Es klingt nach einem brutalen Schnitt in seinem Leben, als Iouri Podladtchikov BlickTV beim Besuch in seiner aktuellen Ausstellung in Bern von seinem Rücktritt als Profi-Snowboarder erzählt. Es werde keinen Wettkampfwinter mit ihm mehr geben, er werde jetzt Künstler, noch lieber Tänzer, hat sich für ein «Kunstgeschichte und Philosophie»-Studium an der Uni Zürich eingeschrieben. Viele Pokale habe er bereits weggeworfen.
«Das ist heftig!»
Aber so radikal, wie er zunächst scheint, ist er nicht. Podladtchikov ist durch und durch ein Gefühlsmensch. Der Profisport, den er nun aus Vernunftgründen wegen seiner körperlichen Beschwerden hinter sich lässt, werde ihm extrem fehlen. «Es wird sicher nicht einfach, es wird eine riesige Herausforderung, die es fortan zu managen gilt», sagt der 31-Jährige berührt.
Lange überlegt er, bevor er die Frage nach seinen schönsten Sportmomenten beantwortet. «Es gibt zuviele», begründet er, der Olympiasieg 2014, als er auch US-Superstar Shaun White besiegte, sei natürlich dabei. «Da schauen alle Augen für zwei, drei Sekunden nur dich an – das ist heftig!» Der Triumph in Sotschi sei aber gleichzeitig auch der Schwerste gewesen. «Es gibt leichtere, luftigere Momente. Aus der Zeit am Sportgymnasium, oder im Sportmilitär.»
Tanzkurse im Opernhaus
Gewonnene Wettkämpfe bedeuten ihm nicht gezwungenermassen viel, so habe er gewisse Pokale ohne Wehmut beseitigen können. «Aber es gibt solche mit emotionalem Wert – die kannst du nicht wegwerfen.» Und er mistet auch nach ganz simplen Kriterien aus: «Finde ich sie schön, oder nicht? Die kann ich an zwei Händen abzählen – aber immerhin an zwei.»
Schönheit, Anmut, Grazie – wichtige Werte für den Ästheten, der sogar Anfänger-Tanzkurse im Zürcher Opernhaus besuchte, um «schöne, schwungvolle Bewegungen zu schaffen, die ich in der verschneiten Halfpipe übernehmen kann». Seine Ballett-Karriere stagniere seit seinem Achillessehnenriss. «Ich kann nur sehr schlecht auf Zehenspitzen stehen.»
«Es wird alles weitergehen»
So steht die Photografie, die Iouri in New York erlernte, derzeit im Vordergrund. Beim Augenschein seiner Bilder-Gallerie in Bern – in einem Haus, wo früher 120 Prostituierte lebten und dessen Kollekte an die «Xenia Beratungsstelle für Sexschaffende» geht – zeigt der dreifache WM-Medaillengewinner (1x Gold, 2x Silber) auf eines seiner persönlich wichtigsten Bilder. Es sei «eine Fotografie direkt auf Papier», in der er sich als Künstler wie als Sportprofi sieht.
Sie zeigt seinen vernarbten Ellbogen in Originalgrösse. Nicht das einzige Brandmal des Sports, sagt er. «Beim Skateboarden bremst du mit den Ellbogen. Ich weiss, man sollte Schoner anlegen, aber das ist unbequem.» Er denke, daraus komme auch der schweizerische Ausdruck «ellbögele», philosophiert Iouri weiter.
Der Gefühlsmensch, den die grosse Welle nach seiner Rücktritts-Meldung in der «Sonntags Zeitung» ziemlich überrollt hat, klingt nun deutlich weniger radikal als zu Beginn: «Man wird mich auch künftig überall sehen. Ich will nicht aufhören auf den Berg zu gehen, zu Tanzen und nicht aufhören, Ausstellungen zu machen. Es wird alles weitergehen.»