Die Temperaturen sinken – und mit dem Fallen der Blätter von den Bäumen melden sich auch die ersten Erkältungen zurück. Über unsere Gesundheit haben wir uns seit Beginn der Pandemie oft Gedanken gemacht. Jetzt ist erst recht der Moment gekommen, um uns gut wie möglich um sie zu kümmern. In seinem neuen Sachbuch «Unser Immunsystem» beleuchtet der deutsche Virologe Hendrik Streeck (44) das Immunsystem wissenschaftlich fundiert und erklärt, was wir neben dem Impfen für unsere Körperabwehr tun können.
Herr Streeck: Das Immunsystem ist in aller Munde. Das stimmt sogar wortwörtlich.
Hendrik Streeck: Genau, denn im Mund befindet sich eine wichtige Abwehrregion des Körpers. Speichel beinhaltet Antikörper gegen Bakterien und Viren, aber auch andere Stoffe, die den Erregern wichtige Nährstoffe entziehen oder wie ein Beil ihre Proteine zerstören. Das alles hat eine heilende Wirkung.
Gemäss Ihrem Buch hat intensives und regelmässiges Küssen einen positiven Effekt auf das Immunsystem. Warum?
Beim Küssen werden die Bakterien der Partner vermischt. Wir lernen sozusagen die Flora des Gegenübers kennen. Das regt das Immunsystem an. Vollständig erforscht ist das noch nicht.
Sie widmen Hausmitteln wie Hühnersuppe oder dem heilenden Effekt von Lachen ein Kapitel. Es ist amüsant zu lesen – allerdings beschleicht einen das Gefühl, dass Skeptiker gerade mit ähnlichen Selbsthilfetipps gegen die Impfung argumentieren. Was entgegnen sie denen?
Es ist naheliegend, dass ein gesunder Lebensstil und vielleicht auch gewisse Zusatzmittelchen das Immunsystem unterstützen können. Das ist aber alles indirekt. Das Einzige, was man direkt für die Stärkung seines Immunsystems tun kann, ist, sich impfen zu lassen. So spielt man dem Körper vor, dass ein Ernstfall eingetroffen ist, der sich aber als Übung herausstellt. Beim nächsten Mal weiss er, was zu tun ist.
Welche neuen Erkenntnisse gibt es zum Immunsystem?
Relativ neu ist, dass man mit Medikamenten gezielt Rezeptoren von Immunzellen ansteuert, um eine Immunantwort zu verbessern oder zu verstärken. Die Methode wird beim schwarzen Hautkrebs erfolgreich angewandt. Als ich Medizin studiert habe, hatte ein Betroffener nach einer Diagnose noch sechs Monate Lebenszeit. Heute kann man diesen Krebs mithilfe solcher Therapien oftmals heilen, wenn man ihn früh erkennt.
Der Körper verfügt über ein spezifisches und ein angeborenes Immunsystem. Was ist der Unterschied?
Das angeborene Immunsystem ist quasi eine Alarmanlage, mit vielen verschiedenen Lichtschranken, die bei eindringender Gefahr verschiedene Falltüren aktiviert. Das spezifische Immunsystem, ist die Polizei oder Armee, die auf den Erreger erst trainiert werden muss und dadurch etwas länger braucht. Es entwickelt sich erst mit der Zeit. Babys sind während und nach der Geburt rund ein halbes Jahr noch durch das Immunsystem der Mutter beschützt.
Warum haben Babys offenbar keine schweren Covid-Verläufe?
Das ist nicht eindeutig geklärt. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sie weniger Rezeptoren haben, an denen das Virus andocken kann. Und daran, dass ihr Immunsystem sowieso in konstanter Alarmbereitschaft ist und das Virus deshalb gut abwehren kann.
Man sagt: Kinder, die in eine Krippe gehen, seien in den ersten Lebensjahren oft krank, dafür im Kindergarten nicht mehr so häufig. Stimmt das?
Wenn Eltern ihre Kinder früh mit anderen Kindern in Kontakt bringen, sorgt das sicher für ein robustes Immunsystem. Aber sie müssen natürlich aufpassen, dass alle gegen die schlimmen Erreger wie Masern oder Röteln geimpft sind.
Was ist eigentlich eine Männergrippe?
Der Begriff spielt darauf an, dass Männer anders auf Viren reagieren als Frauen. Ein Grund dafür ist, dass einige Rezeptoren, die Strukturen von Viren erkennen, etwas mit dem X-Chromosom zu tun haben. Männer haben eines davon. Das heisst, dass der männliche Körper zu Beginn einer Infektion heftiger reagieren kann als der weibliche, der zwei X-Chromosomen aufweist.
Eine Faustregel sagt, dass, wer kein Fieber hat, nicht richtig krank ist. Was ist da dran?
Das kann man so nicht sagen. Fieber dient dem Körper dazu, eine optimale Temperatur zu erzeugen, um eine Krankheit eindämmen zu können. Es gibt aber auch Infektionen, bei denen es zu keiner Überhitzung kommt.
Sollte man bei tiefen Temperaturen aufs Joggen an der frischen Luft verzichten?
Wer bei Kälte rennt, bis es beim Atmen brennt, riskiert, dass in der Lunge kleine Verletzungen entstehen, vielleicht sogar kleine Äderchen platzen. Das ist ungesund und kann Infektionen begünstigen. Bei klirrender Kälte geht man also lieber auf ein Laufband oder rennt so, dass es einem – salopp gesagt – nicht gerade die Lunge zerreisst.
Hendrik Streeck (44) ist seit Beginn der Pandemie einer der gefragtesten Virologen Deutschlands. Für Kontroversen sorgte er als Leiter der ersten Studie, die einen Corona-Hotspot im Kreis Heinsberg, Nordrhein-Westfalen, untersuchte. Die Studie ging von einer hohen Dunkelziffer aus. Streeck verbrachte einen Grossteil seiner Karriere in den USA, unter anderem als Assistenzprofessor an der Harvard Medical School im Bundesstaat Massachusetts. Seit Oktober 2019 ist er Direktor des Institutes für Virologie und HIV-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn. Sein neues Buch «Unser Immunsystem» ist gerade im Piper-Verlag erschienen.
Hendrik Streeck (44) ist seit Beginn der Pandemie einer der gefragtesten Virologen Deutschlands. Für Kontroversen sorgte er als Leiter der ersten Studie, die einen Corona-Hotspot im Kreis Heinsberg, Nordrhein-Westfalen, untersuchte. Die Studie ging von einer hohen Dunkelziffer aus. Streeck verbrachte einen Grossteil seiner Karriere in den USA, unter anderem als Assistenzprofessor an der Harvard Medical School im Bundesstaat Massachusetts. Seit Oktober 2019 ist er Direktor des Institutes für Virologie und HIV-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn. Sein neues Buch «Unser Immunsystem» ist gerade im Piper-Verlag erschienen.