Es sind mehrheitlich Frauen, die über Nebenwirkungen von Corona-Impfungen klagen. Im Kolleginnen- und Familienkreis ist viel von Zyklusstörungen, postmenopausalen Blutungen oder einem kräftigen Fieberschub nach dem ersten oder zweiten Piks zu hören. Männer scheinen bei den Nebenwirkungen glimpflicher davonzukommen, auch wenn das – äusserst geringe – Risiko einer Herzmuskelentzündung bei ihnen höher ist als bei Frauen. Das gilt allerdings sowohl für die Impfung wie auch für eine Erkrankung an Corona.
Wissenschaftlich fundierte Belege dafür, dass Frauen häufiger unter Nebenwirkungen leiden, sind Mangelware. Ebenso wenig ist über die Art der Nebenwirkungen belegt. Immerhin gibt es Indizien: «Erste Erkenntnisse gibt es aus Grossbritannien. Diese zeigen, dass Frauen vor allem Zyklusunregelmässigkeiten haben», sagt Cathérine Gebhard (43). «30'000 Frauen haben der britischen Arzneimittelbehörde diese Nebenwirkung gemeldet.» Das ist eine stattliche Anzahl.
Pionierin der Gendermedizin
Gebhard ist Kardiologin und Professorin am Universitätsspital Zürich, hat ein Pensum am Kantonsspital Baden und ist auch in Wien tätig. Die vielbeschäftigte Ärztin ist eine der führenden Wissenschaftlerinnen der sogenannten Gendermedizin in der Schweiz. Sie untersucht, wie Geschlechterunterschiede die Gesundheit beeinflussen, also zum Beispiel, ob Medikamente bei Frauen gleich wirken wie bei Männern. «Die Dosierung vieler Medikamente ist auf einen 30 bis 40 Jahre alten Mann mit einem Körpergewicht von 70 bis 80 Kilogramm zugeschnitten», so Gebhard. Stellt sich die Frage, was die richtige Dosierung für eine deutlich ältere, aber dafür auch deutlich leichtere Frau wäre.
Eine Frage, die in den Augen der Gendermedizinerin viel zu wenig gestellt wird, gerade auch im Zusammenhang mit Corona: «Die Pandemie hat gezeigt, dass geschlechterspezifische Unterschiede eine grosse Rolle spielen.» Deshalb arbeitet Gebhard mit anderen Forscherinnen an einer Studie über die unterschiedlichen Auswirkungen von Corona auf Männer und Frauen. Erste Erkenntnisse zeigen: Es erkranken mehr Männer an Corona, das Virus trifft sie härter und sie sterben öfter daran als Frauen. Umgekehrt leiden mehr Frauen an Long-Covid und berichten auch häufiger über Nebenwirkungen der Impfung.
Nebenwirkungen klingen schnell ab
Das zeigt auch der Blick in die Statistik der Heilmittelbehörde Swissmedic: Zwei Drittel der Meldungen über unerwünschte Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung stammen von Frauen, ein Drittel von Männern. Im Zusammenhang mit den beiden mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna sind bis Mitte Dezember 457 Meldungen zu unregelmässigen Monatsblutungen bei Swissmedic eingegangen – bei über sechs Millionen an Frauen verabreichten Impfdosen.
Das Problem: Kommt der weibliche Zyklus ausser Takt, steigt die Wahrscheinlichkeit für ungewollte Schwangerschaften. Die gute Nachricht: «Man weiss aber, dass es meist ein bis zwei Zyklen betrifft und sich danach alles wieder normalisiert», sagt Gebhard.
Ähnliches gilt für postmenopausale Blutungen. Auch diese gehen wieder vorbei, sind aber ebenfalls nicht ganz ohne Risiko: «Viele Frauen denken zuerst an einen gut- oder bösartigen Tumor. Das führt zu belastenden Untersuchungen.»
Heftige Reaktion des weiblichen Immunsystems
Was könnte nun der konkrete Auslöser dieser Impfnebenwirkungen sein? Da gibt es im Moment nur Vermutungen, keine gesicherten Erkenntnisse: «Man weiss, dass Frauen mehr Antikörper produzieren nach Impfungen. Das hat man bei der Grippeimpfung bereits untersucht», sagt die Ärztin.
Das könnte bedeuten, dass das Immunsystem von Frauen besser, aber eben auch heftiger auf die Impfung reagiert. Eine mögliche Erklärung, doch Gebhard relativiert: «Was man aber nicht weiss, sind die Gründe dafür, das ist auch bei der Corona-Impfung unzureichend erforscht.»
Denn in den allermeisten Studien wurde vor allem die Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe untersucht, nicht aber die Ursache von Nebenwirkungen. Und auch nicht die Frage, ob vielleicht eine geringere Dosierung des Impfstoffes die Nebenwirkungen bei Frauen verringern könnte: Das werde gegenwärtig diskutiert, sagt die Forscherin. Aber es gebe bezüglich der Corona-Impfung noch überhaupt keine Daten dazu: «Es wurden bei Männern und Frauen bis jetzt keine unterschiedlichen Dosierungen getestet. Das ist sehr schade!»
Frage der Dosierung
Denn es gibt Indizien, dass eine tiefere Dosierung etwas bringen könnte: «Bei einer Studie zur Grippeimpfung wurde Frauen die halbe Dosierung verabreicht. Frauen haben aber die gleiche Menge Antikörper produziert wie Männer, die die doppelte Dosierung erhalten haben.»
Die Frage nach der Dosierung sei die richtige Frage, so Gebhard, nur fehlten noch die Antworten. Sie appelliert deshalb an die Kolleginnen und Kollegen, schon möglichst früh an die Geschlechterunterschiede bei der Erforschung neuer Medikamente und Impfstoffe zu denken: «Im Moment sind über 200 Corona-Impfstoffe in der Entwicklung. Das wäre eine einmalige Gelegenheit, dies jetzt von Anfang an zu untersuchen!»