Was sich Sportkommentatorinnen und -moderatorinnen alles anhören müssen
«Verpissti du drek sau»

Der Fall Michèle Schönbächler zeigt: Wer sich als TV-Frau im Sport exponiert, dem weht auch 2021 noch ein eisiger Wind entgegen. Warum sich das so schnell nicht ändern wird. Und weshalb Beni National ein paar Kilos zu viel haben durfte, Monika Fasnacht aber nicht.
Publiziert: 09.05.2021 um 01:00 Uhr
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Aktualisiert: 09.05.2021 um 08:44 Uhr
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Gab Anfang letzter Woche ihren Rückzug als SRF-Ski-Kommentatorin bekannt: Michèle Schönbächler.
Foto: Oscar Alessio
Daniel Leu

Wer erfahren möchte, was Ski-Kommentatorin Michèle Schönbächler alles über sich ergehen lassen musste, der kann das auf ihrer Facebook-Seite nachlesen. Dort hat sie die heftigsten und unappetitlichsten Kommentare über ihre Person veröffentlicht. «Sorry deine Ski Kommentationen sind nicht auszuhalten. Such dir einen anderen Job. Bitttteeee.» Oder: «Verdammt nochmal, du bist so was von schlecht als Kommentatorin...» Oder: «Verpisti du drek sau.»

Vergangene Woche hatte Schönbächler offenbar genug. Nach drei Jahren gab sie ihren Rücktritt als SRF-Ski-Kommentatorin. Die 40-Jährige war die erste Schweizer Live-Kommentatorin in einer Hauptsportart. In den drei Jahren wurde die Obwaldnerin regelmässig harsch kritisiert. Von den TV-Konsumenten, aber auch von Blick.

Schönbächler ist kein Einzelfall. Sportkommentatoren und -moderatoren werden seit jeher gerne und hart kritisiert. Sind sie dann noch weiblich und dringen damit in einstige Männerdomänen vor, wirds kritisch und geht oft auch direkt unter die Gürtellinie.

SonntagsBlick hat sich bei ehemaligen Sportmoderatorinnen und -kommentatorinnen umgehört. Sie alle sagen, dass sie oft aufs Äussere reduziert wurden und ihnen die Kompetenz abgesprochen wurde. Und wehe, sie machten einen Fehler, dann brannte der Baum lichterloh.

«Wie wäre sie als intime Partnerin?»

Was ein einziger kleiner Versprecher auslösen kann, musste schon Carmen Thomas erfahren. Sie moderierte 1973 mit «Das aktuelle Sportstudio» als erste Frau im deutschen Fernsehen eine Sportsendung. Es passierte am 21. Juli 1973. Beim Vorlesen der Intertoto-Resultate sagte sie «Schalke 05» statt «Schalke 04». Der Skandal war perfekt. Die «Bild» schrieb daraufhin in grossen Buchstaben: «Carmen Thomas im ZDF-Sportstudio gescheitert.»

Es war dies auch eine Retourkutsche, weil es Thomas Wochen zuvor gewagt hatte, sich mit dem Boulevardblatt anzulegen. Das Ergebnis dieses ungleichen Duells: Als ihr Vertrag eineinhalb Jahre später auslief, verschwand die Deutsche wieder vom Bildschirm und tauchte im Sport-Bereich nie mehr im TV auf.

Thomas wurde damit ungewollt zum Sinnbild einer Sportmoderatorin, die vor allem darum scheiterte, weil sie eine Frau war. Wäre einem Mann der gleiche Fehler unterlaufen, nichts wäre geschehen, und wir würden heute vielleicht von einer TV-Legende reden.

Heute, fast ein halbes Jahrhundert später, habe sich leider nicht viel verändert, erzählt die 74-Jährige. «Das Positive: Es gibt mittlerweile deutlich mehr TV-Sportjournalistinnen, die hübsch und kompetent sind. Doch diese Kombination irritiert die Männer noch immer. Für sie kann eine Frau nur hübsch oder kompetent sein, aber nicht beides gleichzeitig.»

Wer als Frau den Schritt als Sportmoderatorin oder -kommentatorin trotzdem wagt, wird von den männlichen TV-Konsumenten genauestens analysiert und seziert. Thomas: «Ein typischer Fernsehzuschauer stellt sich beim Anblick einer Moderatorin eine Reihe von Fragen: Wie sieht sie aus? Was hat sie an? Wie hat sie die Haare? Wie wäre sie als intime Partnerin? Das war 1973 so, und das ist leider auch im Jahr 2021 noch immer so.»

«Kennen Sie einen Schatz der Nation?»

Was Thomas für Deutschland war, das war Fiammetta Devecchi für die Schweiz. 1989 moderierte sie als erste Frau das SRF-Flaggschiff «Sportpanorama». Schnell einmal wurde sie von Blick als «Schätzchen» tituliert. «Ich konnte mit dieser Bezeichnung leben, fand sie aber dumm», sagt die 62-Jährige heute und lacht, «bei einem Mann hätte man das nicht gemacht. Oder kennen Sie einen Schatz der Nation?»

Für Devecchi ist klar: «Das Ziel muss es sein, dass eine Person an ihren fachlichen Kompetenzen, ihren kommunikativen Fähigkeiten und an ihrem Umgang mit Menschen beurteilt wird. Das ist wesentlich. Ob Frau oder Mann ist nicht ausschlaggebend, steht aber auch in den Medien oft immer noch im Vordergrund.» Siehe Michèle Schönbächler.

Einer der Hauptkritikpunkte bei Schönbächler war ihre Stimme. Zu aufdringlich, zu hoch, einfach zu nervig sei diese. Das Problem: Bei emotionalen Momenten überschlägt sich die Frauenstimme mehr als die der Männer. Dass das aber auch manchen Männern passiert, weiss jeder, der schon mal SRF-Formel-1-Kommentator Michael Stäuble zugehört hat. Doch im Gegensatz zu Schönbächlers Stimme wird die von Stäuble in der Öffentlichkeit nicht thematisiert.

Ähnliche Erfahrungen musste auch Claudia Neumann machen. Auch sie eine Pionierin. Sie war die erste Deutsche, die Fussballspiele der Männer live im Fernsehen kommentierte. Das war 2016 im ZDF und löste einen gewaltigen Shitstorm aus. In ihrem Buch mit dem Titel «Hat die überhaupt ‘ne Erlaubnis, sich ausserhalb der Küche aufzuhalten?» – das war einst ein echter Twitter-Eintrag über sie – schrieb sie über ihre Erfahrungen.

Ihre Analyse ist verheerend. «Eine Frau, die Männern ein Männerspiel deutet, zerstört das Weltbild. Offensichtlich haben diese Hater im Fussballrefugium grössere Probleme mit Frauen als in anderen Bereichen. Sie sagen sich: Jetzt dringen sie auch noch in diesen Bereich ein.»

«Der TV-Sport-Konsument braucht eine Männerstimme, damit er zufrieden ist»

Auch Michèle Schönbächler hat offenbar das Weltbild mancher Männer zerstört und erntete auch deshalb heftige Kritiken. Darüber reden möchte sie mit SonntagsBlick zurzeit aber nicht. Eine, die Schönbächler gut kennt, ist Janine Geigele. Die Bielerin moderierte zwischen 1999 und 2002 «Sport aktuell» und kennt die Mechanismen der Branche bestens.

Das Dilemma hätte schon bei Schönbächlers Ernennung begonnen, sagt Geigele. «Damals wurden Michèle und Adrian Lustenberger gleichzeitig als neue Ski-Kommentatoren vorgestellt. Während es bei ihm null Reaktionen darauf gab, waren es bei ihr Hunderte. Einfach, weil sie eine Frau ist.»

Als Folge davon stand Schönbächler schon ab dem ersten Tag unter besonderer Beobachtung. «Ein Mann kann kommentieren, wie er will, und dabei auch Fehler machen, es passiert nichts. Bei einer Frau wie Michèle ist das aber komplett anders.» Erschwerend hinzu kamen dann noch die sozialen Medien. «Den Stammtisch im Restaurant gibt es nicht mehr. Deshalb gehen die Leute in die sozialen Netzwerke und vergreifen sich dort im Ton. So wie bei Michèle. Ich fand es gut, dass sie das öffentlich gemacht und damit gezeigt hat, wie unsachlich sie angegriffen wird.»

Doch was sind die Lehren aus dem Fall Schönbächler? Wie lässt sich so etwas in Zukunft verhindern? Geigele: «Der TV-Sport-Konsument ist nunmal ein Gewohnheitstier. Er braucht eine Männerstimme, damit er zufrieden ist. Die Vorstellung, dass eine Frau ein Skirennen oder ein Fussballspiel in seine Stube kommentiert, ist unmöglich. Doch die Männer müssen sich daran gewöhnen. Wir brauchen immer wieder Frauen, die diesen Schritt wagen. Nur so kommen wir weiter. Auch wenn dieser Weg noch sehr lange und steinig sein wird.»

Auch aus Geigele hätte übrigens vor ein paar Jahren eine Sportkommentatorin werden können. Damals erhielt sie ein lukratives Angebot von der ARD, die sie als Leichtathletik-Kommentatorin verpflichten wollten. «Ich lehnte das auch darum ab, weil das für mich eine Nummer zu gross war. Ich bin mir aber sicher: Jeder Mann hätte sofort Ja gesagt.»

«Hätte ich wie Beni ein paar Kilos zu viel gehabt...»

Während bei Sport-Kommentatorinnen wie Schönbächler oder Neumann liebend gerne die Stimme kritisiert wird, ist es bei Moderatorinnen das Äussere. Oft werden ihre Frisur, Figur oder Kleidung zum Thema. Das war auch bei Monika Fasnacht so, die unter anderem das «Sportpanorama» moderierte. «Ich wurde dauernd auf mein Aussehen reduziert. Das hat mich immer gestört.»

Bei Männern sei dies nie der Fall gewesen. «Zog sich Salzi wie ein Paradiesvogel an, wurde herzlich darüber gelacht. Stellen Sie sich mal vor, was los gewesen wäre, wenn ich mich so schrill angezogen hätte.» Oder Beni Thurnheer. «Hätte ich wie Beni ein paar Kilos zu viel gehabt, hätte das viele negative Reaktionen zur Folge gehabt. Bei ihm natürlich nicht.»

Ähnlich klingt es auch bei Regula Späni, die während über 20 Jahren für SRF Sport gearbeitet hat. «Als ich 40 geworden bin, wurde intern bereits über mein Alter geredet. Bei Beni war das erst der Fall, als er 60 wurde.»

Was Späni vor allem gestört hat: «Die Kritik ging oft zügig unter die Gürtellinie. So ging es denn auch regelmässig auf die sexuelle Ebene. Und natürlich wurde mir – trotz meiner Vergangenheit als Spitzensportlerin, Sportlehrerin und Trainerin – oft auch die fachliche Kompetenz abgesprochen.»

Ihr Fazit ist deshalb eindeutig, aber auch ernüchternd. «Frisur, Kleidung, Figur, Stimme – wir Frauen bieten leider ungewollt mehr Angriffsfläche als die Männer und werden deshalb genauer beobachtet und bewertet.»

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