Alexia Paganini war buchstäblich eine Überfliegerin, wenn sie auf dem Eis herumwirbelte und sich Pirouetten drehend in die Luft erhob. Vierfache Schweizermeisterin, zwei Olympia-Teilnahmen, Rang 4 an der EM 2020 und scheinbar noch vieles vor sich. Trotzdem: Die junge Eiskunstläuferin gab im Oktober, einen Monat vor ihrem 23. Geburtstag, ihren Rücktritt bekannt. Aus und vorbei. Gründe dafür gibt es mehrere, über die sie nun mit etwas Abstand erstmals spricht.
Paganini wurde 2001 in den USA geboren und wuchs auch dort auf. Dank ihres Schweizer Vaters hatte sie 2017 die Möglichkeit, zum Schweizer Verband überzutreten. Sie trainierte jedoch weiterhin in den Vereinigten Staaten. Dieser Schritt ermöglichte es ihr, noch im selben Jahr unter Schweizer Flagge an der prestigeträchtigen Nebelhorn-Trophy teilzunehmen, und dort auf den dritten Platz zu wirbeln. Damit sicherte sie sich einen Startplatz für die Olympischen Spiele 2018. Mit gerade einmal 16 Jahren.
Und auch für die Olympischen Winterspiele 2022 konnte sich die Eiskunstläuferin einen Platz sichern. Sie belegte 2018 den 21. und 2022 den 22. Rang.
Jeder Erfolg hat seinen Preis
Doch solche Erfolge haben ihren Preis. Stundenlanges Training, immer wieder Verletzungen, immenser Leistungsdruck. 2022 hatte die junge Sportlerin mit Gürtelrose zu kämpfen. «Ich glaube, das kam von dem vielen Reisen, dem vielen Trainieren, dem vielen Stress, dem nicht genug Schlafen, nicht genug essen und so weiter», sagt sie nachdenklich zu Blick. Ihr Immunsystem war völlig am Ende, wie sie erklärt. Sie holte sich eine Erkältung nach der anderen und musste am Ende die Saison sogar abbrechen.
Um den Spagat zwischen Sport und restlichem Leben, den junge Leistungssportler vollbringen, nachvollziehen zu können, benötigt es einer kurzen Rechnung. Ein berufstätiger Mensch arbeitet grundsätzlich in einem Acht-Stunden-Job, fünf Tage die Woche. Den hat Paganini auch. Ihr Acht-Stunden-Job findet in der Eishalle statt. Sieben Tage die Woche, körperlich und mental anstrengende Arbeit. Wenn sie diesen Teil des Tages abgeschlossen hat, geht der nächste Acht-Stunden-Job los: die Schule. So kommt sie also auf circa 16 Stunden Arbeit am Tag. Es bleibt also rein organisatorisch schon nicht mehr viel Zeit für Essen und Schlafen, geschweige denn Freunde und Familie.
«Doch das alles nimmt man in Kauf, wenn man ein Ziel vor Augen hat», meint Paganini. Doch nun sind die Ziele weg. Sie hat alles erreicht, was sie sich vorgenommen hatte. Und noch etwas kommt dazu: «Man springt einfach viel besser, bevor man in die Pubertät kommt. Als ältere Athletin muss man das zwar akzeptieren, aber frustrierend ist es trotzdem.» Eine brutale Erkenntnis. Mit gerade einmal 23 Jahren ist das Alter schon ein negativer Faktor.
Die Lust auf Neues ist gross
Kurz gesagt: «Es gab einfach nichts mehr, was mich dazu motivierte, von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends in der Eishalle zu sein.» Nach jahrelangem, rigorosem Training mit nur einem einzigen Ziel – Olympia – vor Augen hatte die Sportlerin mit 22 plötzlich viel mehr Lust, auch anderes zu machen als nur Eiskunstlaufen. Ein Studium zum Beispiel.
Dennoch hat sie nicht vor, dem Eis komplett den Rücken zuzukehren. Neben ihrem Studium der Kommunikationswissenschaften – von der Schweiz aus, an einer amerikanischen Fern-Uni – wird sie vor allem Shows wie «Art on Ice» laufen. Dies ermöglicht ihr auch, trotz Karriereende immer wieder Neues auf dem Eis zu lernen. Bei Art on Ice im Februar in der Schweiz wird sie zum Beispiel etwas komplett Neues zeigen: Luftakrobatik an Bungee-Seilen in Kombination mit dem Eiskunstlauf. Paganini sagt: «Ich liebe Eiskunstlaufen und ich liebe es, bei Shows aufzutreten. Einfach Musik im Ohr zu haben und laufen zu können.»
Diese Momente des Geniessens haben ihr als Aktivsportlerin gefehlt: «Wenn man sich auf einen Wettkampf vorbereitet, hat man einfach keine Zeit dafür.» Deshalb ist Paganini mit 23 schon eine Ex-Spitzensportlerin.