Der Passagier will nach einem Fest in Genf mit dem Zug zurück in die Zentralschweiz. Es ist bereits nach Mitternacht. Er müsste dringend auf die Toilette, im ganzen Zug gibt es aber nur eine – und die ist geschlossen!
In Freiburg steigt er aus und sucht Erlösung auf der öffentlichen Toilette. Doch dort kann er schon nicht mehr Wasser lösen. Im Zug von Bern nach Luzern versucht er es nochmals, wieder vergeblich. Endlich in Luzern angekommen, muss der Pechvogel eine Notfallpraxis aufsuchen, «um sich – mit recht erheblichen Folgekosten – einen Katheter legen zu lassen».
«Fälle wegen WC-Anlagen in Zügen haben zugenommen»
So steht es im aktuellen Jahresbericht der Ombudsstelle öffentlicher Verkehr. Der Pechvogel hatte sich an die Beschwerdestelle gewandt, weil er die SBB für das Unglück verantwortlich machte. Ombudsmann Hans Höhener vermittelte zwischen den Parteien und machte den Fall als «extremes Einzelbeispiel» publik. Auf Rückfrage von SonntagsBlick sagt er: «Fälle wegen geschlossener, defekter oder verschmutzter WC-Anlagen in Zügen haben in den letzten Jahren zugenommen.»
Höhener ist der Sorgenonkel aller Bus- und Zugreisenden. Er weiss, wo es im öffentlichen Verkehr klemmt. Jeder, der nicht damit zufrieden ist, wie das Transportunternehmen sein Problem erledigt hat, kann sich bei ihm melden.
Seit 2013 ging die Zahl dieser Härtefälle stetig zurück, 2017 behandelte Höhener noch 88 Vorfälle. Vergangenes Jahr aber stieg die Fallzahl wieder deutlich an, auf 123. Siebzig Prozent der Fälle betrafen die SBB.
«Schalterschliessungen beschäftigen auch die Jungen»
Häufige Ärgernisse sind: Zoff wegen Reisen ohne gültigen Fahrausweis, Verspätungen und Zugausfälle. Ein anderer Zankapfel, so Höhener, ist die Digitalisierung. «Das bringt neue Probleme für die Kunden. Sie müssen sich mit neuen Gewohnheiten auseinandersetzen. Wer am Billettautomaten falsch drückt, kann erhebliche Folgen davontragen.» Internet, Handy oder künftige Technologien könnten die persönliche Beratung nicht ersetzen: «Es braucht auch geöffnete Schalter mit Menschen.»
Der gute alte Billettschalter stehe bei Reisenden noch immer hoch im Kurs. Höhener ist überzeugt: «Schalterschliessungen beschäftigen auch die Jungen.» Lange Warteschlangen, kürzere Öffnungszeiten oder völlig geschlossene Schalter am Wochenende betrachteten die Kunden als Abbau des Service public.
Und was sagen die SBB zu diesen Kritikpunkten? «Wir sind laufend im Austausch mit der Ombudsstelle und nehmen die dort eingegangenen Rückmeldungen ernst», erklärt ein Sprecher. Man kümmere sich intensiv darum, dass Kundinnen und Kunden saubere, funktionierende Zugtoiletten vorfänden.
Leute an der Front würden hervorragende Arbeit leisten
«Rund 1000 Mitarbeitende reinigen täglich die Züge der SBB», beteuert der Sprecher. Die Bahn investiere jedes Jahr zehn Millionen in die Instandhaltung der geschlossenen WC-Systeme.
Zum Pechvogel, der sich wegen der geschlossenen Zugtoilette einen Katheter legen musste, sagt der SBB-Mann: «Wir bedauern diesen Fall, der aufgrund des unglücklichen Umstands eines verschlossenen WCs entstand.» Dieser Umstand könne jedoch nicht als Ursache für die medizinischen Folgen angesehen werden. Dennoch hätten die SBB eine Kulanzzahlung von 100 Franken zu Gunsten des Betroffenen geleistet. «Und zwar in Form eines Gutscheins», weiss Ombudsmann Höhener.
Nicht nur wegen dieser Geste windet er in seinem Bericht dem Schweizer ÖV ein Kränzchen: Die Leute an der Front würden nicht einfach einen Job verrichten, sondern hervorragende Arbeit leisten. «Die Schweizerinnen und Schweizer sind stolz auf ihren ÖV – und wollen das auch in Zukunft sein.»