700 Franken für Musicaltickets – Regula Gredig (61) wurde Opfer von Viagogo
«Ich schäme mich, dass ich hereingefallen bin»

Die Genfer Ticketplattform Viagogo drehte Blick-Leserin Regula Gredig überteuerte Musicaltickets an. Bei Ed Sheeran in Zürich drohen lange Gesichter: Erstmals akzeptiert ein Veranstalter in der Schweiz keine bei Viagogo gekauften Tickets mehr.
Publiziert: 31.08.2022 um 01:13 Uhr
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Aktualisiert: 31.08.2022 um 10:21 Uhr
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Für das Musical «Io senza te» an den Thunerseespielen ...
Foto: Martin Mägli
Sarah Frattaroli

Vor zehn Tagen besuchte Regula Gredig (61) gemeinsam mit ihrem Mann und zwei Freunden das Schweizer Mundartmusical «Io senza te» an den Thunerseespielen. «Wir sind dafür extra aus dem Engadin angereist», erzählt die gebürtige Thunerin, die heute im Kanton Graubünden lebt. Gredigs liessen sich den Musicalbesuch einiges kosten. Für die vier Tickets bezahlten sie fast 700 Franken. «Wir wollten die besten Plätze, das war es uns wert.»

Eine Woche vor der Aufführung allerdings der Schock. Gredig erhält die Tickets zugeschickt und sieht: Sie sitzt gar nicht im besten Sektor, sondern in der Holzklasse! Die Tickets sind je 68 Franken wert – statt der bezahlten 170 pro Person.

Ed Sheeran greift gegen Viagogo durch

Gredigs Fehler: Sie hat die Billettse über Viagogo bestellt. Eine berüchtigte Onlineplattform, wo Tickets für Konzerte, Musicals oder Festivals weiterverkauft werden – und die den Anschein erwecken kann, offizielle Verkaufsplattform der Veranstalter zu sein.

Käuferinnen und Käufer wie Regula Gredig bezahlen dort nicht nur regelmässig überhöhte Preise – sondern kommen im schlimmsten Fall nicht einmal rein! «Auf unseren Tickets stand nicht mein Name, sondern der Name eines Fremden», erzählt Gredig. Ihr Glück: Die Tickets an den Thunerseespielen waren nicht personalisiert, Gredigs kamen trotzdem rein.

Anders in zwei Wochen, wenn der britische Popmusiker Ed Sheeran (31) in Zürich gleich zweimal den Letzigrund füllt: Der Veranstalter akzeptiert keine Tickets, die über Viagogo gekauft wurden, wie der «Tages-Anzeiger» zuerst berichtete. Rein kommt nur, wer sein Ticket in der App des offiziellen Verkäufers Ticketcorner hinterlegt hat. Das geht über eine einfache Personalisierung hinaus.

In einem mehrstufigen Prozess werden Ticket und Käufer anhand des Smartphones validiert. Der Veranstalter All Blues warnt: «Bitte stellen Sie sicher, dass Ihr Handy vollständig aufgeladen ist.» Es ist das erste Mal, dass ein Veranstalter in der Schweiz derart entschieden gegen Viagogo vorgeht.

Frust bei einigen Fans ist programmiert: Auf Viagogo werden trotzdem Tickets für die Ed-Sheeran-Konzerte in Zürich angeboten – für teils mehr als 900 Franken! Die beiden Konzerte sind längst ausverkauft. Manch einer ist bereit, für ein Ticket tief in die Tasche zu greifen.

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«Ich war naiv»

Kommt hinzu, dass Viagogo bei der Google-Suche dank aggressiver Werbestrategie ganz oben erscheint. Den Schweizer Veranstaltern ist die Plattform seit Jahren ein Dorn im Auge. Die Thunerseespiele etwa warnen offiziell davor, Tickets über Plattformen wie Viagogo zu kaufen – Regula Gredig hat den entsprechenden Hinweis übersehen. Auch Stefan Matthey (55), Geschäftsführer der Veranstaltungsfirma Good News, sagt: «Der Kunde bezahlt bei Viagogo viel zu viel.»

Ein Viagogo-Verbot wie bei den Ed Sheeran Konzerten hat er noch nie durchgeführt. «Unsere Konzertbesucher wissen, dass sie bei Viagogo mit Problemen rechnen müssen», so Matthey. Problematisch wird es bei jenen, die nicht so regelmässig an Veranstaltungen gehen. Wie Regula Gredig. «Ich war naiv», sagt sie zerknirscht. «Eigentlich bin ich ziemlich computeraffin, ich schäme mich etwas dafür, dass ich hereingefallen bin.»

Damit ist Gredig längst nicht allein. Davon zeugen auch die unzähligen negativen Rezensionen von Userinnen und Usern über Viagogo. «Reiner Betrug!», heisst es dort etwa. Oder: «Diese Firma ist reine Abzocke.»

Circus Knie siegte vor Gericht

Einen anderen Weg als Ed Sheeran ging der Circus Knie. Viagogo suggerierte Kniebesuchern, die Vorstellungen seien bereits ausverkauft – und drehte ihnen überteuerte Tickets an. Dagegen wehrte sich der Nationalcircus erfolgreich vor Gericht. Das Bundesgericht hielt fest, dass Viagogo die Zirkusbesucher mit unlauteren Methoden lockte. Knie-Sprecherin Catherine Bloch stattet der Viagogo-Website regelmässig Besuche ab. «Ich finde dort keine Knie-Tickets mehr», sagt sie zufrieden.

Der juristische Sieg des Circus Knie gegen Viagogo hat Seltenheitswert. Die Plattform ist weltweit tätig, hat ihren Sitz allerdings in Genf. Dennoch ist es schwierig, die Verantwortlichen festzunageln. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) etwa lief mit einer Klage gegen Viagogo ins Leere. Eine weitere Klage der Stiftung für Konsumentenschutz ist noch hängig: weil Viagogo in der Pandemie Tickets für längst abgesagte Veranstaltungen verkaufte. Selbst im Parlament waren die Geschäftspraktiken von Viagogo bereits Thema. Und Google hatte Viagogo-Anzeigen in der Schweiz zwischenzeitlich gesperrt, die Sperre mittlerweile aber wieder aufgehoben.

Anfragen laufen ins Leere

Konsumentenschützerin Sara Stalder (56) begrüsst es, dass Ed Sheeran und seine Veranstalter nun derart konsequent gegen Viagogo ins Feld ziehen. «Viagogo überlebt nur, solange nicht alle Künstler sich wehren.» Sie warnt inständig davor, Tickets bei Wiederverkaufsplattformen wie Viagogo und anderen zu kaufen. «Die Plattformen haben es einzig und allein darauf abgesehen, Geld zu machen. Von Kundenfreundlichkeit keine Spur.»

Auch Blick-Leserin Hanna M.* (39) fällt auf Viagogo rein: Im Frühling kauft sie zwei Tickets für einen Auftritt des südafrikanischen Comedians Trevor Noah (38) in Zürich – nur, um kurz darauf zu erfahren, dass die von ihr gekauften Tickets offenbar gar nicht existieren. Sie erhält das Geld zwar innert weniger Tage zurück. Dennoch sagt M.: «Ich würde nie wieder Tickets bei Viagogo kaufen.»

Auch Regula Gredig wartet noch auf Geld. Auf ihre E-Mails hat sie nur Standardantworten erhalten. Darin wird der überhöhte Preis mit Bearbeitungsgebühren gerechtfertigt. Anrufe liefen ins Leere. Auch eine Blick-Anfrage bei Viagogo zu den Vorwürfen von Kundinnen und Konsumentenschützern bleibt unbeantwortet.

«Ich habe mich bei der Rechtsauskunft schlaugemacht», erzählt Gredig. «Die haben mir gesagt, ich hätte keine Chance.» Immerhin bleiben ihr die Thunerseespiele in bester Erinnerung – obwohl das Drumherum sie viel Zeit, Nerven und vor allem Geld gekostet hat. Trotzdem schwärmt Gredig: «Das Musical war ein einmaliges und grossartiges Erlebnis.»

* Name geändert

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