Der Industrielle Stephan Schmidheiny (75) ist von einem Geschworenengericht in Novara in Norditalien zu zwölf Jahren Haft und zur Zahlung von 80 Millionen Euro verurteilt worden – wegen schwerer fahrlässiger Tötung von 147 Menschen.
Diese waren im Eternit-Werk von Casale Monferrato, in dem Faserzementprodukte hergestellt wurden, an den Folgen von Asbest gestorben. Die Verteidigung kündigte umgehend Berufung an. Damit ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Schmidheiny war im Prozess wegen vorsätzlicher Tötung von 392 Personen angeklagt. Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft gefordert, die Verteidigung einen Freispruch.
Welche Rolle spielt Schmidheiny? Was wirft die italienische Justiz Schmidheiny vor? Warum sind die Eternit-Produkte so beliebt, obwohl sie gefährlich sind? Blick beantwortet die wichtigsten Fragen zum Mega-Prozess.
Warum wird Schmidheiny ausgerechnet in Italien angeklagt?
Schmidheiny soll für Tausende Todesfälle im Zusammenhang mit Eternit verantwortlich sein, so die italienische Justiz. Fast 40 Jahre lang befasst sie sich schon mit dem Fall. Auch in den Schweizer Werken von Niederurnen GL und Payerne VD kam es zu Todesfällen. Sie verjährten aber 10 Jahre nach dem Kontakt mit dem gefährlichen Asbest. Anders in Italien. Dort beginnt die Verjährung erst nach Ausbruch der Krankheit oder dem Tod. Die Familie Schmidheiny hatte von 1976 bis 1986 das Eternit-Werk in Casale im Piemont geleitet. Schmidheiny hatte die Gruppe 1976 mit 28 Jahren von seinem Vater übernommen. 1986 trat er von der Spitze zurück.
Was wirft die italienische Justiz Schmidheiny vor?
Stephan Schmidheiny wurde Ende 2009 angeklagt, durch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen in mehreren italienischen Eternit-Fabriken den Asbest-Tod von mehr als 2000 Arbeitern und Anwohnern verursacht zu haben. So sollen sie etwa ohne Masken Asbest verarbeitet haben. Die Staatsanwaltschaft warf Schmidheiny – laut «Forbes» 2,3 Milliarden Dollar schwer – und einem Kompagnon vor, für 2056 Todesfälle und 833 Erkrankungen verantwortlich zu sein. Seither gab es mehrere Prozesse in verschiedenen italienischen Provinzen.
Was ist die Strategie von Schmidheinys Anwälten?
Schmidheinys Rechtsvertreter argumentieren seit Jahren, dass er keine direkte Verantwortung für die operative Leitung der Werke in Italien getragen habe. Im Gegenteil: Er sei Ende der 70er-Jahre dafür verantwortlich gewesen, dass Eternit Alternativen zu Asbest auf den Markt bringe. Er habe das Ende der Asbest-Verarbeitung in die Wege geleitet. Deshalb plädieren sie auf einen Freispruch.
Warum ist Asbest so gefährlich?
Wer Asbestfasern einatmet, muss Lungenkrebs und Mesotheliom – ein Krebs des Brust- und Bauchfells – fürchten. Dies bewiesen Wissenschaftler schon zu Beginn der 1960er-Jahre. Die Folgen des Kontakts mit dem Stoff machen sich allerdings oft erst Jahrzehnte später bemerkbar. In der Schweiz verjährten darum viele Fälle nach zehn Jahren. Bereits in den 1930er Jahren war die Asbestose oder Asbest-Staublunge bekannt geworden.
Warum waren die Produkte von Eternit so beliebt?
Asbest war ein beliebter Baustoff: Praktisch, günstig und feuerfest. Bekannt sind hierzulande vor allem die grauen, gewellten Dachplatten, Rohre oder Blumenkistli. Sie stehen heute noch zu Zehntausenden auf den Fenstersimsen des Landes. Aber auch im Hausbau wurde der Stoff grosszügig eingesetzt. Etwa als Platten für den Hochbau und Dichtungen oder als Brems- und Kupplungsbeläge für Autos.
Was kann man gegen Asbest in Gebäuden machen?
Obwohl mittlerweile verboten, ist Asbest noch immer in zahllosen älteren Bauten zu finden. In Häusern, die zwischen 1960 und 1990 gebaut wurden, ist mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit Asbest zu finden. Gebundener Asbest in Faserzementplatten, Boden- und Wandbelägen wird durch die Bearbeitung mit Hammer oder Bohrer zum Risiko, weil die krebserregenden Fasern eingeatmet werden können. Für eine Asbestsanierung braucht es spezialisierte Unternehmen. Gearbeitet wird in Schutzkleidung und Maske. Sanierungen sind zeit- und kostenintensiv. So wurde das Sulzer-Hochhaus in Winterthur ZH mit seinen 26 Stockwerken über mehrere Jahre saniert.
Wie geht es nun weiter?
So schnell wird Schmidheiny die italienische Justiz nicht mehr los. Auch an den früheren Standorten Neapel und Turin laufen Prozesse. In Neapel wurde Schmidheiny erstinstanzlich wegen fahrlässiger Tötung eines ehemaligen Arbeiters zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Er hat Rekurs eingelegt. In Turin kam es zu einer Verurteilung zu vier Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung von zwei Personen. Auch hier hat Schmidheiny das Urteil weitergezogen. Dieses ist damit noch nicht rechtskräftig.