«Ich hatte Angst»
Olympiasieger Galmarini spürte sein Bein nicht mehr

Brutale Rückenschmerzen und ein Bandscheibenvorfall können ihn nicht stoppen: Snowboarder Nevin Galmarini ist nach fast zweijähriger Wettkampf-Pause zurück im Weltcup. Seine Mission: Titelverteidigung bei Olympia.
Publiziert: 28.01.2021 um 18:03 Uhr
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Nevin Galmarini greift wieder an.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Emanuel Gisi (Text) und Benjamin Soland (Fotos)

Nevin Galmarini (34) ist Olympiasieger. Vor allem aber ist der Alpin-Snowboarder ein Arbeitstier. «Wenn ich mehr mache als alle anderen, dann bin ich irgendwann besser als sie», erklärt er sein Erfolgsrezept. Heisst: In der Vorbereitung den entscheidenden Unterschied herausholen. Schliesslich gilt im Snowboard-Weltcup wie überall sonst im Leben: Wer ein Ass aus dem Ärmel ziehen will, muss vorher eins reingesteckt haben. Das hat sich für den Tüftler, der sich als «Kontrollfreak» bezeichnet, gelohnt: Vier Jahre vor dem Olympia-Triumph im Parallel-Riesen holte er in Sotschi bereits Silber. An der WM gabs Bronze, dreimal gewann er im Weltcup, fuhr zwölfmal aufs Podest.

Darum hat Galmarini jetzt ein Problem: Mehr machen als die anderen, das geht nicht mehr. Denn sein Rücken macht nicht mehr einfach alles mit. Schmerzen hatte er schon länger, in der Saison 2018/19 wurde es richtig schwierig. «Da bin ich praktisch kein Rennen ohne Schmerzmittel gefahren», erinnert er sich. «Nicht, weil ich das wollte. Aber Snowboarden ist mein Job. Darum habe ich mich durchgebissen.» Die Resultate waren gut, im Gesamtweltcup lag er vorne. Bis zur WM in Park City (USA). Dort ging gar nichts mehr – und beim nächsten Weltcup-Stop in Südkorea wusste der Engadiner: «Ich muss die Reissleine ziehen.» Saisonabbruch.

«Wollte nicht eine Leben lang hinken»

Der nächste Rückschlag folgte im November 2019: Da spürte der Vater der Zwillinge Eddie und Louie plötzlich sein Bein nicht mehr, konnte seinen Fuss nicht mehr heben. «Das eine sind die Schmerzen, die machen dich fertig», sagt er. «Aber Ausfälle in der Motorik, wenn man seinen Körper nicht mehr kontrollieren kann, das ist noch viel schlimmer. Ich hatte Angst. Ich wollte nicht mein Leben lang hinken.»

Die Diagnose: Bandscheibenvorfall. Ein Stück Bandscheibe zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbel wird ihm herausoperiert. Eine Narbe am Rücken zeugt vom Eingriff, seither kämpft sich Galmarini wieder ran. Mit neuem Fokus, um den Rücken nicht wieder zu überlasten. «Ich trainiere weniger», sagt er. «Dafür versuche ich, in jedem Lauf sehr bewusst das Optimum herauszuholen.» Für einen Arbeiter wie ihn eine neue Erfahrung. Aber das Ziel, das er im Visier hat, soll sich lohnen: In einem Jahr stehen in Peking die Olympischen Winterspiele an. Da will Galmarini wieder ganz vorne mitfahren.

Peking 2022 ist das Ziel

Dass das nicht selbstverständlich ist, hat er in den letzten Monaten gelernt. Im Dezember sagte er das Rennen in Cortina (It) kurzfristig ab. Der Rücken hatte sich wieder gemeldet. «Was bringen dir ein, zwei Rennen hinsichtlich der grossen Karriereziele?», fragt er heute. «Der Rücken hat mich gelehrt, dass ich nicht immer ein Krieger sein muss. Dass es okay ist, im richtigen Moment eine Auszeit zu nehmen.»

Und wenn sich der ganze Aufwand am Ende doch nicht lohnt? «Natürlich habe ich mir Gedanken über meinen Rücktritt gemacht», sagt er. «Ich mache sie mir immer noch. Ich weiss, dass es irgendwann vorbei ist, logisch bereite ich mich darauf vor. Das ist etwas, das ich jedem Athleten rate – egal auf welchem Level, egal in welcher Sportart.» Aber so schnell soll es dann doch nicht gehen. Nach 22 Monaten Wettkampfpause gab es im Weltcup diese Saison bereits zwei 7. Plätze. In Moskau am Wochenende könnte der nächste Schritt folgen. Immer im Blick: Das grosse Ziel Olympia. Es wäre erstaunlich, würde der Tüftler Galmarini nicht auch den Weg nach Peking finden.

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