Auf einen Blick
Als Iouri Podladtchikov (36) im Jahr 2020 eines Augustmorgens Knall auf Fall entschied, dass es für ihn ab sofort «keinen Winter mehr» gebe, war dies für den Schweizer Sport ein herber Verlust. Mit «iPod» verschwand nicht nur der Weltmeister, X-Games-Goldmedaillengewinner und Halfpipe-Olympiasieger von Sotschi von der sportlichen Agenda, es trat auch eine der schillerndsten Figuren der hiesigen Sportlandschaft ab.
Podladtchikov wollte ein Ende ohne künstliches Hinauszögern, ohne Medienkonferenz. Er wollte lediglich auf sein Gefühl hören, das ihm sagte, er müsse seine Sachen entrümpeln und Pokale wegwerfen, weil dieses Kapitel nun vorüber sei. Er, der eloquente Freigeist, hatte freilich eine Iouri-Erklärung parat: «Im Ballett habe ich gelernt, dass die Schlussbewegung das A und O ist: Man macht eine Bewegung auf, aber auch wieder zu. Ohne ein sauberes Ende ist alles für nichts.» Diese Einstellung verfolgte er in seinem ganzen Leben: Wollte oder fühlte er etwas, agierte er kompromisslos.
So überrascht es auch nicht, dass Podladtchikov jetzt – ohne Vorwarnung und erneut Knall auf Fall – doch wieder in den Sport zurückkehrt. Am Freitagmorgen vermeldet der Stadtzürcher sein Comeback, und bereits nächste Woche steht er in Laax am Start. Närrisch? Nein. So tickt einfach Iouri Podladtchikov. Er machte schon immer, wonach ihm war.
Bereits früh in seiner Laufbahn fiel auf, dass da ein junger Typ heranwächst, der einen eigenwilligen Weg einschlägt. Einer, der nicht überheblich, aber sehr selbstbewusst daherkommt. Einer, der sich im Team gut einfügen kann, aber auch unmissverständlich deutlich macht, der Beste sein zu wollen. Halbe Sachen waren und sind ihm zuwider. Seine wichtigen Wegbegleiter, die Coaches Marco Bruni und Pepe Regazzi, verfügten dabei über die Gelassenheit und Klasse, mit Podladtchikovs Temperament richtig umzugehen.
Der Traum von Kate Moss
In der Schweiz, für die er ab 2007 an Wettkämpfen teilnahm, wurde der gebürtige Russe der erfolgreichste Freestyle-Boarder aller Zeiten. Er kreierte den «YOLO Flip», den «cab double cork 1440», mit dem er selbst Snowboard-Ikone und Dauerrivale Shaun White (38) verrückt machte. Und Podladtchikov dachte auch gross, wenn es um seine anderen Leidenschaften ging.
Er befasste sich mit kreativem Schreiben, studierte unter anderem Fotografie und Kunstgeschichte in Zürich und New York. Und war auch dabei hochambitioniert. Bei einem Sportpanorama-Auftritt erklärte er einst: «Wenn es dieses kleine Foto in der Geldtasche noch geben würde, das jeder mit sich trägt, dann wäre es mein Ziel, dass jeder ein von mir geschossenes Bild bei sich hätte.» Podladtchikov wollte zeitlos schön fotografieren. Und er setzte sich zum Ziel, einmal Supermodel Kate Moss abzulichten. Wennschon, dennschon.
Der Doppelbürger, der 2020 freiwillig in die Schweizer Armee einrückte, um beim Kampf gegen Corona zu helfen, faszinierte in seiner Karriere immer wieder. Er war ein Asket, schaute genau auf seinen Körper, arbeitete hart und diszipliniert für den Erfolg und verblüffte die ganze Sport-Schweiz mit seinem Tick, seine eigenen vier Wände immer pedantisch genau aufgeräumt haben zu müssen: «Sonst habe ich so eine Unruhe in mir.»
Als er nackt an einer Tankstelle auftauchte
Gleichzeitig konnte er aber auch den Lebemann raushängen lassen. Unvergessen, sein Nackt-Auftritt im Jahr 2011, als er nur mit einer Armbanduhr und einem Hut bekleidet an einer Tankstelle bezahlte. Podladtchikov erklärte die Party-Nacht damals wie folgt: «Ich habe einen Audi Q5 bekommen. Mit einem riesigen Panoramadach. Das habe ich aufgemacht und guckte oben heraus, wie im Film. Dann zog ich meinen Pulli aus. Die anderen im Auto haben mitgemacht, und ich wollte sie übertrumpfen.» Und geradeheraus war auch sein Olympiasieger-Interview 2014, als er, euphorisiert vom Erfolg im Heimatland seiner Eltern, sagte: «Min Vater isch u huere betrunke!»
Elf Jahre nach jener Anekdote und viereinhalb nach seinem vermeintlich endgültigen Abschied vom Sport, tritt Podladtchikov also doch wieder aufs Tapet. Und bei einem wie ihm, so herb sein Verlust 2020 war, kann dies für den Schweizer Sport nur ein Gewinn sein. Ob er direkt wieder Erfolg hat? Bleibt abzuwarten. Sein Ziel? Ist mit Olympia 2026 aber gewohnt ehrgeizig. Halbe Sachen sind ihm schliesslich zuwider – ausser die halbe Röhre aus Schnee und Eis, in der er erneut hoch hinaus will.