Marco B.* (52) muss jeden Monat entscheiden, welche Rechnungen er bezahlt und welche er aufschiebt. «Wir sind jedes Mal im Minus, irgendetwas Unvorhergesehenes kommt immer», sagt der Zentralschweizer. Der 4-köpfigen Familie B. sind die Ergänzungsleistungen (EL) um über die Hälfte gekürzt worden – von einem Tag auf den anderen.
«Ich überlege, mir einen zweiten Job zu suchen», erzählt B. Doch das ist gar nicht so einfach: Er hat bereits eine Festanstellung im 100-Prozent-Pensum. Marco B.s Ehefrau ist IV-Bezügerin. Aufgrund eines epileptischen Anfalls in der frühen Kindheit hat sie eine Lernschwäche, ist zu langsam für den regulären Arbeitsmarkt.
683 Franken weniger pro Monat
Weil der Lohn von Marco B. – monatlich verdient er netto weniger als 4000 Franken – zusammen mit der IV-Rente seiner Frau für den Unterhalt der Familie mit zwei Kindern im Vorschulalter nicht ausreicht, kriegen B.s Ergänzungsleistungen. Doch diese wurden ihnen per Anfang des Jahres massiv gekürzt. Obwohl sich an ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen nichts geändert hat.
Hintergrund ist die EL-Reform 2021. Sie trat – wie der Name schon sagt – 2021 in Kraft. Doch es galt eine dreijährige Übergangsfrist. Während dieser erhielten EL-Bezüger den für sie höheren Tarif. Diese Schonfrist ist nun abgelaufen. Seit dem 1. Januar dieses Jahres gilt ohne Ausnahme die neue Berechnungsgrundlage.
Familie B. ist dadurch auf einen Schlag jeden Monat um 683 Franken ärmer. Und das bei einem eh schon knapp berechneten Haushaltsbudget. Blick liegen die Berechnungsblätter der zuständigen Ausgleichskasse vor, die den Fall schwarz auf weiss belegen.
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Freunde und Familie wissen von nichts
Vater, Mutter und die beiden Kinder leben zu viert in einer 3,5-Zimmer-Wohnung. «Eine 4-Zimmer-Wohnung liegt nicht drin», hält Marco B. fest. Die Familie hat ein altes Auto. «Ich brauche es nur, wenn ich spätabends nicht mehr mit dem Zug von der Arbeit nach Hause komme.»
Um die Anonymität der Familie zu gewährleisten, gibt Blick weder ihre Namen noch den Wohnort, das Alter der Kinder oder den Job des Vaters preis. Denn im privaten und beruflichen Umfeld weiss keiner, wie arg es um ihr Budget steht. «Meine Familie ist ähnlich dran wie ich, die kommen selber nur knapp durch», argumentiert Marco B. Geld sei ein Tabu-Thema. «Helfen könnten sie mir eh nicht – dann müsste ich mir höchstens Sprüche anhören.» Er wolle kein Mitleid und niemandem zur Last fallen.
Die Geldnöte führen zunehmend zur Vereinsamung. «Meine Freunde wollen essen, trinken oder feiern gehen», sagt B. Weil er dafür kein Geld hat, zieht er sich zurück, pflegt Freundschaften praktisch nur noch digital.
«Ich mache mir grosse Sorgen, habe Existenzängste.» Besonders, weil die Kosten mit zunehmendem Alter der Kinder steigen, so B.s Befürchtung. «Schon heute fragen sie manchmal, ob wir nicht auch mal zu McDonald's können. Wir sagen ihnen dann, dass wir keine ‹Batzeli› haben. Das verstehen sie.»
Ferien liegen für die Familie nach der Kürzung nicht mehr drin. Einen kleinen persönlichen Luxus leistet B. sich noch: «Zwischendurch spiele ich mal Lotto. Das würde all meine Probleme lösen.» Dass die Chancen auf den Sieg verschwindend klein sind, weiss er. «Ich spiele nur selten.»
B. ist sich bewusst, dass andere den Gürtel noch enger schnallen müssen. «Die Kinder sind gesund und fröhlich, das ist mehr wert als Geld!»
* Name von der Redaktion geändert