellten war ihm jedenfalls sicher. Wenn in einer Filiale der Besuch Diethelms angekündigt war, brachen dort Hektik und Nervosität aus.
Er weiss es besser als die anderen
Mehrere aus seinem beruflichen Umfeld sagen auch, Diethelm habe etwas Rechthaberisches. Er wisse es immer etwas besser als die anderen. Deshalb ist der Ostschweizer auch für seine Alleingänge bekannt. Lieber zog er sein eigenes Ding durch, als die Zusammenarbeit mit anderen Genossenschaften oder dem MGB zu suchen. Ein Beispiel: Im Mai 2021 gab die Migros bekannt, ihre Klubschulen schweizweit neu zu organisieren, um beschleunigte Trends wie Onlinekurse besser abzudecken. Man gründete eine zentrale Klubschule-Organisation, an der sich der MGB und die regionalen Genossenschaften beteiligten. Alle Genossenschaften? Nein. Eine unbeugsame Region blieb aussen vor: die Ostschweiz unter Peter Diethelm. Intern sprach Diethelm dabei vom «Ostschweizer Weg». Man sei mit der eigenen Klubschule nach einem Umbauprogramm namens «Crossfit» gut und effizient aufgestellt. Deshalb werde man den eigenständigen Weg weitergehen.
Ein Blick auf die Geschäftszahlen zeigt, dass der langjährige Regionalfürst der Ostschweiz bei seinen Entscheiden des Öfteren einen guten Riecher hatte. Die Betriebsgewinnmarge der Migros Ostschweiz auf Stufe Ebit erreichte im vergangenen Jahr 2,9 Prozent. Das liegt deutlich über den meisten anderen Genossenschaften. Für die neue Supermarkt AG setzt Diethelm bescheidenere Ziele. Mittelfristig sollen es dort 2,5 Prozent werden.
Mit seiner Ostschweizer Genossenschaf musste Diethelm allerdings auch herbe Niederlagen einstecken. 2016 wollte er mit den Fastfood-Restau-rants Chickeria die ganze Schweiz erobern. Er kündigte mindestens 30 Filialen an, die das Land mit frittierten und panierten Pouletburgern und -schenkeln versorgen sollten. «Die Restaurants funktionieren sehr gut, wir sind sehr zufrieden», sagte Diethelm damals in einem Interview nach ersten Eröffnungen. Am Hauptsitz der Genossenschaft Ostschweiz in Gossau hing zeitweise gut sichtbar im Eingangsbereich ein grosses Chickeria-Plakat.
Doch die Lust auf Fastfood aus Hühnerfleisch war hierzulande dann doch noch nicht so gross. 2019 kündigte Diethelm den Verkauf der insgesamt 15 Filialen an. Man wolle sich auf die Kernaktivitäten beschränken. Was Diethelm besonders wurmen dürfte: Aus einigen der Chickeria-Restaurants wurden später Popeyes-Filialen, die nach einem erneuten Besitzerwechsel in den Händen von Coop landeten. Der Konkurrent aus Basel unter der Leitung von Philipp Wyss betreibt das ebenfalls auf Poulet spezialisierte Fastfood-Format bis heute – offenbar erfolgreich.
Neben dem Verkauf von Chickeria leitete Diethelm 2019 weitere Restrukturierungen ein. Die Betriebsgewinn-Marge der Genossenschaft Ostschweiz erreichte damals lediglich 1,1 Prozent. Die Fitnesscenter stiess Diethelm an die Genossenschaft Zürich ab. Zudem straffte er die Strukturen am Hauptsitz. Es kam zum Abbau von 90 Stellen. Danach stieg die Rentabilität der Genossenschaft sukzessive.
Nun soll die Supermarkt AG unter Diethelm allen Genossenschaften zu mehr Effizienz verhelfen. Doch ziehen die Regionalfürsten der Genossenschaften dabei mit? Die sind es gewohnt, bei allen wichtigen Entscheiden dabei zu sein, wie Diethelm selber einräumt. «Es gibt heute ganz viele Gremien, in denen alle Genossenschaften sitzen. Alle hatten jederzeit die Möglichkeit, überall mitzureden und Vorhaben zu blockieren. Das ist nicht mehr zeitgemäss.» Er betont, dass alle Genossenschaften der neuen Organisation zugestimmt haben. «Das war für mich eine Grundvoraussetzung für die Annahme dieses Jobs. In meinem Alter hätte ich sonst eine solche Herausforderung nicht mehr angenommen.»
Kaum eine Rolle spielt dabei Migros-Präsidentin Ursula Nold. Sie habe ihren anfänglichen Widerstand gegen die Umstrukturierung bald aufgegeben, sagen mehrere Quellen. Gelingt der Wandel, kann sie als Präsidentin wohl trotzdem einen Teil der Lorbeeren für sich beanspruchen.
Um den Migros-Koloss wieder auf Vordermann zu bringen, braucht Diethelm Verbündete beim MGB. «Die Umsetzung der neuen Struktur ist ein riesiger Kraftakt», sagt ein ehemaliges Kadermitglied der Migros. Dafür benötigt Diethelm die Unterstützung von MGB-Leiter Mario Irminger. Ob das Zusammenspiel zwischen den beiden klappen wird? «Ich kann mir gut vorstellen, dass die sich verstehen», sagt ein Migros-Kenner. Irminger gilt als Macher und wie Diethelm als starke Persönlichkeit, obwohl sie vom Charakter her verschieden seien: Irminger der Zugängliche, Offene, Diethelm der Konservative. Was sicher nicht funktioniert hätte, wären Diethelm und Zumbrunnen, sagt eine andere Quelle. Diethelm hätte den als eher feinfühlig geltenden Fabrice Zumbrunnen mit seiner Art demnach völlig überrollt. Irminger werde Diethelm Paroli bieten, sollten sich die beiden ins Gehege kommen.
Was passiert mit der Industrie?
Die neue Organisation bleibt derweil im Fluss. Vieles ist offen: Wo kommen mittelfristig die Industriebetriebe hin, die derzeit beim MGB angesiedelt sind? Gibt es eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Logistik für Frischware? Kommt endlich ein einheitliches Gastronomiekonzept? Die Supermarkt AG sei «in weiteren Schritten ausbaubar», sagt Diethelm dazu.
Erst einmal müssen die beiden neuen Migros-Chefs das Supermarkt-Geschäft auf die Reihe kriegen. Dann stehen weitere Schritte, etwa bezüglich der Migros-Industrie, zur Debatte. «Für die nächsten zwei bis drei Jahre ist die Integration der Industrie in die Supermarkt AG kein Thema. Danach schauen wir weiter», sagt Irminger.
Die Machtverhältnisse innerhalb der Migros verschieben sich mit der Restrukturierung auch unter den Genossenschaften deutlich. Es sind nicht die grössten Regionen Zürich und Aare, sondern die erfolgreichen Genossenschaften Ostschweiz und Luzern, die nun den Ton angeben. Diethelm leitete den Steuerungsausschuss, der sich mit der Gründung der neuen Strukturen befasste. Intern hiess das Projekt «FIT». Mit von der Partie in der entsprechenden Projektgruppe war auch Guido Rast, der Leiter der Genossenschaft Luzern. Er wurde zum Präsidenten des Verwaltungsrats der Supermarkt AG ernannt. Die beiden gelten als Architekten der neuen Organisation.
Die gemessen am Inlandumsatz grösste Genossenschaft, Migros Aare, deren Ebit-Marge zuletzt bei mageren 0,2 Prozent lag, ist dagegen nur Mitläuferin. Genossenschaftsleiter Reto Sopranetti ist immerhin Teil des Verwaltungsrats der neuen zentralen Einheit. Gar nicht dabei ist dagegen die einst mächtige Genossenschaft Zürich. Regionalfürst Jörg Blunschi scheiterte mit dem Betrieb von Fitnesscentern im Ausland. Das war ein teures Unterfangen. Schon seit mehreren Jahren schreibt die Genossenschaft rote Zahlen. Auch die übernommene deutsche Supermarktkette Tegut verschlingt viel Geld.
Damit war Blunschi für eine Schlüsselposition im neuen Konstrukt aus dem Rennen. «Die Genossenschaften sollen sich neu gemäss ihren Kompetenzen einbringen», sagt ein Migros-Kadermitglied. Dabei sei es sinnvoll gewesen, als Kriterium nicht den Umsatz, sondern die Ertragskraft zu berücksichtigen. Von den Auslandabenteuern der Zürcher hielt man in anderen Genossenschaften wenig. Und auch der von der Migros Aare betriebene eigene Online-Supermarkt My Migros stiess in anderen Regionen ausser Zürich auf wenig Begeisterung.
Dabei waren die Migros-Genossenschaften Aare und Zürich die treibenden Kräfte hinter der Gründung der Fachmarkt AG. Organisatorisch war sie eine Art Vorläuferin der Supermarkt AG. Die Genossenschaften nahmen 2020 dem MGB die Läden von Do it + Garden, Melectronics, Micasa, SportXX und OBI weg. Sie wurden in die Fachmarkt AG unter Kontrolle der Genossenschaften übergeführt. Zürich-Chef Blunschi leitet das Präsidium. Der hat jüngst bekannt gegeben, 2024 in den vorzeitigen Ruhestand zu treten, womit ein erneuter Wechsel ansteht. Vizepräsident der Fachmarkt AG ist Peter Diethelm.
Der diplomatische Haudegen
Allerdings läuft es bei den Fachmärkten alles andere als rund. Im vergangenen Jahr rutschte das Geschäft in die roten Zahlen. Der während der Pandemie eingetretene Boom bei allem rund ums Gärtnern, ums Backen und um Outdoorsport ist vorbei. Die Konkurrenz der Migros in Bereichen wie Möbeln und Baumärkten ist zudem übermächtig. Die Lager der Migros-Fachmärkte sind laut einem Insider voll. Den Rückgang der Nachfrage haben die Verantwortlichen offenbar zu wenig antizipiert. Diethelm rechtfertigt: «Die ersten zwei Jahre lief die Fachmarkt AG sehr gut. Es ist aber ein schwieriges Geschäft mit harter Onlinekonkurrenz. Wir kämpfen auch mit einigen technologischen Herausforderungen im Onlinegeschäft.»
Diethelm muss es bei der Supermarkt AG besser machen. Ob er der richtige Mann für den Job ist? Dass er Kosten runterfahren und die Gewinne optimieren kann, hat er in der Ostschweiz gezeigt. Doch das alleine reicht nicht. «Es braucht zwar jemanden, der die Ellenbogen ausfährt», sagt ein Migros-Kenner. Er brenne für die Aufgabe, die Migros in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Dafür sind neben Härte allerdings auch Soft Skills nötig. «Es gilt, Brücken zu schlagen. Er muss die Leute abholen und sie nicht überfahren.» Denn in den vergangenen Jahren sei der Graben zwischen Genossenschaften und MGB grösser geworden, sagen verschiedene Quellen. Der unbeugsame Ostschweizer braucht also diplomatisches Geschick. Das traut er sich zu. «Ich kann auch ein Diplomat sein. Ich musste bereits bei meiner früheren Tätigkeit im MGB jeweils alle Genossenschaften ins Boot holen.»
Offiziell steht ihm bei seiner neuen Aufgabe der bisherige MGB-Marketing-Chef Matthias Wunderlin zur Seite. Er hat seinen bisherigen Job mit der Neuorganisation verloren. Wunderlin, der bei der MGB-Belegschaft beliebt ist, wurde zum Chief Transformation Officer ernannt. Laut Migros-Medienmitteilung wird er «die anstehende Transformation des Supermarkt-Geschäftes führen und eng begleiten». Allerdings räumte Wunderlin in einem internen Videocall mit den Mitarbeitenden des MGB offen ein, dass er die Stelle als Leiter der Supermarkt AG angestrebt habe. Es liegt nun an Diethelm, die Rolle Wunderlins zu definieren – wenn dieser, enttäuscht von seiner Niederlage, nicht vorher abspringt.
Zuletzt trat der forsche Diethelm etwas gemässigter auf. Mit Kritik sei er jüngst konstruktiv umgegangen, hört man aus dem Grossverteiler. So wurde intern scharf kritisiert, dass die Migros-Mitarbeitenden von den Plänen der Supermarkt AG aus den Medien erfahren mussten. Diethelm räumte Fehler offen ein. Zudem demonstrierte er mehr Lockerheit. Er hat in der Ostschweiz in diesem Jahr die Du-Kultur eingeführt. Für alle Mitarbeitenden am Hauptsitz und in den Filialen war er ab sofort der Peter. Auch für die Mitarbeitenden des MGB gilt das Du, betont Diethelm. Das sei weniger kompliziert.
Am Hauptsitz in Zürich muss er nun die Mitarbeitenden für eine neue, effizientere Migros begeistern. Sein Büro bezog er deshalb nicht zuoberst in der Chefetage, sondern einige Stockwerke darunter bei seinen Leuten des Marketings. Ob mit dieser räumlichen Abstufung zu Mario Irminger auch die Chef-Frage geklärt ist? Irminger wiegelt ab. «Es gibt eigentlich keinen obersten Migros-Chef», sagt der 58-Jährige. «Wir sind gleichwertig, es gibt keinen Chef über den anderen.»
Demnach müssen sich die Migros-Mitarbeitenden an zwei gleichwertige Führungspersönlichkeiten gewöhnen. Dass sie beide mit dem Vornamen ansprechen dürfen, ist allerdings noch nicht überall angekommen. «Grüezi, Herr Irminger», sagt ein in der rot-orangen Uniform gekleideter Mitarbeiter in der Zürcher Migros-Filiale. Wie die Durchsetzung schlanker Strukturen braucht wohl auch die Du-Kultur noch etwas Zeit.