Raymond Diebold steht wegen des Lehrermangels auch mit 71 noch regelmässig als Aushilfe im Schulzimmer. Im November pendelte er dafür zwischen Pfäffikon ZH und Winterthur ZH. An einem Morgen war der Andrang kurz vor sieben Uhr so gross, dass er es nur mit Mühe ins Innere des Zuges schaffte. Der Weg zum 2.-Klasse-Abteil sei blockiert gewesen, sagt er.
Doch Stehen war für ihn unmöglich: Links war er frisch an der Hüfte operiert, rechts plagte ihn ein angebrochener Fuss. Der Weg in die 1. Klasse war frei – und es gab Sitzplätze. Also humpelte Diebold dorthin. «Die Idee war, dass ich in die 2. Klasse wechsle, sobald ein Platz frei wird.»
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Es kam anders. «Kaum sass ich, kamen zwei Kontrolleurinnen und bemängelten, dass ich kein richtiges Ticket habe.» Dass er gesundheitlich angeschlagen und in der 2. Klasse kein Platz war, habe sie nicht interessiert. «Sie sagten, die SBB seien nicht verpflichtet, den Fahrgästen Sitzplätze anzubieten.» Diebold musste einen Zuschlag bezahlen: 140 Franken plus 5 Franken für den Klassenwechsel.
Auch ein Arztzeugnis brachte nichts
Ein Anruf im Contact Center und ein Arztzeugnis änderten nichts daran. Diebold ärgert sich: «Niemand konnte mir erklären, wie ich in dieser Situation legal und rechtzeitig von A nach B hätte kommen sollen.» Dafür habe man ihm gesagt, «aus Kulanz» verzichte man auf eine Strafanzeige. Diebold ist nämlich «Wiederholungstäter». Vor zwei Jahren war er einmal ohne Ticket unterwegs. «Ich hatte vergessen, dass mein Generalabo abgelaufen war.»
Ihm ist klar, dass die SBB im Recht sind. Trotzdem fühlt er sich ungerecht behandelt. «Hinter meinen Vergehen steckte keine böse Absicht.»
SBB: «Es gibt keinen Anspruch auf Kulanz»
Welche Regeln gibt es eigentlich punkto Nachsicht bei den SBB? Hängt es vom Goodwill einzelner Mitarbeitender ab, oder gibt es intern eine Art Handbuch? Jeder Fall werde individuell geprüft, Gleichbehandlung sei dabei zentral, heisst es auf Anfrage. Und: «Es gibt keinen Anspruch auf Kulanz.»
Fahren ohne gültiges Billett sei ein Verstoss gegen das Personenbeförderungsgesetz. Eine Anzeige sei grundsätzlich schon beim ersten Mal möglich, ein nachträglicher Klassenwechsel in Selbstkontrolle-Zügen dagegen nicht. Raymond Diebold wäre also nichts anderes übrig geblieben, als wieder auszusteigen – und als Lehrer zu spät ins Klassenzimmer zu kommen.