Emmentaler Grossfamilie über das Reizthema
«Deinen Impfstatus hängst du hier nicht an die grosse Glocke»

Bei Baumgartners aus Zollbrück im Emmental sind alle, die dürfen, geimpft. Ob die Grossfamilie damit eine Ausnahme ist an ihrem Wohnort, wissen ihre Mitglieder nicht. Doch das Impfthema war nicht die einzige Herausforderung dieses Herbsts.
Publiziert: 27.11.2021 um 00:27 Uhr
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Aktualisiert: 29.11.2021 um 16:24 Uhr
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Die Baumgartners sind eine siebenköpfige Grossfamilie aus Zollbrück im Emmental. Inzwischen ist die Familie sogar achtköpfig.
Foto: Thomas Meier
Ramona Schelbert und Jonas Dreyfus

Sie habe Respekt vor Corona, sagt Franziska Baumgartner. «Aber keine Angst.» Blick hat sie, ihren Mann Thomas und die gemeinsamen Kinder im Herbst mehrere Male an ihrem Wohnort in Zollbrück im Emmental begleitet, um herauszufinden, wie eine Pandemie das Familienleben beeinflusst. Sie sind eine Grossfamilie, deren Leben jeden Tag von Corona mitbestimmt wird.

Franziska Baumgartner war während der Zeit, in der Blick die Familie begleitete, schwanger. In der Zwischenzeit haben ihre fünf Kinder Lukas (17), Sarina (15), Nico (12), Leonie (9) und Gian (4) noch ein weiteres Geschwisterchen erhalten: einen Buben namens Kimo.

Bei so vielen Kindern, von denen ein Grossteil über verschiedene Schulen verteilt sind, sei die Gefahr gross, dass eines von ihnen das Virus nach Hause bringe, sagt Baumgartner. Deshalb sind alle ab zwölf Jahren geimpft.

Die Neunjährige, die als Einzige in der Klasse eine Maske trägt

Ob sie eine Ausnahme darstellen unter den Familien im Emmental, wissen die Baumgartners nicht so genau. Sicher ist: Es gibt viele Skeptiker, sodass man den eigenen Status nicht gerne kommuniziert. «Dass du geimpft bist, das hängst du hier nicht an die grosse Glocke», sagt Franziska Baumgartner. «Es ist kein gutes Thema für eine Unterhaltung mit jemandem, den man nicht gut kennt.»

Nur in der Schule ist schnell einmal klar, welche Eltern welche Haltung zu den Massnahmen haben. So war die neunjährige Leonie eine Zeit lang die Einzige in ihrer Klasse, die von zu Hause aus eine Maske tragen musste. Und das auch wollte. «Ich bin neben meinem Lehrer der Einzige in meiner Klasse, der geimpft ist», sagt ihr zwölfjähriger Bruder Nico.

Thomas Baumgartner arbeitet im Aussendienst einer Firma für Sanitärzubehör. Seine Arbeit beinhaltet viel Händeschütteln und hat sich seit Beginn der Pandemie komplett verändert. Nebenher sitzt er in der Schulkommission und war mit Eltern konfrontiert, die ihren Kindern die Spucktests verboten. Dann war da noch Tochter Sarina, die während der Pandemie eine Schnupperlehre suchen musste. Und eine Kreuzfahrt, die mehrere Male verschoben und dann ganz abgesagt werden musste. Kurz: Es war einiges los.

Sie wisse, dass ihre Familie privilegiert sei, sagt Franziska Baumgartner, die mit ihren Liebsten in einem Haus mit Garten wohnt. «Hier fällt dir die Decke nicht so schnell auf den Kopf.» Als Hausfrau konnte sie sich Zeit nehmen, wenn eines ihrer Kinder beim Homeschooling Unterstützung brauchte. Und trotzdem war jedes Familienmitglied wie wir alle von Covid betroffen. Wie genau, das haben sie Blick erzählt.

Franziska Baumgartner (43)

Wirklich gestresst war Baumgartner während der Pandemie nur einmal: Als sich ihr Mann – und etwas später die drei älteren Kinder – impfen lassen konnten, sie selbst aufgrund der Schwangerschaft aber noch nicht durfte. Als sie dann in der Zeitung las, dass Schwangeren in den USA die Impfung empfohlen wurde, kontaktierte sie ihren Frauenarzt. Er sagte, man habe noch zu wenig Erfahrung und dass er ihr davon abraten würde. «Ich habe aber Druck gemacht und gesagt, dass ich unbedingt ein Attest brauche, sobald die Empfehlung in der Schweiz kommt.»

Als es so weit war und sie kurz darauf mit ihrem sichtbaren Babybauch ihren ersten Impftermin wahrnahm, wirkte das medizinische Personal irritiert. Es musste zuerst noch den anwesenden Arzt fragen, ob das wirklich okay sei. Baumgartner: «Ich vermute, dass ich die erste geimpfte Schwangere im Emmental bin. Vielleicht auch eine der Einzigen.»

Thomas Baumgartner (47)

Er habe generell versucht, in der Familie positive Energie in den Umgang mit der Pandemie zu erzeugen, sagt Thomas Baumgartner. Zum Beispiel bei den Masken: Anstatt sich zu nerven, dass man eine tragen müsse, könne man ja auch sagen: «Die Maske ist super, denn dank ihr kann ich mich einigermassen frei bewegen, ich kann einkaufen gehen oder vielleicht sogar mal ins Kino.»

Baumgartner war lange Zeit international als Unihockey-Schiedsrichter tätig – Sport hat in der Familie einen hohen Stellenwert. Die Kinder machten in der Jugi viel Leichtathletik im Sommer und im Winter Unihockey, Parcours. Aufgrund der Pandemie haben sie sich entschieden, nicht mehr zu gehen. «Unsere Kinder mögen sehr erwachsen wirken», sagt Baumgartner. «Ich würde es eher als reif bezeichnen.»

Nico Baumgartner (12)

Ab zwölf Jahren kann man sich in der Schweiz impfen lassen. Nico ist trotzdem der Einzige in seiner Klasse, der es getan hat. Er sei ein sehr wissbegieriger und feinfühliger Mensch und habe sehr darunter gelitten, dass er die Grosseltern weniger sehen dufte, sagt sein Vater. Mit ihnen hat er vor der Pandemie immer viel gebastelt. «Das Grosi hat mir Kalligrafie beigebracht.»

Leonie Baumgartner (9)

Für Leonie Baumgartner war die Pandemie manchmal nicht so einfach. Sie ist mit neun Jahren die Einzige unter den Geschwistern, die zur Schule geht und nicht geimpft ist. Als Vorsichtsmassnahme aufgrund der Schwangerschaft ihrer Mutter war sie eine Zeit lang die Einzige in der Klasse, die im Unterricht eine Maske trug. «Das braucht einen starken Willen», sagt ihre Mutter. «Doch sie hat es ohne zu murren durchgezogen.»

Lukas Baumgartner (17)

Er schätze, dass bei ihm an der Berufsschule die Hälfte der Lehrlinge geimpft ist, sagt Lukas Baumgartner. Er lernt Polymechaniker im zweiten Lehrjahr – die Schulzeit hat er noch während des Lockdowns abgeschlossen. Im Zuge eines Projekts mit dem Namen «Wie organisiere ich ein Fest?» stellte er eine Abschlussfeier auf die Beine. Anlass war seine Konfirmation, die dann leider nur in ganz kleinem Rahmen stattfinden konnte. «Die Lehrstellensuche ist bei mir zum Glück noch in eine Zeit gefallen, als noch niemand von Corona sprach.»

Sarina Baumgartner (15)

Sie musste während der Pandemie schnuppern gehen, stiess auf viel Ablehnung und musste sehr hartnäckig sein. «Eigentlich wollte ich Drogistin lernen.» Geklappt hat es schliesslich mit einer KV-Lehre auf der Gemeindeverwaltung, mit der sie kommenden Sommer beginnt. Im Moment geht Sarina Baumgartner noch in die 9. Klasse der Sekundarschule in Zollbrück. «Dort gehöre ich als Geimpfte zur Minderheit.»

Gian Baumgartner (4)

Er ist das Familienmitglied, für das die Pandemie bis jetzt am einfachsten war. Weil er mit vier noch nicht geimpft werden darf, nimmt ihn seine Mutter zwar nicht mehr mit zum Einkaufen wie früher. Sonst hat sich aber nicht viel für Gian verändert. «Für ihn ist das natürlich super, dass plötzlich alle Geschwister viel mehr zu Hause sind», sagt seine Mutter. Dass sie während des Lockdowns, wenn Homeschooling angesagt war, nicht immer mit ihm spielen konnten – dafür hatte er jedoch nicht immer Verständnis.

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