Dienstagmorgen, wir treffen Dario Cologna in seinem Zuhause in Davos. Ehefrau Laura ist bei der Arbeit, Sohn Leano hat heute seinen «Nani-Tag». Er ist bei seiner Grossmutter, die gleich ums Eck wohnt. Zwei kristallene Tour-de-Ski-Trophäen und zwei Mini-Statuen der Sports Awards erinnern an die glanzvollen Zeiten des Athleten Cologna. Der erfolgreichste Schweizer Langläufer ist vor einem halben Jahr zurückgetreten. Dario Cologna, sind Sie angekommen im neuen Leben? Es folgt ein lang gezogenes «Jaaaaaaaaa», als ob er selbst noch leise Zweifel hätte.
Dario Cologna: Ich glaube schon. Unterdessen. Es war schon eine Umstellung.
Blick: Sie haben beim Rücktritt mehrfach gesagt, dass Sie Respekt hätten vor diesem Schritt …
Weil ich halt auch viele gesehen habe, die Mühe hatten mit dem Übergang. Ich habe mich in den letzten Monaten völlig neu organisiert, lebe einen neuen Rhythmus. Plötzlich bin ich immer zu Hause.
Das muss auch für Sie als Familie eine krasse Umstellung sein.
Ich war vorher sehr oft weg, genau. Ich habe zwar immer mitgeholfen. Aber Laura hat unser Zuhause gemanagt. Nun musste ich meinen Platz neu finden.
Sie waren der Eindringling im eigenen Haushalt?
Quasi. Es brauchte seine Zeit, bis wir einen neuen Alltag hatten.
Haben Sie sich deshalb gleich ein neues Ziel gesetzt? Sie werden am 2. Oktober Ihren ersten Marathon laufen.
Das hat sich eher so ergeben. Irgendwie hatte ich das schon immer im Kopf. Mein Sponsor, New Balance, ist beim London-Marathon Partner. Da lag es auf der Hand, mitzumachen. Ich freue mich, 42 Kilometer durch die Stadt zu laufen. Da sieht man so einiges. Ich war noch nie in London.
Sie reden, als ob Sie Zeit für Sightseeing hätten während des Rennens. Dabei haben Sie sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt.
Dieses Ziel muss ich wohl nochmals überdenken. Ich wollte 2 Stunden 30 laufen. Vor ein paar Wochen wurde ich aber krank, musste aussetzen. Und ich habe neuerdings Probleme mit der Wade, musste schon wieder pausieren. Im Moment muss ich froh sein, wenn ich ins Ziel komme.
Wir begleiten Dario Cologna zu einem lockeren Lauftraining im windig-kühlen Davos. Turnschuhe statt Rollski. Der vierfache Olympiasieger ist in Davos bekannt wie ein bunter Hund. Man grüsst den frisch zurückgetretenen Langlaufhelden. Er grüsst artig zurück.
Sind Sie manchmal wehmütig, wenn Sie daran denken, dass jetzt bald die nächste Saison losgeht. Erstmals ohne Sie?
Nein. Ich war sehr gerne Langläufer, werde diesen Sport immer lieben. Ich geniesse es aber, dann zu trainieren, wenn ich will. Diese zweite Einheit am Tag – nochmals rauszugehen und nochmals alles zu geben – das hat schon oft Überwindung gekostet. Und da waren die Entbehrungen …
Worauf sprechen Sie an?
Besuche bei Freunden, Hochzeiten, Feste. Früher war ich oft gar nicht da, und Laura ging alleine. Wenn ich da war, musste ich am Morgen vor dem Fest und am Tag danach immer ans Training denken. Das war dieses Jahr schon toll, einfach mal «hocke bliebe» und noch eins zu nehmen.
Cologna geniesst den neu gewonnenen Freiraum und die Ruhe in seinem Leben. Für einen Vollzeitjob wäre er noch nicht bereit, meint er. Als Investor und unterdessen Mitbesitzer ist er vor ein paar Monaten zum Team des Start-ups «Trainpub» gestossen. Er habe sich das Konzept in Ruhe angeschaut, wollte nicht gleich einsteigen. Erst mit der Zeit habe er gemerkt, dass das ganz gut passe.
Die vier Partner haben einen Sport-Marktplatz aufgebaut und programmiert. Einstanden ist eine Plattform für Onlineseminare, Coachings und Sportlektionen. Jeder kann Services anbieten und buchen, Sportbegeisterte können sich austauschen, sich neues Wissen aneignen. Ein kurzes Treffen des Führungsteams steht an. Im Langlaufzentrum. Auf dem Weg dort hin, zur Mittagszeit, noch rasch ein kurzer Stopp bei «Nani», um Leano Hallo zu sagen. Auch Colognas Frau Laura schaut kurz vorbei. Der Einjährige strahlt mit seinen acht Zähnen übers ganze Gesicht.
Das Karriereende, an sich schon ein riesiger Einschnitt. Und dann auch noch ein Kind. Ein weiteres neues Element in Ihrem Leben. Bei Ihnen wurde zuletzt so ziemlich alles über den Haufen geworfen …
Tatsächlich. Ich habe schon gemerkt, dass ich ein rechter Egoist war. Mein Leben hat sich um mich und meine Bedürfnisse gedreht. Laura hat sich auch oft mir angepasst. Mit Leano ist das anders. Er gibt nun unseren Takt vor.
Und Sie?
Weil ich ihn so gerne habe, macht es mir lustigerweise nichts aus. Leanos Geburt hat einiges zurechtgerückt in meinem Leben.
Sie sind nicht nur öfter bei Laura und Leano. Auch für Ihre Eltern und Ihre Geschwister bleibt hoffentlich mehr Zeit …
Wir haben eine intensive Zeit hinter uns. Also vor allem meine Eltern. Sie haben innert elf Monaten drei Enkelkinder gekriegt. Bei uns ist gerade mächtig etwas los.
Das kann ich mir vorstellen. Sie sind in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Der Sport hat Sie zu einem reichen Mann gemacht. Macht Sie das stolz?
Gut, reich, wenn Sie meinen.
Der 36-jährige ist vierfacher Langlauf-Olympiasieger, gewann je viermal den Gesamtweltcup und die Tour de Ski. Cologna startete 2006 erstmals bei einem Weltcuprennen. Bis zu seinem Rücktritt im März 2022 feierte er 73 Podestplätze. Der Bündner mit italienischen Wurzeln ist im Val Müstair aufgewachsen. Heute lebt er mit seiner Familie, mit Ehefrau Laura und Sohn Leano (1), in Davos.
Der 36-jährige ist vierfacher Langlauf-Olympiasieger, gewann je viermal den Gesamtweltcup und die Tour de Ski. Cologna startete 2006 erstmals bei einem Weltcuprennen. Bis zu seinem Rücktritt im März 2022 feierte er 73 Podestplätze. Der Bündner mit italienischen Wurzeln ist im Val Müstair aufgewachsen. Heute lebt er mit seiner Familie, mit Ehefrau Laura und Sohn Leano (1), in Davos.
Ja, ist doch so: Sie haben sich eine tolle Position erarbeitet. Haben hohe Einkünfte aus Sponsorendeals, sind ein beliebtes Markengesicht.
Das geniesse ich schon. Darüber spricht man aber halt nicht so bei uns …
So ist das in der Schweiz. Sie würden also nie mit einem teuren, getunten Sportwagen durch die Strassen von Davos brausen?
Das kann man in Zürich wahrscheinlich unauffälliger machen als hier oben. Da wird man rasch zum Dorfgespräch. Ich habe aber gerne schöne Autos und bin auch stolz auf das, was ich erreicht habe. Für Erfolg soll man sich nicht schämen müssen.
Sagts und steigt in einen eleganten SUV und nimmt uns mit ins Langlaufzentrum, wo Cologna die Trainpub-Gründerkollegen zum Meeting trifft. Grosses Hallo, als Dario durch die Türe kommt. Neue, mit Logo bedruckte Kapuzenpullover seien eben geliefert worden. Jeder schnappt sich einen Pulli, das sei doch super fürs Foto.
Was ist Ihre Rolle bei Trainpub?
So genau kann man das in dieser Anfangsphase bei einem Start-up nicht abgrenzen. Ich versuche mit meinem Kontaktnetz Türen zu öffnen. Helfe in der Vermarktung unserer Idee.
Bis jetzt haben Sie immer sich selbst vermarktet …
Genau. Jetzt bekommen wir vielleicht wegen meines Namens einen Termin, aber am Ende muss unser Produkt gut sein. Das wird spannend.
Nach der munteren Sitzung bei den Trainpub-Kollegen bereitet Dario Cologna einen weiteren Termin vor, der diese Woche noch ansteht: Seine Biografie will noch finalisiert werden. Das Buch erscheint Ende Oktober. Es sei ihm wichtig gewesen, dass es «etwas Schönes» werde, ein Buch zum Aufstellen. Nicht einfach ein liebloses Taschenbuch.
Wie war es, für die Biografie nochmals zurückzublicken auf Ihr Athleten-Leben?
Es war ein spannender Prozess. Der Autor, Peter Röthlisberger, ist kein Langlauf-Freak, er hatte einen anderen Blick auf meine Karriere. Mein Manager, der mich sehr gut kennt, hat gemeint, er habe viel Neues erfahren beim Lesen. Das ist doch schon mal ein gutes Zeichen.
Eine Frage habe ich noch. Läuft eigentlich die Silvesterplanung schon?
Warum fragen Sie?
Ihre Frau hat sich mal geäussert, dass man mit Ihnen nie Silvester feiern könne. Ich frage mich, ob das dieses Jahr zum ersten Mal klappen könnte.
Hm, schwieriges Thema. Dann ist ja die Tour de Ski. Kann gut sein, dass sie mich dann im Val Müstair brauchen. Laura will lieber in Davos feiern. Sie merken: Das ist eine harte Verhandlung, die noch am Laufen ist (lacht).