Von Skispringen hat er keine Ahnung
Holländischer Wundernäher verleiht Deschwanden Flügel

Dank ausländischer Hilfe sind die Schweizer Anzüge endlich konkurrenzfähig. Das Erfolgsgeheimnis von Robin van Baarle? Er hat keine Ahnung vom Skispringen.
Foto: Nick Soland
Skispringen: Ehemaliger Briefträger verleiht Gregor Deschwanden Flügel

Auf einen Blick

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Nicola AbtReporter Sport
Publiziert: 14:50 Uhr
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Aktualisiert: 14:51 Uhr

Die Schweizer Skispringer stehen seit Saisonbeginn unter besonderer Beobachtung. Der Grund dafür sind ihre vermeintlichen «Wunder-Anzüge». Auch dank ihnen segelte Gregor Deschwanden (33) zuletzt viermal aufs Podest und gehört an der Weltmeisterschaft zu den Medaillenkandidaten. Dass die Skispringer in diesem Bereich endlich konkurrenzfähig sind, ist der Verdienst eines Holländers.

Alles im Griff: Robin van Baarle ist verantwortlich für die Anzüge der Schweizer Skispringer.
Foto: Nick Soland

Blick trifft Robin van Baarle (51) in seinem Wind- und Wassersportladen in Einsiedeln. Etwas stellt er sogleich klar: «Von Skispringen habe ich keine Ahnung.» Und genau das sei sein grosser Vorteil. «Meine Ideen sind unkonventionell. Ich wurde schon als verrückt erklärt.» Seit zwei Jahren tüftelt der Holländer an den Schweizer Anzügen herum. Das Jobangebot von Swiss-Ski überraschte ihn. «Ein Holländer im Skispringen? Die Spinnen doch!», dachte er.

Vom Briefträger zum Skispringen

Nach anfänglicher Skepsis entdeckte van Baarle, dass sich sein Wissen auf das Skispringen übertragen liess. Schon als Segelmacher hatte er sich damit beschäftigt, wie ein Stoff im Zusammenspiel mit der Luft am besten funktioniert.

Der Holländer kommt ursprünglich vom Windsurfen. Über Umwege landete er bei Swiss-Ski.
Foto: Nick Soland

Ursprünglich kommt van Baarle vom Windsurfen, wo er 1990 Junioren-Weltmeister wurde. Im Jahr 2011 zog er wegen seiner damaligen Frau in die Schweiz. Hierzulande arbeitete er unter anderem als Briefträger. Bis er vor sechs Jahren den Sportladen in Einsiedeln eröffnete. 

Ein schockierender Anblick

Zu Beginn seines Skisprung-Abenteuers bewahrte ihn Google vor einem peinlichen Moment. «Ich wusste nicht, wie Simon Ammann aussieht», gesteht er. Um den vierfachen Olympiasieger bei der ersten Begegnung zu erkennen, prägte er sich dessen Gesicht dank eines Internetbilds ein.

Für die Olympischen Spiele im nächsten Jahr strebt er eine Auswahl an Anzügen an, wie sie Marco Odermatt als Skirennfahrer hat. Für jede Bedingung oder jedes Körpergefühl das perfekte Modell.
Foto: Nick Soland

Als deutlich komplizierter entpuppte sich die Suche nach Spielraum im Anzugsreglement. Es umfasst mehr als 30 Seiten. «Als ich es zum ersten Mal gesehen habe, wollte ich sofort aufhören. Ich dachte, da habe ich überhaupt keine Freiheiten.» Inzwischen kennt es van Baarle auswendig und weiss, dass er sich getäuscht hat. 

Früher war alles Chefsache

Was den Schweizer Anzug in diesem Jahr so gut macht, behält der Holländer für sich. «Coca-Cola verrät sein Erfolgsrezept auch nicht», erklärt er lachend. Wer sich in seinem Laden umsieht, kann erahnen, was ihn auszeichnet. Elf verschiedene Nähmaschinen stehen dort. «Ich achte auf jedes Detail.» Entscheidend sei für ihn das Feedback der Athleten. 

Das Gerät zur Messung der Schrittlänge ist immer dabei. Vor jedem Wettkampfsprung müssen die Athleten diesen Test bestehen, sonst werden sie disqualifiziert.
Foto: Nick Soland

Diese professionelle Zusammenarbeit zwischen Anzugsmacher und Skispringer existiert erst seit zwei Jahren. Zuvor musste der ehemalige Cheftrainer Ronny Hornschuh nach dem Videostudium und der Teambesprechung abends zu Schere und Nadel greifen.

Nun begleitet van Baarle das Team mit zwei Nähmaschinen und Testgeräten, um Disqualifikationen zu verhindern. Sein Einfluss an den Weltcup-Wochenenden wurde auf diese Saison hin jedoch eingeschränkt. Schuld daran ist eine neue Regel.

Früher hat van Baarle die Konkurrenz beobachtet – heute nicht mehr. «In der Formel 1 sieht man einem Auto auch nicht von aussen an, warum es besser ist als die anderen», so der Fan von Max Verstappen.
Foto: Nick Soland

Falsches Regel-Versprechen

Jeder Athlet darf pro Saison nur noch zehn Anzüge benutzen. Diese werden von den Kontrolleuren mit Mikrochips und einem Schriftzeichen versehen. Spontane Anpassungen am Wettkampf-Ort sind nicht mehr möglich. «Es ist viel fairer als früher», zeigt sich van Baarle zufrieden.

In seinem Sportladen in Einsiedeln tüftelt er am perfekten Anzug herum. Für ein neues Modell braucht er rund eineinhalb Tage.
Foto: Nick Soland

Gleichzeitig räumt er mit einer Finanz-Lüge auf. Von der neuen Regel versprachen sich die Verantwortlichen weniger Ausgaben. Das würde das Budget kleiner Nationen wie der Schweiz entlasten. «Eine Fehleinschätzung. Unsere Materialkosten sind genauso hoch wie letztes Jahr.» Statt im Wettkampf werden die Anzüge nun vermehrt ausserhalb getestet.

Ein weiter Sprung im Schlafsack?

Wie sensibel das Anzugsthema ist, zeigt sich allein schon daran, dass selbst die Farbe einen Einfluss auf das Flugverhalten hat. «Jede hat unterschiedliche Eigenschaften», erklärt van Baarle. Vor allem aber ist es ein psychologischer Effekt. Deschwanden springt stets mit einem orangefarbenen Modell. «Als er mit einer identischen blauen Version über die Schanze flog, fühlte er sich nicht wohl.» 

In dieser Saison segelte Gregor Deschwanden auch dank der Arbeit des Holländers viermal aufs Weltcup-Podest.
Foto: Getty Images

Mehrere exakt gleiche Anzüge können die Schweizer erst seit letztem Jahr herstellen – dank einer computergesteuerten Schnittmaschine. «Früher musste ich alles mit der Schere machen. Da ist die Fehlerquote relativ hoch.» Trotz vieler Fortschritte bleibt van Baarle bescheiden. Statt sich zu loben, witzelt er: «Deschwanden ist im Moment so gut, der würde auch im Schlafsack weit springen.» 

Nun hofft er, dass Deschwanden und Co. mit seinen Anzügen bei der WM eine Medaille gewinnen.
Foto: Expa/freshfocus
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